Vor 150 Jahren starb Charles Dickens

Stellen wir uns einen kleinen Moment vor, die DDR wäre noch da und fast keiner still aus ihr entwichen: Wie würde dieser wunderbare Jahrestag im stets jahrestagsfreundlichen Ländchen wohl die schreibende Zunft anregen? Der erste, der ganz und gar unvermeidliche Blick würde den verehrten Klassikern gelten: Karl Marx und Friedrich Engels. Und siehe, man würde fündig werden. „Die derzeitige glänzende Bruderschaft der Romanschriftsteller Englands“ nannte Karl Marx sie 1854 und die Anglistinnen der DDR hätten kaum öffentlichkeitswirksam darauf hingewiesen, dass Marx auch eine Schwester Brontë sowie Elisabeth Gaskell in die Bruderschaft eingliederte. Nach dem Motto: „Zum Schluss waren wir nur noch fünfzehn Mann, alles Frauen.“ Sie waren es auf alle Fälle, „deren anschauliche und beredte Seiten der Welt mehr politische und soziale Wahrheiten vermitteln, als alle Berufspolitiker, Publizisten und Moralisten zusammengenommen von sich gegeben haben“. Der Publizist Marx nahm sich selbst dabei sicher aus, sonst hätte er augenblicklich beginnen müssen, nur noch Romane zu schreiben, möglichst englische. Wie aber haben Dickens und Thackeray, Brontë und Gaskell die Bourgeoisie dargestellt? „Voller Anmaßung, Heuchelei, kleinlicher Tyrannei und Ignoranz“. Übertrieben viel politisch-soziale Wahrheit ist das eher nicht.

Immerhin: es klang gut, man konnte daraus das Lob des Schriftstellers lesen, seine unverzichtbare Rolle im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, und natürlich generell die Klassiker-Wertschätzung für Kunst und Kultur in ihrer Nützlichkeit für den Kulturteil der Parteitagsreden, der meist sehr weit hinten kam. Mehr Dickens ist dann aber schon wieder nicht zu finden bei Marx und Engels. Man hat in der Hierarchie der Autoritäten zu kleineren Klassikern überzugehen oder zu den Schülern der kleineren Klassiker. Rosa Luxemburg zum Beispiel hat ihn: „Mit Dickensscher Warmherzigkeit, aber ohne sein gut bourgeoise Sentimentalität“ entfalten die russischen Autoren Turgenjew, Uspenski, Korolenko und Gorki ihren Realismus. Und dann stellt sie Dickens noch in eine Reihe mit Mandeville, Swift, Sterne, Sir Philip Francis und Byron: „In England hat die satirische Gattung seit Beginn des 18. Jahrhunderts, seit der großen Revolution, einen beispiellosen Aufschwung genommen.“ Karl Liebknecht schrieb seiner Sonja am 26. Dezember 1917, dass „Tale from two cities“ (Eine Geschichte zweier Städte) ein gutes Geschenk für Rosa Luxemburg wäre, „aber das magst du ja nicht.“ Womit wir auch etwas über die Lese-Vorlieben von Sonja kennen.

Der nächste Schritt wäre Franz Mehring. Franz Mehring schrieb als guter Sozialdemokrat zum 100. Geburtstag von Charles Dickens am 7. Februar 1912 einen recht umfangreichen Artikel für sein Hausorgan „Die Neue Zeit“. Franz Mehring, das sei gesagt, kann man fast immer mit Gewinn lesen, denn ihm war wissenschaftliches wie journalistisch sauberes Recherchieren durchaus vertraut und hinzu kam, dass er lesbar schrieb, was bei Germanisten und/oder Anglisten bekanntlich eher nicht zum Repertoire gehört. Mehring kannte seinen Dickens, wie leicht ersichtlich ist und er verwendete auch solches Material, das nicht jeder Leser der Zeitung gleich zur Hand hatte: Briefe von Dickens etwa. Das ist insofern bemerkenswert, als auch hundert Jahre nach dem Tod Mehrings noch keine deutschsprachige Ausgabe von Dickens-Briefen vorliegt. Ob nach der englischen Ausgabe „The letters of Charles Dickens“ (Oxford 1965) dort noch mehr ediert wurde, weiß ich leider nicht zu sagen. Aber selbst die Erinnerungen der Kinder „Unser Vater Charles Dickens“ erschienen erst 2011 in Deutschland, also im Vorfeld des 200. Geburtstages. Mehring also kannte seinen Dickens und lobte ihn von mehreren Seiten, verglich ihn auch nicht ohne Absicht mit deutschen Dichtern.

„Hätte ein deutscher Dichter zur Zeit, wo Dickens schrieb, gewagt, oder würde heute auch nur ein deutscher Dichter wagen, die offiziellen Institutionen des Reiches so in ihrer Gebrechlichkeit und Verknöcherung darzustellen wie Dickens zum Beispiel die englische Rechtspflege in „Bleakhouse“, so würde sein Name in allen patriotischen Kreisen, einschließlich der „liberalen Kalbsköpfe“, als eines Schänders der Reichsherrlichkeit verfemt werden, und die beleidigten Gerichte würden sich ihre echt preußische Genugtuung bereiten, indem sie den Übeltäter zu langem Nachdenken hinter schwedische Gardinen einlüden.“ Ganz so schlimm war es dann 1912 ja doch nicht mehr, wenn auch, was dann doch geschrieben wurde, stracks der Zensur unterworfen wurde und, soweit es für Bühnen bestimmt war, einfach nicht gespielt werden durfte. Mehring zitiert das Dichterwort:
„Nur ein freies Volk ist würdig eines Aristophanes!“ und verschweigt den Dichter dieses Wortes aus unerfindlichen Gründen: Es war August von Platen, jener, über den Heine herfiel, weshalb Börne seinerseits über Heine herfiel. „Fast ans Unglaubliche streift seine Schöpferkraft.“ Das hebt Mehring ohne alle Einschränkung hervor und verteidigt Dickens gegen einschlägige Vorwürfe.

Und hebt einen Zug an Dickens heraus, den womöglich vor ihm noch niemand bemerkenswert fand: seine Liebe zum Londoner Lärm: „Unter seinen Brüdern in Apoll steht er darin ganz einzig da.“ Mehring zitiert aus einem Brief, den Dickens 1846 aus Lausanne in der Schweiz schrieb: „Eine Woche, vierzehn Tage kann ich wunderbar schreiben an einem abgelegenen Orte; ein Tag in London genügt dann, mich wieder aufzuziehen und von neuem loszuschießen.“ Mehring bringt auch eine ganz kleine Klage vor: „… wie bitter und ungerecht hat er über die Vereinigten Staaten abgeurteilt.“ Er meinte dabei das Buch „American Notes“, auf Deutsch erschienen als „Notizen aus Amerika“. Und verglich es mit „Reisebilder aus Italien“ (in der DDR unter diesem Titel, im „Westen“ mit Seitenblick auf Goethe „Italienische Reise“). Dem Urteil muss man nicht folgen, sollte ihm aber auf jeden Fall eine Berechtigung einräumen. Wie auch dem Hinweis: „Einen sozialistischen Dichter darf man ihn deshalb freilich nicht nennen. Dazu fehlte ihm schon jede spekulative Anlage und Neigung, ohne die damals der Gedanke, die bürgerliche Gesellschaft umzuwälzen und auf neue Grundlagen zu stellen, viel unmöglicher war als heute.“ Wohl wahr.

Auch die Umstände kommentierte Mehring, die massiv zum zu frühen Tod von Charles Dickens beitrugen: „Im letzten Jahrzehnt seines Lebens wurde Dickens sogar von der auri sacra fames gepackt, dem unseligen Hunger nach Gold, der reichlich genug gestillt wurde, jedoch nicht nur der Dichter ging daran zugrunde, sondern auch der Mensch rieb sich in einem allmählichen, in seinen Einzelheiten qualvollen Selbstmord auf.“ Nicht anders sah das der Wiener Egon Friedell, der die Reihe meiner Privat-Klassiker ziert auf hohem Podest. Auch der mochte Dickens: „In der Dichtung wurde die soziale Note zuerst und am stärksten in England angeschlagen. Ihr Meister ist Charles Dickens, der die Schäden des Fabrikbetriebs, des Schulwesens, der Armenpflege, der Klassenjustiz mit lebenskundiger Naivität und humorvollem Mitgefühl abschilderte. Seine Anklagen haben gerade dadurch, dass sie völlig gallenlos und reich dichterisch sind, aufs tiefste gewirkt und sich eine unvergängliche Frische bewahrt. Andere große Dichter schwanken in der Verehrung der Nachwelt; dieses edle Kind wird immer der Liebling der Menschheit bleiben. Und doch hat selbst dieser engelreine Geist dem Dämon seiner Zeit gehuldigt, indem er sich zur Goldgräberarbeit lukrativer Vortragstourneen verlocken ließ, die seine reiche Lebenskraft vorzeitig aufzehrten.“

Auffällig viel Marxismus braucht es also gar nicht, um das alles auch zu sehen, was die Groß-, Mittel- und Kleinklassiker sahen und heraushoben. Nehmen wir noch einen weiteren Zeugen hinzu, Arnold Hauser, von dem der Klassiker „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur“ stammt. „Dickens, dessen Erfolge zugleich den Sieg der neuen Verlagsmethode bedeuten, genießt alle die Vorteile und leidet unter allen den Nachteilen, die mit der Demokratisierung der literarischen Konsumption verbunden sind. Der beständige Kontakt mit breiten Schichten des Publikums hilft ihm, einen im besten Sinne volkstümlichen Stil zu finden; er gehört zu den nicht allzu zahlreichen Künstlern, die nicht nur groß und volkstümlich, nicht groß, obgleich sie volkstümlich, sondern die groß, weil sie volkstümlich sind.“ Und auf der nächsten Seite: „Dickens ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller aller Zeiten und vielleicht der populärste große Dichter der neueren Zeit. Er ist jedenfalls der einzige wirkliche Dichter seit der Romantik, dessen Werk nicht im Gegensatz zu seiner Zeit, nicht in einer Spannung zu seiner Umgebung entsteht, sondern mit den Ansprüchen seines Publikums vollkommen übereinstimmt.“ Gut zu wissen, dass das einst keine Schande war.

Genau 100 Jahre ist es her, dass der Leipziger Insel-Verlag ein Buch mit dem Titel „Drei Meister“ herausbrachte, Autor Stefan Zweig. Als Fischer-Taschenbuch umfasst es mal 166, mal 197 Seiten, erschien in hohen Auflagen im Lauf der Jahre. „Drei Meister“ sind Balzac, Dickens, Dostojewski. Die zu DDR-Zeiten schwer zu findende dreibändige Auswahl „Essays“ von Zweig bringt sie in Band 1, der die Jahre 1907 bis 1924 umfasst. Eine sehr gediegene Ausgabe mit ausführlichem Anmerkungsapparat und solidem Register, was nicht bedeuten soll, dass in der DDR alles gut war. Zweig begann mit einer etwas seltsamen These: „Nein, man soll nicht Bücher und Biographen befragen, wie sehr Charles Dickens von seinen Zeitgenossen geliebt worden ist. Liebe lebt atmend nur im gesprochenen Wort. Man muss es sich erzählen lassen, am besten von einem Engländer, der mit seinen Jugenderinnerungen noch zurückreicht bis an jene Zeit der ersten Erfolge, von einem derer, die sich noch immer nicht, nach nun fünfzig Jahren entschließen können, den Dichter des „Pickwick“ Charles Dickens zu nennen, sondern ihm unentwegt seinen alten, vertraulicheren, innigeren Necknamen „Boz“ geben.“ Mit „Scetches by Boz“ errang Dickens erste große Erfolge.

Unter diesen findet sich einer, den ich, seit ich ihn nach vielen Jahren wieder las, am liebsten an alle verteilen würde, die in Lyrik machen, also mindestens ein Gedicht an mindestens einer sehr abgelegenen Stelle veröffentlicht haben, vielleicht sogar mit einer Originalgrafik des kleinen Bruders oder der großen Schwester und dafür vier Literaturpreise nebst drei Stipendien erhielten: „Der poetische junge Gentleman“. Das ist ein so unverschämt herrlicher Text von so unverschämt herrlicher Aktualität, dass er, wie gesagt, statt „Die Goldene Rose“ von Konstantin Paustowski, die als Morgengabe für Jung-Dichter in der DDR galt, heute an alle zwischen 13 und 93 vergeben werden sollte, die Zeilen nicht bis zum Ende vollschreiben, ehe sie die nächsten Zeilen anfassen. Da steht beispielsweise: „Wenn der poetische Gentleman Eigenschaftswörter gebraucht, dann immer nur Superlative. Alles ist am größten, großartigsten, edelsten, mächtigsten, erhabensten oder am niedrigsten, gemeinsten, unverständlichsten, sündhaftesten und erbärmlichsten. Er kennt kein mittleres Stadium; denn die Begeisterung ist die Seele der Poesie“. Man prüfe es nach, es stimmt immer. Der poetische Gentleman ist natürlich immer auch ein sehr belesener Gentleman.

Deshalb: „Der poetische junge Gentleman zitiert gern Stellen aus seinen Lieblingsautoren, die sämtlich der Trübsal- und Verzweiflungsschule angehören. Er hat auch eine Menge über die Welt zu sagen und neigt, besonders nach einem harten Drink, zu der Eröffnung, dass nichts in ihr Wert ist, für sie zu leben“. Wobei er den Selbstmord aus reiner Verzweiflung dann doch aufschiebt auf den 30. Februar. „Wenn zum Beispiel die übelerregende Ermordung und Zerstückelung einer Frau ein köstliches Futter abgab, mit dem man die unersättliche Neugier des Publikums voll befriedigen konnte, dann geriet unser Freund in Ekstase – nicht aus Ekel, sondern vor Bewunderung.“ Woran erkennt man ihn: „Die Lieblingshaltung des poetischen jungen Gentleman besteht im Liegen auf dem Sofa, Augen an die Zimmerdecke geheftet, oder im Steilaufrechtsitzen auf einem Stuhl mit hoher Lehne, dabei mit großen, runden Augen auf die gegenüberliegende Wand starrend.“ Die Bundesstelle zur Prüfung frauenfeindlicher Schriften müsste freilich vorzeitig eingreifen bei diesem speziellen Dickens: er redet nur von Gentle-Männern nicht von Gentle-Frauen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass er bei Dichterinnen ganz andere Phänomene sah und deshalb verschwieg.

Doch zurück zu Stefan Zweig: „Nie im neunzehnten Jahrhundert hat es irgendwo ein ähnlich unwandelbares herzliches Verhältnis zwischen einem Dichter und seiner Nation gegeben.“ Und: „Dickens ist der einzige große Dichter des Jahrhunderts, dessen innerste Absicht sich ganz mit dem geistigen Bedürfnis seiner Zeit deckt.“ Er war nicht nur kein Sozialist, wie Franz Mehring festhielt, sondern: „Er war kein Revolutionär. Der Künstler in ihm vertrug sich mit dem Engländer, löste sich allmählich ganz in ihm auf.“ „Dickens ist das Schöpfung gewordene künstlerische Bedürfnis des damaligen England. Dass er im richtigen Augenblicke kam, schuf seinen Ruhm; dass er von diesem Bedürfnis überwältigt wurde, ist seine Tragik.“ „Seine große und unvergessliche Tat war darum eigentlich nur: die Romantik der Bourgeoisie zu entdecken, die Poesie des Prosaischen. Er hat als erster den Alltag der unpoetischsten aller Nationen ins Dichterische gebogen.“ So geht es weiter, geht es fort: Stefan Zweig fügt Aussage an Aussage, These an These und jede vermittelt das gute Gefühl: hier schlägt nicht Redundanz quicke Kapriolen, hier zwingt die Fülle des Stoffes zur Fortsetzung treffenden Sagens. Und für einen Seitenhieb gegen deutsche Romane reicht es auch.

„Dickens‘ Bücher sind eben wirkliche Romane im Sinne der Fülle und unablässigen Bewegtheit, nicht wie unsere deutschen fast alle nur ins Breite gezerrte psychologische Novellen.“ Und es gibt einen zweiten Seitenblick auf deutsche Literatur, auf Teile: „Er betrachtet seine kleinbürgerliche Welt nicht mit objektiver Wichtigkeit, er stimmt nicht jenen Hymnus der braven Leute, der alleinseligmachenden Tüchtigkeit und Nüchternheit an, der jetzt die meisten unserer deutschen Heimatkunstromane so widerlich macht.“ Ansonsten aber Seite für Seite Klugheit in immer verständlichen Worten und Sätzen: „Man soll die großen Kunstwerke nicht allein nach ihrer Intensität fragen, nicht nur nach dem Menschen, der hinter ihnen stand, sondern auch nach ihrer Extensität, der Wirkung auf die Menschen. Und von Dickens wird man wie von keinem in unserem Jahrhundert sagen können, er habe die Freudigkeit der Welt gemehrt.“ Zweigs Jahrhundert war 1920 noch jung, er wagte die Aussage dennoch. Wie auch diese: „Dickens hat dichterisch die Idylle Englands geschaffen – das ist sein Werk.“ Und ergänzt für alle, die alles immer gern missverstehen: „… auch die Idylle ist ein Ewiges, eine uralte Wiederkehr.“ Sie werden es wohl überhört haben.

Einer, der vermutlich nicht zu den ganz großen Dickens-Verehrern gehörte, war Hermann Hesse. Er benötigte den Umweg über Gustav Meyrink, um sich etwas ausführlicher zu Dickens zu äußern. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf http://www.eckhard-ullrich.de/jahrestage/655-hermann-hesse-liest-gustav-meyrink aus dem Jahr 2012. 1910 schrieb Hesse im „März“ vom 15. Juli: „Ich unterschätze Dickens nicht, ich liebe ihn sogar, und kenne den Schatz von Wärme, Herzlichkeit und naiver ethischer Kraft, der in seinen Büchern liegt. Aber diese Bücher sind sorglos geschrieben, und ich zweifle, ob Dickens sich mit dem Ausdruck im Original so viel Mühe gegeben hat wie Meyrink mit der Übersetzung. Wirklich bringt dieser denn auch etwas heraus, was keine frühere Übersetzung hat, einen eigenen Ton zwischen Schlichtheit und Verzwicktheit, der der Sache gerecht wird.“ Letztlich wollte Hesse nur sagen, Gustav Meyrink hätte seine Kräfte besser auf eigene Werke gewendet. Vor 100 Jahren, in „Vivos Voco“ April/ Mai 1920 ließ Hesse einige Zeilen über Nikolai Leskow erscheinen: „An Gogol reicht er nicht heran. Er hat etwas Gutmütiges, Liebes, etwas, das an Charles Dickens erinnert, soweit irgendetwas Russisches an Dickens erinnern kann.“

Wir lernen daraus: einen Tunnelblick haben keineswegs nur die kleinen Kleingeister, auch den Großen ist nicht fremd, was wir heute Filterblase nennen. In der Nomenklatur von Dickens gehört Hesse dann doch eher zur „Trübsal- und Verzweiflungsschule“, deren Vertreter ihm folgerichtig sehr viel näher stehen als alle Sonnenscheinchen dieser Erde. Nahe bei Dickens ist er damit freilich nicht. Deshalb gebe ich das Schlusswort einem Mann, der am 2. Januar 1937 an der Córdoba-Front im Kampf gegen Franco und seine Verbündeten fiel: „In Dickens hatten sie ein Genie, das dem Roman seinen vollen epischen Charakter wiedergab, dessen fruchtbarer Geist, Geschichten, Gedichte und Menschen schuf, die für immer in das Leben der englisch sprechenden Welt eingingen. Einige seiner Gestalten haben ein fast sprichwörtliches Leben erlangt, sie sind zu einem Teil unseres modernen literarischen Volksgutes geworden, und das ist bestimmt das Höchste, was ein Autor erreichen kann; er kann es nur mit Hilfe von Genie, Menschlichkeit und einem Gefühl für die Poesie des Lebens.“ Der dies schrieb, hieß Ralph Fox. Das Buch, in dem sich diese und etliche andere bedenkenswerte Sätze über Charles Dickens finden, hieß „Der Roman und das Volk“.


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