Zum Flaubert-Bild Arthur Eloessers

Die Versuchung ist groß, dies zu schreiben: In seinem berühmten Brief an den Noch-nicht-Nobelpreisträger William Faulkner vom 23. Juli 1947 schrieb der Noch-nicht-Nobelpreisträger Ernest Hemingway: „Wir kämpfen nicht mit den kläglichen pathologischen Typen unserer Zeit (wir wollen keine Namen nennen). Sie und ich, wir beide können Flaubert schlagen, der unser angesehenster und verehrtester Meister ist.“ Das Problem: dieser Brief ist überhaupt nicht berühmt, vermutlich kennt ihn niemand, auch wenn er in der, beinahe hätte ich schon wieder „berühmten“ geschrieben, Briefe-Sammlung von Carlos Baker steht. Wer aber war Carlos Baker? Wir sind in den Niederungen intellektueller Spreizhöschen-Sätze gelandet, man hebt zu ihnen sein Prosecco-Glas und wendet sich weniger wichtigen Themen zu. Heute aber ist der 200. Geburtstag von Gustave Flaubert und der Gedanke hat etwas, dass da im fernen Amerika einer saß, der sich schließlich erschoss, einer, der wichtige Jahre seines Lebens in Paris verbracht hatte, von dem sich Flaubert, wenn es ging, fern hielt, ihn, den längst toten Mann, schlagen wollte. Hemingway hat Faulkner gleich eine Abfolge empfohlen für solche Meisterschaftskämpfe: erst Turgenjew, dann Maupassant, dann Stendhal, schließlich Flaubert, Dostojewski solle er möglichst meiden, vorerst auf alle Fälle.

Später, Hemingway war mit Martha Gellhorn in Kenia unterwegs, beide frönten der Großwildjagd, was damals noch nicht als peinlich galt, schrieb er an einen gewissen Harvey Breit (1909 - 1968): „Das geht so. Man setzt sich hin um zu schreiben, wie Flaubert, H. James (nicht Jesse) usw., und dann kommen zwei Kerle mit Speeren und stehen lässig vor dem Zelt herum.“ Es wird nicht ganz klar, ob Hemingway die Störung als Ablenkung begrüßte, wird ihm doch für seine späten Jahre gern eine sich verstärkende Schreibhemmung nachgesagt, oder ob er sagen wollte: nichts hält mich ab. Immerhin schließt er nicht aus, dass sein Adressat Jesse James (5. September 1847 – 3. April 1882), den Western-Helden, mit Henry James (15. April 1843 – 28. Februar 1916), dem amerikanisch-englischen Schriftsteller, verwechseln könnte. Der sich 1896 in Rye das „Lamb House“ kaufte, vor dem ich 2001 mit hinreichender Ehrfurcht still stand, ehe ich meine analoge Nikon 801 erhob, um das unvermeidliche Archiv-Foto zu schießen. James wiederum schrieb das Vorwort der englischen Ausgabe der „Madame Bovary“, die 1902 erschien. Nicht auszuschließen, dass Old Hem, wie ihn Freunde gern nannten, dieses Vorwort kannte, zumal es 1914 den „Notes of Novelists“ von James zugeordnet wurde, welches ich am 7. Dezember 1987, fast auf den Tag vor 34 Jahren also, las.

Es würde hier viel zu weit führen, die alte Lektüre aufzufrischen (die sich lohnt, weil alle Essays zur Literatur von Henry James sich lohnen!). Denn wie anzunehmen ist, hat Ernest Hemingway in seinem Leben keine Notiz von Arthur Eloesser genommen, was ihm nicht anzukreiden ist und umgekehrt könnte ich nicht einmal die Möglichkeit einräumen, dass Eloesser das vierzig-seitige Vorwort je vor Augen oder gar gelesen hatte, ehe er selbst sich intensiver mit Gustave Flaubert befasste. 1904 publizierte der S. Fischer Verlag Berlin „Literarische Porträts aus dem modernen Frankreich“ von Eloesser. 15 Porträts sind einzelnen Autoren gewidmet, acht davon schrieben überwiegend oder ausschließlich fürs Theater, einer war über lange Zeit der tonangebende Kritiker, sechs hielten es überwiegend mit der Prosa, vor allem dem Roman. Eloessers Vorwort ist auf März 1904 datiert, darüber hinaus trägt lediglich der abschließende Beitrag „Hellenen und Lateiner“ eine Angabe zu seiner Entstehungszeit: 1896, er ist damit der älteste des gesamten Buches, das auf Erstveröffentlichungen in der Vossischen Zeitung, der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung und auch der Neuen Rundschau des S. Fischer- Verlages zurückgreift. Wer im Band fehlt, ist Gustave Flaubert, wer dennoch seinen Namen darin sucht, findet ganze zwei eher beiläufige Aussagen.

Die erste nennenswerte mir bisher bekannte Äußerung Eloessers zu Flaubert stammt aus dem Jahr 1902. Sie ist kurz und schwer zugänglich, ich zitiere sie komplett: „Gustave Flauberts Madame Bovary, einer der stolzesten Schöpfungen der erzählenden Literatur des 19. Jahrhunderts, die vor zehn Jahren von Josef Ettliner ins Deutsche übertragen wurde, ist nach dieser langen, für den Geschmack des deutschen Publikums nicht sehr ehrenvollen Pause bei Pierson in Dresden in zweiter verbesserter Auflage erschienen. Der Uebersetzer spricht in der Vorrede von einigen tausend Aenderungen, die er vorgenommen hat und die Vergleiche einiger Stichproben des alten und des neuen Textes bewiesen uns, dass seine sehr zuverlässige und gediegene Arbeit durch noch treueren Anschluss an das Original und durch charakteristischere Prägung konventionell gebliebener Wendungen an stilistischem Werth gewonnen hat. Wenn die jüngste kaum flügge gewordene literarische Generation Frankreichs das Piedestal des großen Erzählers zu besudeln sucht, so braucht ihre Zerstörungswuth unsere Bewunderung dieses Meisterwerkes nicht zu beeinträchtigen, von dem Ettlinger mit Recht sagt, dass es sich in der Weltliteratur durch seine historische Bedeutung für die Entwicklung des Romans, wie durch seinen lebendigen Kunstgehalt immer eine einzigartige Stellung bewahren wird. A. E.“

Das stand am 4. Oktober 1902 in der Morgen-Ausgabe der Vossischen Zeitung und hilft erklären, warum Flaubert 1904 nicht vertreten ist in den „Literarischen Porträts“, obwohl er sicher schon damals, auf alle Fälle aber aus heutiger Sicht, bedeutender war als fast alle Porträtierten. Ich nenne nur ein paar der Namen (und Männer, denn nur Männer sind es), mit denen sicher 1904, noch viel sicherer aber 2021 kaum ein Leser, eine Leserin viel wird anfangen können: Paul Hervieu, Georges Courteline, Georges de Porto-Riche, Maurice Donnay. Bei den Prosa-Autoren sieht es etwas anders aus, da finden sich Honoré de Balzac, Emile Zola, Anatole France. Neben diesen Namen wirkt das Fehlen Flauberts noch auffälliger. Was nach tiefschürfenden und hochgreifenden Erklärungen geradezu zu rufen scheint, benötigt sehr wahrscheinlich nur eine ganz profane. Arthur Eloesser, der mit den Porträts eine beeindruckende (und überzeugende) Kenntnis französischer Literatur bewies, konnte schlicht und ergreifend nicht alles kennen. Er kannte Gustave Flaubert und sein Werk zum fraglichen Zeitpunkt zu wenig, um sich ähnlich differenziert und hintergründig informiert zu ihm äußern zu können, wie eben zu all den anderen Herren. Die Abfolge seiner schriftlichen und auch gedruckten Äußerungen zu Flaubert legt den Gedanken nahe, dass er klar Nachholbedarf empfand.

Tatsächlich fand ich (bisher) vor der zitierten nur eine einzige belanglos-beiläufige Erwähnung seines Namens, in einem Feuilleton aus dem Jahr 1901, „Eine deutsche Biographie Alphonse Daudets“. Dort mutmaßt Eloesser, warum das Publikum gegen den „liebenswürdigen“ Daudet gleichgültig geworden sei, vielleicht, „weil er nicht wie Zola gekämpft oder wie Flaubert geduldet hat“. Das fordert heraus zu weiteren Überlegungen, die Eloesser aber nicht anstellt, Psychologie der veröffentlichten Meinung, Wirkungsästhetik, Aufmerksamkeitsökonomie waren nicht seine Themen. Bevor er aber das erste seiner beiden eigenständigen Feuilletons zu Gustave Flaubert, „Flaubert in Deutschland“ veröffentlichte, reichte er seiner eigenen Porträt-Sammlung eins nach, das sehr gut in das Buch gepasst hätte, das aber offenbar schon fertig war und nicht mehr erweitert werden konnte (eine zweite Auflage ist nie erschienen), das zweiteilige Porträt von George Sand. Wem der zeitweilig tatsächlich berühmte Essay von Heinrich Mann, „Flaubert und George Sand“ wenigstens dem Titel nach vertraut ist, darf also vermuten, dass, wo es um sie geht, auch Flaubert nicht weit weg sein kann. Und das ist auch so. Im zweiten Teil des Porträts taucht erstmals bei Eloesser auf, was er in der Folge immer wieder bei passender Gelegenheit zu Flaubert zitierte.

„Dieser prinzipielle Streit zwei entgegengesetzter Auffassungen beherrscht ihren interessanten Briefwechsel mit Gustave Flaubert, der wie Dumas fils die Schriftstellerin verehrte und sich von der gütigen alten Frau, die nur seine Mutter sein wollte, gern aufrichten und ausschelten ließ. Als der junge Schützling, für den sie nicht nur Rat sondern auch Hilfe in materiellen Schwierigkeiten bereit hatte, ihr einmal schrieb, dass das Herz mit der Kunst nichts zu tun habe, antwortete sie mit betrübter Verwunderung: „Nicht sein Herz in das was man schreibt legen? Ich begreife gar nicht, aber ganz und gar nicht. Mir scheint vielmehr, dass man etwas anderes gar nicht hineinlegen kann. Kann man seinen Geist vom Herzen trennen? giebt es da überhaupt einen Unterschied? kann man der Empfindung eine Grenze setzen? Kann das Sein sich spalten? Kurz, sich nicht ganz in seinem Werke geben, scheint mir so unmöglich wie mit etwas anderem als die Augen zu weinen oder mit etwas anderem als dem Hirn zu denken.“ Eloesser arbeitet einem eigenen Porträt vor, das er dann freilich nicht schrieb: „Sie erkannte den Menschen Flaubert recht gut, den sie ihren Benediktiner nannte, aufrichtig, sensibel, nur in die Kunst verliebt, ein mysteriöses Wesen, dabei gutmütig wie ein Lamm, aber es änderte ihn nicht, wenn sie ihn einen Reichen schalt, der wie ein Armer jammerte, und wenn sie ihn aufforderte, sein Gold mutig zu verzehren.“

Aber die Bausteine dazu, im Verein mit späteren Aussagen, darf man hier sehr wohl sehen: „Die vielerfahrene Frau verstand den Menschen Flaubert, wenn er auch in sich traurig bleiben und nicht nach der Sonne sehen wollte, als der einzige dunkle Punkt in ihrem Herzensleben, aber die Schriftstellerin verstand den großen Künstler nicht, der vor einem Worte tagelang zauderte und das edle Material der Sprache feiner, vorsichtiger, ängstlicher als Gold und Edelstein behandelte.“ An literarischen Qualitäten gesteht Arthur Eloesser George Sand nicht sehr viel zu, man darf vermuten, dass heutige Feministinnen an der einen oder anderen Wendung des Porträts Anstoß nehmen würden, womöglich sogar heftigen. Fünf Monate später druckte die Vossische Zeitung in ihrer Ausgabe vom 11. Dezember 1904 „Flaubert in Deutschland“, auf den ersten Blick kein Porträt wie die bisherigen, auf den zweiten Blick aber durchaus auch als solches zu lesen. Denn das Buch bot auch schon sehr unterschiedliche Ansätze und Vollzüge, was das eine Porträt auszeichnete, fehlte im folgenden, dazu hat der Arthur jedes Recht, solange ihm sein Verlag nicht mehr strukturelle Einheitlichkeit abverlangt, S. Fischer hat es offenbar nicht getan im gegebenen Falle. Eloesser beginnt mit einer Scheidung zwischen dem Ruhm und der tatsächlichen Verbreitung Flauberts.

„Während in Frankreich aus gewissen literarischen Kreisen eine plötzliche Opposition gegen Gustave Flaubert entstanden ist, die seinem Ruhm nichts anhaben kann und höchstens die Wirkung haben dürfte, eine exaltierte Übersetzung zu korrigieren, beginnt der große französische Schriftsteller, sich auch in Deutschland zu verbreiten, wo er bisher nur berühmt gewesen ist.“ Und knüpft daran sofort eine klare Kritik: „Und es spricht ferner für ihn, dass unsere, fast zu einer Landplage gewordenen Industriellen der Übersetzung, die Verleger eingeschlossen, an seinem Werk mit richtigen geschäftlichen Instinkt vorübergegangen sind“. Und dabei konnte Arthur Eloesser das heute grassierende Neu-Übersetzungswesen, das, um Aufmerksamkeit zu erregen, immer zuerst altbekannte Buch-Titel vom Markt drücken sucht, gar nicht voraussehen. Die arme „Education sentimentale“ ist zu einem Übungsstück für Headliner geworden, das ist auf jeden Fall unendlich viel leichter, als der Prosa Flauberts selbst wirklich gerecht oder wenigstens gerechter, als früher geschehen zu werden. Ohne mit der Wimper zu zucken, verbreiten anlässlich des heutigen 200. Geburtstags Groß- und Größt-Feuilletonisten Sätze, für die sich Flaubert aus dem Fenster gestürzt hätte. Arbeit am Wort ist ausgestorben, wo auch sehr kluge Köpfe nur noch von „toxisch“ lallen.

„Wer sich dem Manne ergibt, der sich das Schreiben am allersauersten gemacht hat, der die höchsten Gesetze der prosaischen Diktion in jedem Satz zu erfüllen suchte, der auf sie eine technische Mühe verwandte, die wir sonst nur bei den geduldigsten Verskünstlern kennen, der wird am eigenen Leibe einen Teil von den Folterqualen empfinden, die Flaubert zu seinem Range unter den größten Stilisten wie zu seinem frühen Grabe verholfen haben.“ Wer sich dem Mann ergibt!
„Was der Schriftsteller gewollt und immer erreicht hat, das ist in seinen Briefen wie durch sein Werk deutlich genug ausgesprochen: für jede Anschauung das richtige Wort, das zugleich auch am besten klingt, für jede Empfindung den entsprechenden Rhythmus, für jede Vorstellungsreihe das einzige Bild mit ganz eigenen Strichen und Farben, die nie zu einem anderen Zweck von der Palette wieder genommen werden dürfen.“ Eloesser kommt zu dem Schluss, dass „man wirklich bei ihm nie zweimal in den gleichen Fluss steigen kann, und diese unter erbitterten Kämpfen errungene Kunst der unendlichen leisen Variation, die nie wiederholen und auch nie kontrastieren darf, ist in das Temperament eines Schriftstellers gebannt, der temperamentlos scheinen, der als Persönlichkeit überhaupt nicht wahrnehmbar sein wollte.“ Allerhöchste Kunst also fordert jede Übersetzung!

„Es ist eine schwere Aufgabe, den Reichtum Flauberts an Ausdrucksmitteln, den dieser wie ein Habsüchtiger aufgestapelt und mit genauester Berechnung ausgegeben hat, in einer anderen Sprache durch entsprechende Äquivalente zu ersetzen“. Vielleicht konnte das niemand besser wissen, als einer, der seine akademische Laufbahn, die er dann nie antreten durfte, mit einer Arbeit über frühe Moliere-Übertragungen begonnen hatte: Arthur Eloesser eben. Er promovierte 1893 mit „Die ältesten deutschen Übersetzungen Moliérscher Lustspiele“. Eloesser stellt nun Flaubert gegen Balzac, das kann hier ausgeklammert werden, und nennt die „Madame Bovary“ uneingeschränkt „sein glänzendstes Werk“. Wenn aber „das Werk sich eine warme Anhänglichkeit erhält und sogar einen lyrischen Zauber bewahrt, so geschieht das gegen seinen gewollten Realismus. Die Heldin ist eine Phantastin, und wenn Flaubert ihre Träume ironisch behandelt, so zielt er doch auf die eigene romantische Schwärmerei, die er aus sich herausgesetzt hat, um sie schließlich doch nicht ohne geheime Wehmut zu entlassen.“ So stellt Eloesser alle zeitgleichen und späteren Lesarten in Frage oder auf den gern beschworenen Prüfstand, die in der „Madame Bovary“ vor allem oder gar ausschließlich ein revolutionäres Dokument des siegreichen Realismus erkennen und ehren wollen.

Ich zitiere, weil den wohl niemand mehr kennt, Hermann Wendel (8. März 1884 – 3. Oktober 1936) aus seinem Essay-Band „Kämpfer und Künder“, der sich auf den Prozess gegen Flaubert bezieht: „Aber ob Freispruch, ob Verurteilung, dieser Prozess an sich bedeutete den Sieg des literarischen Realismus; die einfache Geschichte von der Sehnsucht, dem Fall und dem selbstgewählten Tod der Frau des ländlichen Wundarztes Bovary war seine Geburtsurkunde und blieb zugleich sein wichtigstes Dokument.“ Einer wie Joseph Roth hat übrigens diesen Wendel in seinen „Briefen aus Deutschland“ Neugier weckend freundlich gezeichnet. „Dieses einzige Werk Flauberts, das über exklusive literarische Kreise hinaus seine Anhänger finden konnte, ist vor ungefähr zehn Jahren von Josef Ettlinger mit ebenso viel Sorgfalt wie Geschmack übersetzt worden“. Josef Ettlinger (22. Oktober 1869 – 2. Februar 1912) lieferte die deutsche Erstübersetzung der „Bovary“, die bei WIKEPEDIA auf 1902 datiert wird. Das kann allenfalls jene verbesserte Übertragung meinen, der Eloesser im Oktober 1902 die oben zitierten Zeilen widmete. Was 1902 vor zehn Jahren war, war halt 1904 vor ungefähr zehn Jahren. „Eine Verdeutschung der „Salambo“ hat in einem bescheidenen Reclamband ein bescheidenes Dasein geführt“. Welche Ausgabe er hier genau meint, bleibt unklar.

In den Antiquariats-Netzwerken finde ich eine Reclam-Ausgabe aus dem Jahr 1910, die 1904 nicht gemeint sein kann, mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Robert Habs, dessen Geburtsjahr 1858 wohl bekannt ist, nicht aber, wann er starb. Möglich, dass Eloesser eine frühere Ausgabe in Erinnerung hatte, möglich auch, dass er diesen Habs, der 1894 mit einem „Appetit-Lexikon“ erfolgreich war, unter die oben bereits genannten Industriellen des Übersetzens zählte und ihn deshalb ungenannt ließ. WIKIPEDIA kennt diese Übersetzung gar nicht, was allerdings kaum überrascht. Kritisch sieht Eloesser eine deutsche Ausgabe der „Drei Erzählungen“ („Trois Contes“): „Eine kürzlich von Ernst Hardt herausgegebene Übersetzung der „Trois Contes“ entbehrt für mein Empfinden die äußerste Pflege des Stils, die Flauberts erste und letzte Sorge war.“ Tatsächlich sind für 1904 Hardt-Übersetzungen von „Ein schlichtes Herz“, „Herodias“ und „Die Legende vom heiligen Julian dem Gastfreien“ nachweisbar, zwei davon als frühe Nummern der Insel-Bücherei, eine Ausgabe mit allen drei Erzählungen in einem Band habe ich bisher nicht gefunden. Natürlich kennt Eloesser auch die Übersetzung der „Education sentimentale“, die Alfred Gold (28. Juni 1874 – 24. Oktober 1958) vorgelegt hatte unter dem merkwürdigen Titel „Roman eines jungen Mannes“.

Hugo von Hofmannsthal lieferte eine Vorrede in Form eines Briefes. „Jedenfalls bewundert es der Vorredner mehr als Flaubert selbst, der über die nach unsäglichen Schwierigkeiten vollendete Arbeit trocken sagte: ich habe mich getäuscht. Die „Education sentimentale“ ist ein Erziehungsroman mit nur negativen Resultaten“. Die Vorrede ist auf den 16. September 1904 datiert, in Venedig zu Papier gebracht. Der in Eloessers Zusammenhang wichtigste Satz des Schreibens wird von ihm gar nicht zitiert. Er lautet: „Es widerstrebt mir, denen, die es nicht schon wissen, zu sagen, dass Übersetzen, wirkliches Übersetzen, dasselbe ist wie Schreiben.“ Das hält sich auf der Höhe der Anforderungen von und an Flaubert. „Der Mann mit dem toten Herzen, der Flaubert in seiner isolierten Literatenexistenz war und sein wollte, hat die Geschichte seiner Zeit als die Epoche einer Banalität beschrieben.“ Eloesser distanziert sich von der Sichtweise Flauberts auf die Realität: „Mittelmäßig sehen alle Tage der Wirklichkeit, auch die sogenannten großen aus, aber nicht die Jahrzehnte und Jahrhunderte … Der Künstler Flaubert findet seine Grenzen im Menschen, der die Ideen verachtete, der nicht abstrahieren konnte, um sich von den Zufällen der Erscheinung zu lösen, die so für ihn triste Unfälle bleiben mussten.“ Gar das Wort „Gemütsenge“ führt Eloesser hier ins Gespräch.

„Es war seine Art, sich die Dinge zu unterwerfen, indem er sie beschrieb, indem er sie durch sein künstlerisches Verfahren sterilisierte.“ Bei aller Kritik, die der Autor völlig unmissverständlich äußert an der „Education sentimentale“, er lässt auch den Glanzpunkten ihr Recht: „Diese Madame Arnoux, die Frau eines gutmütigen kleinen Schuftes, die mit ihren Leiden das Recht auf eine seelische Beigabe erkauft zu haben glaubt, ist eine wundervolle Figur, und allein die Szene, in der sie dem Geliebten als letzte Erinnerung eine weiße Locke lässt, bringt uns immer wieder zu diesem Roman, der sonst alles tut, um unsere Bewunderung oder Teilnahme fernzuhalten.“ (Fußnote in Erinnerung an den Nachdruck bei Tina Krell: Madame Arnoux ist bei ihr Madame Arnour). Das Fazit in „Flaubert in Deutschland“ für diesen Roman lautet: „... und wenn wir uns schließlich fragen, warum dieser Roman mit seinen unbarmherzigen Enthüllungen, mit den stets angetretenen Beweisen der Wahrheit uns nicht mit sich führt, so liegt es wohl daran, dass er uns nicht mit einer dauernden, ob stürmischen oder sanften Gestalt zwingt, uns selbst noch einmal zum Jungsein zu verführen“. Man darf darin die Formulierung einer Wunschvorstellung sehen, wie sich ein Kritiker, der daraus eben kein Geheimnis machen will, seine Maßstäbe preisgibt: für Romane, die bewegen.

Bevor Arthur Eloesser am 29. März 1906 sein zweites längeres Feuilleton zu Flaubert in der Vossischen Zeitung erscheinen ließ, Titel „Neue Briefe von Flaubert“, ist er nur noch ein einziges Mal auf ihn gekommen. Er besprach unter der Überschrift „Neue Bücher“ auch „Alte Geschichten“ von Rudolf Lindau: „Die erste von ihnen könnte als Episode in Flauberts „Sentimentaler Erziehung“ stehen: Liebe, Entsagung, Trennung und Wiedersehen nach zwanzig Jahren mit der Moral, dass das Leben die starken Striche allmählich auslöscht, und dass es zuweilen schwerer ist, einen großen Schmerz festzuhalten, als ihn zu ertragen.“ Das war am 14. April 1905. Und ergänzte bestenfalls die früheren Aussagen zu Flauberts Roman. Die Briefe aber lieferten den Anlass, nicht nur das eigene bisherige Flaubert-Bild in entscheidenden Punkten zu ergänzen und auch zu korrigieren, ihre Betrachtung zielt auch auf das öffentliche Flaubert-Bild der Zeit. „Flaubert ist einer von den wenigen französischen Schriftstellern, die es fertig gebracht haben, außerhalb von Paris zu leben, … In dem alten, vom Vater ererbten Haus zu Croisset bei Rouen … entstanden durch mehr als dreißig Jahre qualvollster Anstrengungen alle seine Romane“. Reisen seien für Flaubert selten gewesen und meist aufgezwungen, etwa zu Studienzwecken für „Salambo“.

„Dieser „Beobachter“ fürchtete jede Berührung mit der Wirklichkeit, jeden unvorhergesehenen Eindruck, der die in seinem Innern mühsam aufgerichteten Visionen vertreiben konnte, und die Wirklichkeit, die er am besten vertrug, die das Bedürfnis des Schaffenden nach abschließender Konzentration am geringsten gefährdete, war die vertraute Umgebung der Heimat, das dumpfe unbewegte Leben der Provinz, das er in der Bovary verspottet hat, aber nicht ohne seine Liebe zu verraten.“ Ein längeres Zitat verrät, was die Briefe verraten: „Wäre nicht von seinen Werken die Rede, man würde aus der Mehrzahl dieser vertraulichen Briefe, die von der zweiten Hälfte seines Lebens zusammenhängende Kunde geben, auf einen Mann schließen müssen, dem trotz galliger Misanthropie Pietät und Anhänglichkeit sein Verhalten in der Enge vorgeschrieben haben. Flaubert war nicht nur der zärtlichste Sohn, mit unaufhörlicher Sorge um die alte Dame bemüht, die die misstrauische Empfindlichkeit der Schwerhörigen nicht gerade zu einem bequemen Umgang machte, zu jeder frommen Lüge bereit, wenn er ihr irgendeine Beunruhigung ersparen konnte ... Die Zelle des Benediktiners war nicht so unnahbar von Geheimnis umhüllt, dass nicht viele Onkel und Tanten ganz behaglich bei ihm speisten und auch unversehens Besuche wagen durften,...“.

Neben der Mutter, die hier erwähnt ist, neben George Sand, die erwähnt wurde, nimmt eine sehr wichtige Stelle im schließlich eben doch nicht so geheimen Leben von Gustave Flaubert seine Nichte ein, sie hieß mit bürgerlichem Namen Caroline Commanville (21. Januar 1846 – 2. Februar 1931), lebte also noch, als Arthur Eloesser seinen sechzigsten Geburtstag feierte. Briefe Flauberts an sie finden sich unter anderem in der schönen Haffmans-Aufgabe „Der Briefwechsel mit Guy de Maupassant“, die auch sonst sehr empfehlenswert ist. „Madame Caroline Commanville war zwar eine mittelmäßige Malerin, sie hatte nach dem Vermögensfall zu diesem Handwerk gegriffen, aber durchaus kein mittelmäßiger Mensch, und die kleine Biographie, mit der sie schon Flauberts frühere Korrespondenz eingeleitet hat, beweist nicht nur bewundernde Pietät, sondern auch eine seelische Feinfühligkeit, die des Dichters Melancholie wohl verstehend und mitleidend aufnehmen konnte.“ Umgekehrt: „Onkel Gustave leiht dazu seinen Rat und Beistand wie irgendein Bourgeois, der nie ein Buch von Flaubert gelesen hat.“ Dieser Onkel „braucht sich durchaus nicht herabzulassen, wenn er von ihren Kaninchen in Croisset erzählt, von ihren Puppen, die er bei Namen kennt, oder wenn er nach dem Erfolg ihres neuen Strohhutes fragt.“ Das ist die Väterlichkeit eines Sohnes ohne Kinder.

„Flaubert ist der eigentliche Vater der lateinischen Dekadenz, die das Leben der Kunst opfert und unnahbar, unerschütterlich auf dem elfenbeinernen Throne sitzt.“ „Aber der Hass, den er gegen die menschliche Dummheit nährte, der Kreuzzugsfanatismus, mit dem er die Banalität des Bourgeois bekämpfte, war eine Art uneingestandener Liebe, die diese Briefe dem gegen Worte vorsichtigen Kenner nur weiter enthüllen.“ Eloesser meint sich hier zuerst selbst, er ist (auch) der gegen Worte vorsichtige Kenner und kommt fast übergangslos zu den Jahren 1870/71: „In diese von der Gleichgültigkeit geschützte Stille fuhren die Kriegsstürme des Jahres 1870, sie machten Flaubert wieder zum Franzosen und zum Bürger, sogar zum Bourgeois, … Als die Zagsten, wie er an die Nichte schreibt, zu Helden wurden, schnallte auch Flaubert als Leutnant der Nationalgarde von Croisset den Säbel um.“ Und legte seine Posten nieder, als er sah, wie wenig er ausrichten konnte gegen die Disziplinlosigkeit seiner ihm unterstellten Leute. Flaubert flieht bis nach Brüssel vor den anrückenden Deutschen und „sieht nur noch den Untergang der lateinischen Rasse, die von der germanischen erdrückt wird, die wieder von der slavischen gefressen wird, und er prophezeit die Götterdämmerung der alten europäischen Kultur.“ Hammerhart die Zitate, die Eloesser nun bringt.

„Mich ärgert nur, dass Paris nicht bis zum letzten Hause verbrannt ist, damit nur noch ein großer schwarzer Fleck übrig ist. Frankreich ist so herunter, dass ich sein vollkommenes Verschwinden wünsche. Doch ich hoffe, dass der Bürgerkrieg nur recht viele Menschen umbringen wird.“ Seinen Freund Iwan Turgenjew will er fragen, was man tun müsse, um Russe zu werden. Beider Briefwechsel ist ebenfalls in Buchform zu haben, muss hier jedoch schon aus Platzgründen ohne nähere Betrachtung bleiben. Fast schadenfroh klingt, wenn Eloesser dann schreibt: „Die Preußen hatten sein Haus weder verbrannt noch geplündert, sie hatten seine Bücher und Manuskripte respektiert, bis auf ein paar mitgenommene Tabakspfeifen, alles unversehrt in der alten Ordnung stehen lassen“. „Flaubert verlangte vom Leben nichts, wie er ihm nichts gegeben hatte; es war sein melancholischer Stolz, Seiten der Zärtlichkeit geschrieben zu haben mit einem Herzen, das von Liebe nichts wusste, und Seiten der Leidenschaft ohne einen Tropfen Feuer im eigenen Blute. ... Nur seiner jungen Vertrauten, seinem Zögling und Liebling gestand Flaubert, dass ein Sumpf dahinter war, in den die Hoffnungslosigkeit, die stille Verzweiflung hineinstierte.“ Einen weiteren derart zusammenhängenden Blick auf Flaubert hat Arthur Eloesser danach nicht mehr geworfen.

Falls im unerschlossenen Teil seiner gedruckten Hinterlassenschaft nicht noch etwas gefunden wird. Diese Einschränkung gilt für alle anderen Themen und Gegenstände Eloessers ebenso, eine auch nur annähernd vollständige Bibliographie steht aus. Immerhin: neben mehr oder minder beiläufigen Erwähnungen Flauberts in der Vossischen Zeitung der Jahrgänge bis 1910, in drei Jahrgängen der „Weltbühne“ (1924 – 1926), kommt er nur einmal noch ausführlicher vor, in einer zweiteiligen „Studie zu Maupassant“, am 15. und 22. August 1909 in der Sonntagsbeilage gedruckt, die in eigener Seitenzählung erschien. Maupassants Mutter, die in jungen Jahren eine eher unerfüllte Beziehung zu Flaubert gehabt haben soll, gab ihren begabten Sohn vertrauensvoll in dessen Obhut und Flaubert nahm seine Rolle als väterlicher Mentor, als Lehrmeister sehr ernst. Auch das wäre ein ergiebiges eigenes Thema, muss hier aber ausgeklammert bleiben, soweit es nicht Eloessers Bild von Flaubert direkt betrifft. Er ließ Maupassant Schreibübungen absolvieren, las und korrigierte immer wieder und warnte auch vor den Niederungen des Journalismus, wie Journalist Eloesser ausdrücklich vermerkt. Am Ende des intensiven Lehrer-Schüler-Verhältnisses war Flaubert so weit, dass er „den nun selbständig gewordenen Zögling vor lauter Bewunderung abküssen wollte.“

Die „Studie zu Maupassant“ liefert, es sei keineswegs verschwiegen, auch einen der seltenen Fälle, wo Eloesser eigene Sätze von früher wörtlich oder fast wörtlich übernimmt. „Flaubert selbst hatte allerdings eine andere, oder vielmehr er hatte keine Jugend verlebt. Den willensschwachen Neurastheniker hat Maupassants kindliche Verehrung wohl nicht entdeckt. Flaubert ist der eigentliche Vater der lateinischen Decadence, die das Leben der Kunst opfert und unnahbar, unerschütterlich auf dem elfenbeinernen Throne sitzt. Keine Sorge seiner Zeit und Umgebung, kein Ruf des Tages sollte die feierliche Stille der egoistischen Abgeschlossenheit und Selbstgenügsamkeit durchbrechen. Flaubert war ohne den Glauben an das Glück auf die Welt gekommen. Von allen Lügen des Daseins litt er die Kunst als die höchste und erträglichste; der Künstler schien ihm ein Priester, der auf eigenes Erleben verzichtet, um der Menschheit die Beichte ihrer trügerischen Illusionen abzuhören, der die Seinen und alles was ihm lieb ist, verlassen muss, sobald er die Weihen empfangen hat.“ Dem hatten die Briefe bereits widersprochen in gewisser Weise, nun aber wird genau dieses Bild noch einmal benötigt, den Kontrast zwischen dem Lehrer Flaubert und dem Schüler Maupassant anschaulich zu machen und eine Überleitung zu bauen.

„Flaubert vermachte dem Jünger seinen Künstlerstolz, die Verachtung des Amtes, das abstumpft, der Ehren, die entehren; er warnte ihn vor jeder Förderung, die nur Abhängigkeit bedeutet, durch den Staat, durch die Gesellschaft oder durch Freundschaft. Maupassant, der weder zur Akademie noch zur Ehrenlegion gehörte, hat den Meister noch übertroffen, denn er ignorierte recht fröhlich und unbekümmert die Auszeichnungen, die der andere verärgert und doch wohl nicht unversucht zurückgewiesen hatte.“ Nicht alles vererbte sich wunschgemäß, manchmal täuschte das Bild, täuschte sich auch der Erbende selbst: „Flaubert wollte dem jungen Freunde auch seinen Pessimismus vermachen, die dumpfe Erbitterung gegen die Bourgeoisie und das Reich der Dummheit, die Verzweiflung an Vernunft und Wissenschaft, mit der sein Leben schloss. Maupassant glaubte diesen Pessimismus geerbt zu haben“, sein zu früh endendes Leben wie vor allem auch sein Werk lassen gegenteilige Deutungen zu. Arthur Eloesser hat noch in seiner zweibändigen Literaturgeschichte, die ausdrücklich der deutschen Literatur seit dem Barock galt, mehrfach auch Flaubert erwähnt und genannt: zum Vergleich, zur Illustration, als Quelle für ein Zitat. Neue eigene Einsichten hat er nach 1909, Erkenntnisstand heute, nicht mehr formuliert.


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