Hinterhänger für Wallenstein

Fast auf den Tag drei Jahre ist es her, dass ich „Hinterhänger für Shakespeare“ hier ins Netz stellte und ich könnte problemlos Sätze von damals heute erneut hinschreiben. Wenn das Theatermuseum der Meininger Museen in der ehemaligen Reithalle eine neue Ausstellung seiner Reihe „Zauberwelt der Kulisse“ präsentiert, geht es rituell zu, massiv Plätze sind reserviert, die Reservierungen werden umsortiert, die Werbung auf den Stühlen verleitet Platzsuchende anzunehmen, hier sei bereits besetzt. Am Ende ist alles tatsächlich besetzt. Es gibt außerordentlich viel Musik, dargeboten vom ensemble flauto con bassi, bestehend aus Gabriele Hilsheimer (Blockflöte), Michael Spengler (Viola da Gamba) und Andrea Cordula Baur (Laute), Musik aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, passend zum Stück „Wallenstein“ und es gibt eben die Kulisse, die nun bis zum 17. Januar 2016 im Museum bestaunt werden kann.

Sie gehört zum vierten Akt des zweiten Teiles der „Wallenstein“-Trilogie, „Die Piccolomini“ betitelt, der bei Schiller sieben Auftritte hat. Der Bankettsaal des Grafen Terzky, in dem sie spielen, ist Ort einer Intrige, in deren Verlauf die beiden treuesten Getreuen Wallensteins, der genannte Graf, Schwager Wallensteins, und Feldmarschall Illo die anderen Generale und Obristen zu einer Unterschrift nötigen unter ein Dokument, das sie auf ihren Fürsten verpflichtet, obwohl es im Urwortlaut der Einschränkung unterliegt, soweit der Kaiser dabei sein oberstes Vorrecht behält. Die Klausel ist auf dem letztlich tatsächlich unterschriebenen Papier nicht mehr vorhanden, von 30 zu erwartenden Unterschriften kommend 29 tatsächlich zustande, nur Max Piccolomini unterschreibt nicht, weil er nicht genötigt werden möchte und sich eine Bedenkzeit ausbittet.

Kein Kontrast könnte krasser sein als der, den der Museumsbesucher hat, wenn er am Vorabend den neuen vierstündigen „Wallenstein“ in Weimar gesehen hat (siehe meine Besprechung dazu in THEATERGÄNGE). Hier in Meiningen die ultimative Kulissen- und Ausstattungspracht, das Bühnenbild wurde, so schloss der kurze Vortrag der jungen Jenaer Wissenschaftlerin Claudia Sandig, die eben eine Dissertation zur Rezeptionsgeschichte von Schillers „Wallenstein“ verfasst, zum eigentlichen Hauptdarsteller. In Weimar dagegen eine zeitgenössische Kargheit fast wie ein Gegenentwurf des anderen Extrems. Die Kulisse in Meiningen entstammt der großen Zeit der Meininger, deren Name etliche Jahre sprichwörtlich war in ganz Europa, deren Aufführungsstil dann zur Meiningerei entartete mit skurrilen Auswüchsen. Dennoch, es war zu Zeiten des berühmten Theaterherzogs Georg II. eine Sache, die heute definitiv undenkbar erscheint: ein Landesvater stellt sein Theater buchstäblich über alles, er scheut nicht Mühe noch Kosten, wobei er, wie im Falle des „Wallenstein“ von 1882, zu dem die Kulisse gehört, freilich auch einen soliden Einnahmeüberschuss erzielte in der Reichshauptstadt Berlin.

Die dort über etwa sechs Wochen so erfolgreiche Inszenierung, die sogar anderen Häusern das Publikum abspenstig machte mit ihren immer ausverkauften Vorführungen, hatte ihre Meininger Premiere am 18. März 1882. Von den Darstellern sind einige auf Fotos im Museum zu sehen: Friedrich Stoppenhagen, Leopold Teller, Wilhelm Arndt, Hugo Seydelmann, Paul Richard, Julius Nollet, Alexander Barthel, Rudolf Christians. Nicht alle finden sich mit den im Museum angegebenen Rollen auf dem Theaterzettel von 1882 wieder, das muss hier nicht aufgeklärt werden, sicher gab es auch damals schon Doppelbesetzungen oder Gastrollen bei Tourneen. Man sieht neben den Kulissenbögen einen Hintersetzer und einen Seitenhänger, man sieht, wenn ich richtig gezählt habe, sieben im November 2014 ersteigerte Figurinen von der Hand des Herzogs, dazu etliche, die schon im Museumsbestand waren. Man sieht Kostüme und mehrere Fotos von einer Inszenierung aus dem Jahr 1934.

Im Einführungsvortrag waren drei Szenen zum Vergleich auf die Leinwand projiziert, alle zeigen das Hereindrängen der Pappenheimer, die ihren Fürsten Friedland hören wollen. Die Pappenheimer wurden schon von 1882 bis 1907 immer weniger, in Weimar 2015 gibt es gar keine mehr. Claudia Sandig ließ ihren knappen Einblick in die Aufführungsgeschichte bei Peter Stein enden, der im Mai 2007 einen gern Wallenstein-Marathon genannten Fixpunkt mit Klaus Maria Brandauer setzte, nicht am Deutschen Theater freilich, sondern in der Neuköllner Kindl-Halle mit dem Berliner Ensemble. Von der letzten Meininger Neuinszenierung konnte oder wollte sie nichts sagen, sie hatte am 25. März 1994 Premiere, Regie als Gast Fritz Bennewitz. Damals spielte Michel Jeske den Illo, jetzt war er in einem Einspiel als Graf Terzky zu hören im Dialog mit Buttler, dessen Stimme ich nicht zu identifizieren vermochte. Das passte übrigens so wohltuend wie vor drei Jahren auch schon und nebenbei ist es sogar ein wenig symbolhaft.

Claudia Sandig zitierte aus einigen zeitgenössischen Kritiken und machte damit fast unabsichtlich klar, dass die neben enthusiastischer Begeisterung zum Glück auch zu vernehmenden Stimmen, die vor dieser Art von Theater warnten, langfristig Recht behalten haben. Denn nie, zu keinem Zeitpunkt, hatte Theater die Aufgabe, einem Publikum die Illusion zu vermitteln, einem historischen Geschehen unmittelbar beizuwohnen. Genau so aber erlebten Berliner Zuschauer offenbar diesen Meininger Wallenstein. Wozu man dann noch einen Schiller als Autor brauchte, dessen jambische Verssprache während des Dreißigjährigen Krieges mit Sicherheit nicht gesprochen wurde, auch die Knittelverse in „Wallensteins Lager“ nicht, wäre die zunächst zu stellende Frage. Wenn Kulissen und Bühnenbild der eigentliche Held des Theaterabends sind, sind neben dem Autor ja auch die Schauspieler zu nur tönendem Schauwert verdammt. So wundern auch zeitgenössische Klagen nicht, dass vom Text vor lauter Geräusch der pseudoechten Rüstungen, Waffen und sonstigen Requisiten wenig zu verstehen war.

Man versteht angesichts solcher Kulissen, angesichts solcher fundamentaler Missverständnisse des Wesens von Theater, wie es der Stil der Meininger offensichtlich beförderte, wenn nicht beabsichtigte, den missionarischen Übereifer eines Brecht im Kampf gegen das Illusionstheater. Wobei zugunsten von mehr als zweitausend Jahren Theatergeschichte zu konstatieren wäre, dass Phasen, in denen ein zeitgenössischen Publikum sich nicht darüber klar war, vor einer Bühne zu stehen und keineswegs vor tatsächlichem Leben, kaum sns Gewicht fallen. Beweise müssen dafür keine erbracht werden, sie reichen von den Masken und Kothurnen der Antike über Parallelbühnen, die müßige Darsteller sichtbar ließen bis zu den Formen nichteuropäischen Theaters mit festen pantomimischen Elementen, Musikeinsätzen und so weiter. Andererseits, auch das lässt sich drei Jahre nach „Hinterhänger für Shakespeare“ wiederholen, wecken solche Kulissen Sehnsüchte. Man sähe sie gern bespielt, wenigstens einmal. Man sähe gern einmal wieder ganze Heerscharen von Statisten, Kostüme, die den Namen verdienen und nicht aus der Mottenkiste Zeitlosigkeit stammen.

Zwei solide Spendenschecks nahm zum Ende Direktor Winfried Wiegand entgegen und versprach, sie gut zu verwenden. Immerhin sind im Fundus 270 Dekorationen in unterschiedlichen Erhaltungszuständen und mit unterschiedlicher Vollständigkeit. Jetzt ist mit dem Bankettsaal aus „Die Piccolomini“ erstmals ein reiner Innenraum vorgeführt, die Restauration war aufwendig und in bewährten Würzburger Händen. So könnte es in kleinen und größeren Schritten weiter gehen, denn auch im Februar 2016 wird die Reithalle ein neues Objekt vorführen wollen. Bis dahin ist der unglaublich detailreich ausgestalteten Kulisse, man denke: für einen einzigen Akt diese Leinwände, diese Gemälde (ein Poseidonzug nur für den Hintergrund), man sieht ihn im Parkett wohl nur mit Theaterglas, ein möglichst großes, möglichst interessiertes und vielleicht auch ein wenig nostalgisches Publikum zu wünschen.


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