Zehn Cent gespart

Das Wunder war keins. Ich ging, wie an allen Sonntagen des Jahres mit Ausnahme der Urlaubssonntage, zu meiner Tankstelle, an der ich seit meinem Flugversuch mit dem für Flüge nicht zertifizierten Toyota Avensis im Februar 2010 nicht mehr tanke, sondern nur noch Zeitungen kaufe. Ich bin dort ein guter Kunde, wie man so sagt, auch wenn mein Beitrag zum Gesamtumsatz wahrscheinlich deutlich geringer ist als der, den die Kaffeetrinker, die Brötchenkäufer und die Autowäscher leisten. Ich steuere den Zeitungsständer an, greife nach der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und nach der Geldbörse in eben dieser Reihenfolge, als mein Blick auf die Preisangabe auf der Titelseite fällt. 3,10 Euro steht da, ich habe offenbar ein Blatt in den Händen, das höchstwahrscheinlich als erstes seit Erfindung der beweglichen Lettern, ohne Vorwarnung billiger ist als die Ausgabe der Vorwoche. Ein Wunder.

Während Blätter sonst, also meine beiden regionalen Lieblingszeitungen einbegriffen, nach Jahren preislichen Verdrängungswettbewerbes, sich auf selbstverständlich nicht stattfindende Preisabsprachen geeinigt haben und jeweils gemeinsam zum ersten Juli die gestiegenen Papierpreise, die Druckkosten, den Tsunami auf dem Mars oder was auch immer, auf den Leser umlegen. Neuerdings wird auch gern der Qualitätsjournalismus ins Feld geführt, obwohl er dort meistens verbleibt, also im Feld, und den Rückweg bis in die Zeitung nicht mehr schafft. Währenddessen also erspart mir die Sonntagszeitung satte zehn Cent. Ich rechne eilig. Vierzehn Sonntage mal zehn Cent sind ein Euro vierzig, da kann ich mir ein Neues Deutschland außer der Reihe leisten. Das proletarische Kampfblatt ist, gemessen am Umfang, imperialistische Ideologen nennen dies Preis-Leistungs-Verhältnis, das teuerste auf dem Markt. Da muss man schon ein notleidender Ost-Rentner sein, um sich das dauerhaft leisten zu können.

Mein hochverehrter Tankwart, den ich von der Preissenkung umgehend per Augenschein in Kenntnis setzte, schaute auf die Preisangabe, hielt sodann den Strichcode wie üblich an seinen Scanner, und siehe, die Kennung warf als Preis die alten 3,20 Euro aus. Mein Tankwart und ich trugen die Differenz nicht bis zum Bundesverfassungsgericht oder nach den Haag, ich musste tatsächlich nur 3,10 Euro bezahlen. Immerhin bat er mich, doch in Frankfurt zu fragen, was ich tatsächlich zeitversetzt tat. Denn sollte, auch solche Fälle sind möglich, ein schlampampiger Drucker einen Fehler gemacht, ein schlampampiger Korrektor es übersehen haben, dann würde bei einer verkauften Auflage von einer halben Million ein Verlust von 50.000 Euro zu tragen sein. Die freundliche Dame in Frankfurt ließ mich ein Sekündlein warten, holte derweil ihr Exemplar und las mir vor: 3,20 Euro. Sie erläuterte postwendend, dass der Fehler vermutlich im Haus bemerkt wurde, die Auslieferung aber zum Teil nicht mehr gestoppt werden konnte. So hätte ich jetzt ein seltenes Exemplar, den Miller-Light-Fehldruck gewissermaßen, falls es da bei Freunden des Hollywoodstreifens „Arachnophobia“ klingelt. Bei Briefmarken und Banknoten sind solche Fehldrucke wertsteigernd, wie es bei Sonntagszeitungen ist, habe ich noch nicht probiert.

Noch gar nicht lange her ist es, da ich in der anderen Zeitung, die ich in meiner Tankstelle erwerbe, dies freilich an Sonnabenden, sie nennt sich Die Welt, einen ganzseitigen Bericht über ein Buch fand, in dem die Autorin Birgit Poppe sich auf 158 Seiten den „Blauen Reiterinnen“ widmet. Diese Damen ritten nicht etwa, sondern waren die Gattinnen respektive Partnerinnen der Malergruppe „Der blaue Reiter“ und als solche, das war die Überraschungsnachricht der Buchbesprechung, waren sie auch selbst Künstlerinnen. In der groß gesetzten Überschrift mit Unterzeile verwandelte sich die Buchautorin Birgit Poppe, die auch im Text fortwährend Birgit hieß, in Ulrike Poppe. So etwas nennt man einen Freudschen Verschreiber. Vielleicht ist Ulrike Poppe auch die Mutti von Birgit Poppe oder Birgit Poppe ist die Schwester von Grit Poppe, die wiederum ganz sicher die Tochter von Ulrike Poppe ist.

Verglichen mit diesem Fehler, dem eine gewisse Minipeinlichkeit nicht ganz abzusprechen ist, ist die Preissenkung per Fehldruck dann doch ein uneingeschränkt liebenswürdiger Vorgang.


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