Arthur Eloesser in der DDR: Heinz Knobloch

Als er dann gestorben war, gedachte auch der SPIEGEL seiner: „Heinz Knobloch, 77. Er war kein Widerständler, aber immer ein kritischer Geist. In 40 DDR-Journalisten-Jahren traf Knobloch in seinen literarischen Werken genau jenen Ton, der den Ostdeutschen ein Stück Heimat wurde – leise, listig, liebenswert.“ Die drei L also, könnte man sagen. Und Wilfried Mommert, der Agentur-Mann, den Ende diesen Jahres nun auch schon der 80. Geburtstag ereilen wird, baute in sein Gedenken für Redaktionen, die sich eigene Mühe ersparen wollten, diesen Satz: „Vor allem der jüdischen Geschichte und Kultur Berlins hat er ein würdiges und liebevolles Denkmal gesetzt.“ Ich bezweifle, dass dieser Satz fünfzehn Jahre früher in der Redaktion, die ihn 2003 dankbar abdruckte, so stehen geblieben wäre. Denn mit der jüdischen Kultur und Geschichte Berlins wie auch Deutschlands insgesamt war die DDR eher auf fremdelndem Fuß. Man umhalste daselbst lieber einen gewissen Arafat, man päppelte lieber palästinensische Terroristen in Regierungskrankenhäusern auf. Tief auch steckte den alten Genossen noch die frühe Zeit in den Knochen, da unter Stalin beinahe die schon vorsorglich aufgedeckte „jüdische Ärzteverschwörung“ zu einem Sowjet-Pogrom geführt hätte, wie wir es uns noch heute kaum vorzustellen wagen: kommunistischer Antisemitismus halt.

Heinz Knobloch (3. März 1926 – 24. Juli 2003) war in der DDR (und danach) vor allem der Mann des Feuilletons, der eine vierstellige Zahl von Texten dieses Genres publizierte, sehr viele davon in Büchern sammelte, die vielfach Auflagenhöhen erzielten, die ganze Bezirksverbände des DDR-Schriftstellerverbandes zusammen nicht erzielten. Wenn wir einmal von Berlin absehen, in dem sich, Ballungsgebiet eben, auch die Dichter und Denker ballten. Wenn ich nicht allzu viel übersehen habe, dann fallen Wendung und Neigung zum Jüdischen in der Geschichte Berlins und des nicht immer vereinten Deutschlands bei Knobloch vor allem in die 80er Jahre, was frühere Exkurse weder ausschließt noch in ihrer Bedeutung mindert. Hier geht es ohnehin nicht um die Verifizierung eines Agentur-Journalisten-Satzes, es geht um Arthur Eloesser. Keiner in der DDR, so die kaum sonderlich gewagte These, hat ihm so viel Aufmerksamkeit entgegen gebracht, so viel Wohlwollen und Kenntnisreichtum. Und damit einer späten Rezeption zugearbeitet, die bald mangels DDR erst einmal ihren Ur-Adressaten verlor und natürlich mangels gesamtdeutschen, sprich: westdeutschen, Interesses für plötzlich ostdeutsche Entdecker und Förderer auch den Nachfolge-Adressaten, soweit sie nicht gegen den Einmarsch in der ČSSR und die Biermann-Ausbürgerung protestiert hatten.

Die Geschichte der Eloesser-Rezeption nach 1945 hat einen genuinen Eigenanteil in der DDR gehabt, an dem zunächst Victor Klemperer mit negativer Nachrede aktiv beteiligt war (siehe dazu mein Beitrag „Arthur Eloesser in der DDR: Victor Klemperer“). Danach und bis zum Ende immer wieder Streugut, niemand entdeckte Eloesser als Thema für sich. In Büchern, die eigentlich ohne seinen Namen gar nicht denkbar wären, fehlt er trotzdem. Hieraus ist dem kleinen Unrechtsstaat auf deutschem Boden kein größerer Vorwurf zu basteln als dem größeren Rechtsstaat, in dem ohne alle Scham ein bekennender Antisemit und völkischer Theateraktivist nach 1945 die jüdische Kritik für sich entdeckte (und ausbeutete). Knobloch aber kam in dem Buch „Der Berliner zweifelt immer. Seine Stadt in Feuilletons von damals“ (Buchverlag Der Morgen 1977) dem nur nach Mauerfall giepernden Westen in einer Kleinigkeit deutlich zuvor. Der jämmerlich verstümmelte Neudruck des Buches „Die Straße meiner Jugend. Berliner Skizzen“ (Arsenal Berlin 1987) konfrontierte seine Leser erst zehn Jahre später mit den Texten, die Eloesser selbst für das Original 1919 gesammelt hatte. „Unter den Linden“ (1911) und „An der Stadtbahn“ (1918) fand der Feuilletonist geeignet für seine Zusammenstellung und schrieb dazu eigene, knappe Einführungen (mit fehlerhaften Daten).

„Er war Schriftsteller, Literatur- und Theaterkritiker und nannte, als er fünfzig wurde, eines seiner Bücher „Die Straße meiner Jugend“. Tucholsky besprach es 1920 in der „Weltbühne“, wehrte sich gegen ein paar zu gutmütige Erinnerungen an den Weltkrieg und lobte das Ganze. „Das alte Berlin … ist von Eloesser mit jenem heitern, freundlichen, liebevollen Spott gesehen, wie es sonst – außer dem alten Fontane, gelobt sei sein Name - nur noch Victor Auburtin gesehen hat: so mit einer zwinkernden Ironie, die ablehnt und doch nicht lassen kann zu lieben.“ Davor (deshalb vor allem der Hinweis, weil sich Knobloch 1989 dezent zu seinem Fehler bekennt) die Angaben: geboren 1870, gestorben 1942. Für Eingeweihtere: Knobloch nimmt natürlich den Namen Victor Auburtin besonders gern: der gab ihm einst das Diplom-Thema, von ihm sammelte er zwei Auswahlbände voll für seine DDR-Leser. Anzumerken schon hier: die Art, in der sich Tucholsky gegen „zu gutmütige Erinnerungen“ wehrte, übergeht der Zitierende dezent. So hält er es auch 1989 noch, als die „Wochenpost“ den umfänglichsten zusammenhängenden Beitrag über Eloesser, der eben von Heinz Knobloch stammt, ihrer riesigen Leserschaft präsentierte. Zum falschen Todesjahr steht da: „Arthur Eloesser war so verschollen, dass sein Todesjahr unklar blieb.“ So kann man es sagen.

Eine Nachprüfung, welche Quellen der Quellenkundler, Nachschlagewerk-Sammler und Intensiv-Rechercheur Knobloch auch 1977 schon hätte anzapfen können, unterbleibt hier: es geht um Verdienst, nicht um Fehlgriffe, die dennoch nicht verschwiegen werden: natürlich. Der Vortext zu „An der Stadtbahn“ geht so: „Das folgende Feuilleton aus dem Band „Die Straße meiner Jugend“ hat Tucholsky besonders gefallen. Er nannte Eloesser einen richtigen Berliner, „wie es so wenige
gibt, und er ist – erzittre, Welt! – ein leiser Berliner. (Das gibt’s nämlich. Fragt man die Leute um die Matthäi-Kirche.) Die Art, wie er in den Stadtbahngeschichten eine feine kleine Pointe nicht bringt, wie sie, ganz leise knallend, aufspringt, nachdem man längst fertig gelesen hat, ohne zu ahnen, was da herauskommt – das ist wunderhübsch gemacht.“ Tucholsky konnte loben wie keiner. Mir fällt immer der „Humor eines dicken Mannes“ ein, den er Irmgard Keun nachsagte. Weil sich Knobloch offenbar weitgehend oder gar ausschließlich an der „Weltbühne“ orientierte, sind eben Tucholsky und Rudolf Arnheim seine Gewährsmänner. Inwieweit er sich um andere in anderen Publikationen kümmerte, vermag ich nicht zu sagen. Auch Ursula Madrasch-Groschopp war ja, so Knobloch, „der Weltbühne arbeitslebenslänglich verbunden“, eine Entdeckerin in Sachen Eloesser.

Sie hat 1985 das Eloesser-Grab gefunden: „Auf einem der Berliner Friedhöfe, die heute zum Bezirk Potsdam gehören.“ So hieß es noch 1989 in der „Wochenpost“, Ausgabe 38, Seite 14. Den Bezirk gibt es längst nicht mehr, das „Lexikon Berliner Grabstätten“ von Hans-Jürgen Mende (Haude & Spener 2006) nennt Arthur Eloesser auf Seite 482, Anlage 13-04. Da sind Gräber des Wilmersdorfer Waldfriedhofs Stahnsdorf verzeichnet, zum Land Brandenburg gehörend, Anschrift (für Suchende): Bahnhofstraße 2, 14532 Stahnsdorf. Den Friedhof gibt es seit 1921. Das Ehrengrab für Eloesser gehört zu Feld C II-UW 1-8. Ich sah es, nachdem ich, falschen Verkehrsanbindungsinformationen folgend, von der falschen Seite kommend, es endlich gefunden hatte: am 12. September 2023. Sehr viel trockenes Laub dort: Ehrengrabpfleger hätten gut zu tun gehabt. Noch 1987, als der Berliner Buchverlag Der Morgen Knoblochs „Berliner Grabsteine“ veröffentlichte, galt die Ordnung „Bezirk Potsdam“ offensichtlich sehr streng: Arthur Eloesser kommt zwar namentlich vor, nicht aber als Inhaber einer Grabstätte, sondern als Verfasser eines Nachrufs für den Kollegen Moritz Heimann (19. Juli 1868 – 22. September 1925, Grabstätte auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee zu finden).

„Heimann „starb nach langem, schwerem Leiden in der Charité“, meldete das „Berliner Tageblatt“ am 22. September 1925. Arthur Eloesser schrieb im Nachruf über den Mann „mit einem Herzen, das Geist hatte, sehr viel Wissen und wohl auch ein wenig Menschenverachtung, die aber immer wieder zur Güte wurde“. Heinz Knobloch führte mich natürlich unbeabsichtigt zu der Tatsache, dass Eloesser offenbar auch für das „Berliner Tageblatt“ geschrieben hat, was ich wegen der früheren Konkurrenzsituation zur „Vossischen Zeitung“ erst einmal nicht für möglich gehalten hätte: bis zu diesem Beweis des Gegenteils. Die Abendausgabe 449 vom 22. September 1925 (Seite 4) bringt den Beitrag von Eloesser mit Hinweis „Nachdruck verboten“ und falsch geschriebenem Vornamen. In seinem 1979 ebenfalls im Buchverlag Der Morgen Berlin erschienenen Buch „Herr Moses aus Berlin“, 1989 gab es bereits die fünfte, eine durchgesehene Auflage, kommt Eloesser, man möchte meinen, folgerichtig, ebenfalls vor. Und zwar als Autor eines Großbeitrags im Unterhaltungsblatt Nr. 208 der „Vossischen Zeitung“ vom 6. September 1929 (Nr. 420, Morgenausgabe), Überschrift „Moses Mendelssohns 200. Geburtstag. Die Gestalt“, den Knobloch zitiert. Bertha Badt-Strauß (7. Dezember 1885 – 20. Februar 1970) schrieb auf der Seite über „Mendelssohn und die Berliner“.

Knobloch: „Es dürfte kaum ein Werk, auch nicht das Fragment eines Werkes von ihm geben, was außerhalb der wissenschaftlichen Kreise noch gelesen wird. Aber seine Figur blieb uns vertraut, die so ist, wie man sie gern zu einem Philosophen wünscht: klein, bucklig, hässlich, dabei schalkhaft, liebenswürdig und, wenn es darauf ankam, mit dem lächelnden Mute des Geistes ausgerüstet.“ Das schrieb Arthur Eloesser, als 1929 der 200. Geburtstag Mendelssohns Anlass bot, sich wieder mit ihm zu beschäftigen.“ Reines Zitat von 1929 ist auch das: „Mendelssohns philosophisches Ansehen gründet sich auf den „Phädon“; darin wird Sokrates um sein Dämonisches gebracht als ein fröhlicher Optimist eines antiken 18. Jahrhunderts.“ Schließlich kommt Knobloch noch auf einen Besuch Arthur Eloessers in Dessau zu sprechen. Dort gab es zum Jubiläum ein Festkonzert mit Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Von wem sonst, könnte man fragen. „Die „Vossische Zeitung“ hatte einen ihrer besten Feuilletonisten nach Dessau entsandt, Arthur Eloesser. Er schrieb: „Es war viel und auch schön, und wenn man den katholischen Priester vor der Bundeslade in der Synagoge mitaufstehen sah, spürte man, dass dieser kleine Moische vor 190 Jahren sich doch nicht ganz umsonst mit Schweinen und Kühen am Berliner Stadttor verzollen ließ.“ Mehr dann nicht.

Was nichts anderes bedeutet als: Heinz Knobloch kannte, als er „Herr Moses aus Berlin“ schrieb, Arthur Eloessers letztes Buch „Vom Ghetto nach Europa“ nicht, nicht einmal dem Titel nach. So blieb ihm, sicher auch mit dem persönlichen Kontakt zusammenhängend, den er zu Eloessers Enkel Michael Eloesser bekam - in der „Wochenpost“ vom September 1989 nennt er seinen Namen und zitiert ein Schreiben von ihm - die stille Korrektur eigener Fehler und Fehlstellen. „Kommt sein vokalreicher Name heute etwa noch in Kreuzworträtseln vor? Zu seiner Zeit war er als Theaterkritiker zuweilen gefürchtet“ - so geht es los, rhetorisch, denn vermutlich kam Eloesser nie in irgendeinem Kreuzworträtsel vor und wie gefürchtet er war, zuweilen oder öfter, wer will das wie beweisen? Sehr diskret erinnert Knobloch an Victor Klemperer, indem er ihn, dem Text in „LTI“ folgend, als Leser der Theaterkritiken vorstellt, alles andere aus Buch und Tagebuch bleibt außen vor. „Eloesser war Dramaturg und leitete später den Schriftstellerverband.“ Das hätte man auch 1989 gern schon präziser gewusst. Und ich bin mir nicht sicher, ob Eloesser 1931 wirklich so prominent war wie Alfred Döblin und Arnold Zweig. Knobloch schreibt das gut gemeint so hin, die später erstaunlich ausführlich gegebene Anekdote mit Heinrich und Thomas Mann spricht dagegen.

Da geht es um die Festsitzung der Akademie anlässlich des 60. Geburtstages von Heinrich Mann, Eloesser war erster Festredner, im folgte Gottfried Benn, den Knobloch nicht erwähnt. Dafür referiert er, wie Eloesser mehrfach den Heinrich mit Thomas ansprach und dass er die Anekdote Hermann Kesten verdanke. Eine Quelle nennt er leider nicht, sie wäre dem DDR-Leser auch im September 1989 noch nicht zugänglich gewesen, es sei denn in einer sehr gut bestückten Bibliothek. Wer nachlesen möchte, sei auf die vollständige Ausgabe von Kestens „Meine Freunde die Poeten“ verwiesen, bei Kindler 1959 ist es die Seite 41. Für die DDR war wichtig der Kommentar, den Knobloch anfügte: „Das sind die Minuten unseres Weiterlebens.“ Was nichts anderes heißt als: Wir mögen 60 Bücher geschrieben haben, wenn uns in Gegenwart der First Lady das Gebiss aus dem Mund fällt, gehen wir damit in die Geschichte ein, nicht mit unserer siebenbändigen Neudeutung von Shakespeares „Titus Andronicus“. Journalisten aller Länder, vereinigt euch, möchte man rufen und: Auch du, Knobloch. Verquer geht es ihm mit Eloessers zweibändiger Literaturgeschichte, von der eben nur der zweite Band „Von der Romantik bis zur Gegenwart“ heißt, Band 1 geht zurück bis zum Barock, aber darüber hat Rudolf Arnheim eben nicht 1931 in der „Weltbühne“ geschrieben.

Die lockere Aufzählung von Werken Eloessers übersehen wir freundlich, Knobloch kannte sich nicht genauer aus. Den Satz, dass der porträtierte Thomas Mann „sich zwar freute, den Verfasser aber nie ganz ernst nahm, weil er keine Romane schrieb.“ übersehen wir nicht. Thomas Mann hat etliche Leute sehr ernst genommen, die keine Romane schrieben, bezüglich seines Biographen Eloesser ist kein Zeugnis überliefert, das Knoblochs muntere Behauptung stützt, die wohl eher in eigener Sache und da sehr ironisch gemeint war: den Feuilletonisten nimmt herkömmlich niemand ernst, weil er keine Romane schreibt. Direkt falsch ist die Behauptung, Eloessers Bücher seien im Mai 1933 mit verbrannt worden. Irreführend ist auch die Behauptung, Eloesser habe sich geweigert zu emigrieren, stattdessen lieber Demütigungen ertragen. Dass Heinz Knobloch auch einen sehr persönlichen Bezug zu seinem Gegenstand herstellen konnte, ist typisch Knobloch: der kaufte in jungen Jahren, als es die später verschwundene Prenzlauer Straße noch gab, in einem dortigen Antiquariat Nachschlagewerke. Und war sich 1989 sicher, dort, wo das Haus Nummer 26 früher stand, ist „auf den Punkt genau dort, wo unser Verlagshaus steht“. Wenn ich dort einlief, führte es mich bis 1990 zur „Berliner Zeitung“ oder zur „Jungen Welt“. Zur „Wochenpost“ leider niemals.

P.S. Ich verdanke Heinz Knobloch neben dem Hinweis auf das „Berliner Tageblatt“ auch eine peinliche Berührung. Die anonyme Gratulation der „Weltbühne“ zum 60. Geburtstag Eloessers, die weder das Register des 26. Original-Jahrgangs von 1930 noch das von Elmar E. Holly erarbeitete Register „Die Weltbühne 1918 – 1933“ erkennbar ausweist, ist mir bei aller Arbeit an dem von mir bevorworteten und mit einem vollständigen Personenregister ausgestatteten Band „Arthur Eloesser. Beiträge in der Weltbühne von 1922 bis 1930“ (bisher nur Privatdruck) schlicht entgangen. Sie findet sich im Register der anonymen Beiträge nur mit dem Titel „Antworten“ auf Seite 484 in der Nummer 13 vom 25. März 1930, also nur wenige Wochen nach Arthur Eloessers eigenem letzten Beitrag in der „Weltbühne“ (Nummer 7 vom 11. Februar 1930). Auch unter den „Antworten“.


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