Bob Dylan, wow!

Wenn ich mehr als zwei Jahre nicht aus dem Nähkästchen plauderte, dann keineswegs, weil nichts drin war. Wenn ich die Pause jetzt abrupt beende, dann keineswegs, weil ich Punkt 13 Uhr auf EuroNews die Tür in Stockholm aufgehen sah und dann diesen Namen hörte. Bob Dylan mit schwedischem Akzent, das klingt nordisch und ich bin mir pflichtbewusst klar, dass ich eigentlich darüber reflektieren muss, ob man das Wort nordisch noch unbefangen benutzen kann. Meine Kinder, die längst erwachsen sind, kennen Bob Dylan aus der RTLSamstagnacht-Show, die bis heute unübertroffen ist. Dort gab es nicht nur das singende Duo „Die Doofen“ mit ihren Liedern, die die Welt nicht braucht, dort gab es eben auch diesen Bob Dylan, parodiert von Olli Dittrich. Wer je ein Konzert des späteren Bob Dylan hörte, von dem man jahrelang dachte, es könne eigentlich gar keinen jungen Bob Dylan je gegeben haben, der wusste, wie sensationell Dittrich den Punkt traf. Die Öffentlich-Rechtlichen hatten eine Kunstpause, bis die Nachrichtenschreiber endlich die Nachricht geschrieben hatten, die dann verlesen, eingeblendet und so weiter werden konnte, musste, durfte. Demzufolge hat ein Musiker den Nobelpreis für Literatur gewonnen, was hinreichend viel Kuriosität hat. Da auch noch Dario Fo starb, eine andere Preis-Kuriosität, ist es ein Kuriosity-Day.

Da ich tagsüber normalerweise nicht mit dem Verfassen von Tagebuch-Eintragungen für den nächsten Tag beschäftigt bin, ich habe als Redaktionsleiter erlebt, welch radikale Häme ein Text auslösen kann, der schon vorgeschrieben wurde, um dem vom späten Termin heimkehrenden Redakteur den Feierabend nicht noch weiter zu vermiesen, nur wurde der Beschluss gar nicht mehr gefasst, dessen Vollzug am Folgetag in der Zeitung stand, da ich also gebrannte Kinder persönlich kannte, bevorzuge ich im allgemeinen die Eule der Minerva, die in der Dämmerung ihren Flug beginnt und selten bis Athen kommt. Ich ging die zirka sechs Meter Luftlinie vom Fernsehplatz bis zum CD-Regal hinter meinem Arbeitsplatz, zählte mit dem Zeigefinger der rechten Hand meine Bob-Dylan-Scheiben, kam auch im zweiten Versuch auf exakt zehn und gab mich damit zufrieden. Alsdann bestieg ich einen Stuhl aus dem Arbeitszimmer, den ich ins Wohnzimmer gezogen hatte, um mein sehr dickes und einziges Buch von Bob Dylan, es wiegt 1,342 Kilogramm, und liegt quer auf meinen sechzehn Bänden Paul Auster (Jahrgang 1949), in beide Hände zu nehmen. Zu späterer Stunde übertönte ich mit meinen drei Lieblings-Dylan-Songs von „The Freewheeling Bob Dylan“ den Nachrichtenblock zum Syrer, dem keine akute Suizidgefährdung anzumerken war.

Für Peter, Paul und Mary, die nicht wissen können, welche Songs das sind, nenne ich sie in der Reihenfolge ihres Erscheinens als Titel 3, Titel 6 und Titel 7 der Scheibe: „Masters Of War“, „A Hard Rain's Gonna Fall“ und „Don't Think Twice, It's All Right“. Durch zielgerichtetes Aufschlagen meines gedruckten Bob-Dylan-Ziegels auf den Seiten 129ff ermöglichte ich der des Englischen nicht gänzlich mächtigen Teilnehmerin meines Ehelebens das Mitlesen während des aus dem Arbeitszimmer tönenden Gesangs, ich presste mir selbst derweil die Refrains im Original zwischen den Zähnen hervor, Gänsehaut auf meinen Unterarmen bemerkend. Ich machte meine des Englischen nicht gänzlich mächtige Gattin zwischenzeitlich darauf aufmerksam, dass „mein kleiner John“ eine ungewöhnlich freie Übersetzung von „my blue-eyed son“ ist und löste damit erwartungsgemäß keine Entrüstung aus. Wir wissen aus zweiundvierzigeinhalb Jahren gemeinsamen Herumlebens, dass Lyrik nicht übersetzbar ist, und wenn wir es doch einmal zwischendurch vergessen, zitiere ich die einschlägigen Aussagen von Marcel Reich-Ranicki dazu. Von meinen eigenen Gedichten sind nie welche übersetzt worden, von meinen Literaturkritiken eine ins Arabische und ich weiß bis heute nicht, ob die Übersetzung gut oder schlecht war.

Am Dienstag entnahm ich der Neuen Zürcher Zeitung einen längeren Beitrag, der das nachvollzog, was ich vor Jahren für ein paar Vorträge selbst recherchiert und statistisch ausgewertet hatte, ich erinnere mich der begierig lauschenden Hörer der Senioren-Akademie der TU Ilmenau und des Germanistik-Ferienkurses daselbst und einmal traf mein Tipp sogar zu, Alice Munro hatte ich aus meinem eigenen statistischen Kaffeesatz gelesen. Weil noch Platz ist, teile ich an dieser Stelle leicht willkürlich auch meinen Ärger über die Titelseite der heutigen ZEIT mit (die den Preis erst nächste Woche hat, ätsch): Dort lese ich: „All die Romane, die Sie in diesem Herbst lesen müssen“, das soll Werbung für die Literaturbeilage sein. Ich lese ganz sicher keinen einzigen dieser Romane, schreibe aber von einem gebrauchten Briefumschlag auf meinem Arbeitstisch dies ab: „Heutzutage kann jeder Trottel jeden Mist Roman nennen, es ist Blödsinn und trotzdem niemals falsch. Denn Roman ist, was so genannt wird.“ Die Stelle in meinen Tagebüchern, die verrät, welcher „Roman“ mir dies Diktum abnötigte, ist geschwärzt. Anlässe, lernte ich einst im sozialistischen Geschichtsunterricht, sind streng von Ursachen zu unterscheiden. Ich habe, würde ich auf der Folter bekennen, keine Ursache, aber jede Menge Anlässe. Bob Dylan ist total okay, ey, also total total.


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