Kleist: Prinz Friedrich von Homburg/Borchert: Draußen vor der Tür; Südthür. Staatstheater Meiningen

1975, lang ist es her, präsentierte das Deutsche Theater Berlin einen Kleist-Doppelabend. Gespielt wurden hintereinander „Prinz Friedrich von Homburg“ und „Der zerbrochne Krug“. Möglicherweise hat Hans Nadolny (Jahrgang 1937), der von 1967 bis 2002 als Dramaturg am DT arbeitete, die Idee für diesen neuen Doppelabend von daher. Meiningen zeigt „Prinz Friedrich von Homburg“ gekoppelt mit „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Die Regie übernahm Intendant Ansgar Haag, es gibt eine Pause nach dem vierten Akt Kleist, danach werden der fünfte Akt und der Borchert bis 22.15 Uhr im fließenden Übergang gespielt. Das Publikum der ersten Premiere spendete langen Beifall ohne das oft übliche Fanclub-Quietschen und -pfeifen, man darf den Applaus der leider nicht ganz gefüllten Reihen also ernst nehmen. 1975 schrieb der Kritiker Günther Cwojdrak: „Dass man diese beiden Stücke koppelte, leuchtete mir von Anfang an nicht ein; auch der Abend hat nichts gebracht, was meine Meinung hätte ändern können. Bis auf einen Punkt: es war schon ein besonderes Vergnügen, die Schauspieler, die man gerade im Prinzen von Homburg gesehen hatte, nun großenteils im Zerbrochnen Krug wiederzufinden.“

Auch der Meininger Doppelabend hat diesen besonderen Punkt, der freilich mit dem Wort vergnüglich irreführend bezeichnet wäre. Besonders drei Akteure setzten für mich die spielerischen Akzente. Erwartungsgemäß, fast will mir das Wort natürlich dazwischen rutschen, Hans-Joachim Rodewald, erst der Kurfürst, dann ein Oberst. Kaum sehr viel weniger erwartungsgemäß Anja Lenßen, erst die beherrschte Kurfürstin im Übergang zum Verlust der Beherrschung, dann eine herrliche Elbe. Dann aber dieser Hagen Bähr. Dem beide Hauptrollen, erst Prinz, dann Beckmann, zu große Last hätten werden können und es gerade nicht wurden. Der Zugewinn dieses Doppelabends, wenn es ihn denn schon geben soll, ist die souveräne Demonstration der Lebendigkeit dieses fast 70 Jahre alten Nicht-Dramas von Wolfgang Borchert. Er verdankt sich vor allem Hagen Bähr, der auch ein Prinz war, der schnell in seine Rolle fand und ihr dann Profil gab. Borchert ist, mit Verlaub, immer noch überwältigend, ich hätte freilich gern den ganzen Beckmann noch viel lieber gesehen als den gestrafften. Insgesamt aber, es sei zugestanden, ist die Textgestalt des Doppelabends schlüssig, die Art des spielerischen Übergangs mit Kostümwechseln auf offener Bühne (Kostüme Jessica Karge) funktioniert.

Was auch funktioniert, so lange darauf noch gesondert hingewiesen werden muss, soll es nicht im Text versteckt werden: Der Schluss des „Homburg“. Man kann von der Bühne herab rufen lassen: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ ohne dass es peinlich berührt. Auch wenn sicher auf Jahre hinaus noch in jedem Theatersaal, wo vorn der „Homburg“ spielt, im Parkett Bedenkenträger sitzen werden, die mit ihren Knöcheln knacken und mit der Pausenbrezel im Mund den Kopf wiegen: hin und her und her und hin. „Prinz Friedrich von Homburg“ ist großes Theater, bleibt großes Theater, der dramaturgische Staublappen muss nicht geschwungen werden. Natürlich kann man immer fragen, ob dieser Traumtänzer Homburg, dieser Nachtwandler, Schlafwandler, Somnambule, wie man das zu Kleists Zeiten nannte, ein glaubhafter Feldherr ist, den ein oberster Kriegsherr mit so viel Verantwortung ausstattet. Der tatsächliche Homburg war deutlich älter, doch eben um den ging es dem Dichter Kleist ja nicht. Überhaupt ist es 2015 von sehr untergeordneter Bedeutung, was Kleist einst beinahe operativ wollte. Seine ganz aktuellen Wirkungsabsichten, soweit sie sich rekonstruieren lassen, hat er verfehlt. Die spätere tatsächliche Wirkung lag weder in seinen Händen, noch ist sie ihm anzulasten.

Die Konfliktlage zwischen Gesetz und Gefühl, zwischen Befehl und Initiative im engeren militärischen, aber keineswegs nur militärischen Sinne, hat Bestandskraft. Und wer geneigt ist, dem Kurfürsten vorschnell Unmenschlichkeit vorzuwerfen, dem Prinzen noch schneller zu verzeihen, weil der Sieg in der Schlacht vermeintlich das Mittel zum Sieg nachträglich rechtfertigt, der sollte innehalten. Denn es steht die Prinzipfrage unausweichlich: Gibt es Recht, das sowohl gilt als auch nicht gilt? Beim Kriegsrecht mit seinen brutal endgültigen Rechtsfolgen neigt jeder dazu, die Ausnahmen zuzulassen. Der Blick in die reale Kriegsgeschichte lehrt: Erschießungskommandos zur Disziplinierung der Truppe sind nicht an eine bestimmte Gesellschaftsordnung gebunden. Geht man jedoch einen Schritt weiter zum Rechtsstaat, ist die Frage fast bedrohlich: Kann ein Rechtsstaat Ausnahmen von seiner Rechtsstaatlichkeit zulassen, wer legt sie fest, gar parlamentarische Mehrheiten nur oder schon kleinere Gremien? „Prinz Friedrich von Homburg“ muss gar nicht aufgepeppt werden, um Nahwirkung zu erzielen. In Meiningen braucht die Inszenierung eine Weile, bis sie in Bann zieht, was sie vielleicht, folgt man dem Einstieg auf der schrägen Spielfläche (Bühne Kerstin Jacobssen), gar nicht unbedingt sollte.

Ansgar Haag arbeitet mit Projektionen auf einer Leinwand (Video Maryvonne Riedelsheimer) und kontrapunktischer Musik (Antonia Dering), das eine greift auf den zweiten Teil des Doppelabends vor, das andere verfremdet die aus dem Spiel wachsende Stimmung. Das Spiel: Auch Meret Engelhardt als Prinzessin Natalie von Oranien braucht eine Weile, bis sie es schafft, dann allerdings sehr überzeugend, die starke Bühnenfrau zu sein, die Heinrich von Kleist da mitten in Zeiten ungebrochen patriarchaler Strukturen für sein Stück erschuf. Was aber macht ihr diesen Handschuh so wichtig, dass sie wie besessen nach ihm kriecht? Im Borchert-Teil ist sie ein namenloses Mädchen, das Beckmann aufnimmt, ihm den viel zu großen Mantel des vermissten Gatten gibt. Auf andere Art stark, desillusioniert. Michael Jeske, erst Feldmarschall Dörfling, dann Beerdigungsunternehmer, ohne Jeske-Dröhnen eindrucksvoll. Seine Befehlsausgabe eine komödiantische Insel. Björn Boresch und Sven Zinkan in Uniform wenig auffällig, gefordert als „Der Andere“ und als „Ihr Mann“. Schließlich Peter Bernhardt, der Kottwitz, im Borchert der alte Mann. Entging dem Haudegen-Klischee der Obristenrolle nicht ganz, die Versuchung dazu ist allerdings schon vom Text her sehr groß.

Viele Szenen auf der Höhe des Textes, vor allem Hagen Bähr in Haft, nach Ansicht des schon für ihn geschaufelten Grabes, bei der Kurfürstin, Meret Engelhardt im Dialog mit dem Kurfürsten. Und „Draußen vor der Tür“ - das ist ein Monolog mit verteilten Rollen, mit ganz starken Momenten, wenn alle wie ein Sprechchor rhythmisch rufen, Gott mit Blindenbinde. Hagen Bähr geht am Ende in den Zuschauerraum, die berühmte Schlussfrage Borcherts wieder und wieder stellend „Gibt denn keiner, keiner Antwort?“ Als das Berliner Hebbel-Theater 1948 den Beckmann auf die Bühne brachte, schrieb der Kritiker Fritz Erpenbeck ihm nach: „Seine Aussage ist von einer Primitivität, wie ich sie lange nicht mehr von einem Auditorium ernst genommen fand. Dieser Heimkehrer Beckmann steckt einfach voller Ressentiment billigster Art, das er wie eine Kostbarkeit vor sich herträgt. Dieser Beckmann ist sentimental bis auf die weichen Knochen.“ Ich kenne keinen böseren Verriss und freue mich des von Ansgar Haag vorgelegten späten Gegenbeweises. Auch Kritik kann voller billiger Ressentiments stecken, sogar wenn der Kritiker eigentlich gar nicht als einer gilt, der erst zu heiß gebadet wurde und dann vom Wickeltisch fiel. Mehr Doppelabende wünsche ich mir trotz allem nicht, es sei, man koppelte mehrere Einakter. Das es solche massenhaft gibt in der Theaterliteratur, müssen Bühnen neu lernen, dann fleddert man vielleicht wieder weniger Romane.
www.das-meininger-theater.de


Joomla 2.5 Templates von SiteGround