Albert Camus zweimal kurz

Bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur war nur Rudyard Kipling jünger als er: Albert Camus nahm den Preis am 10. Dezember 1957 entgegen, wenige Tage nach seinem 44. Geburtstag. „Die Kunst ist in meinen Augen kein einsiedlerisches Vergnügen. Sie ist ein Mittel, die größtmögliche Zahl von Menschen anzurühren, indem sie ihnen ein beispielhaftes Bild der gemeinsamen Leiden und Freuden vorhält. Sie verlangt also vom Künstler, sich nicht abzukapseln; sie unterwirft ihn der bescheidensten und zugleich allumfassendsten Wahrheit.“ Mit diesem Bekenntnis bedankte sich Camus für die Preisverleihung in Stockholm. Schon am vierten Januar 1960 endete in einer Kurve nahe des kleinen Ortes Villeblevin Camus' Leben. Sein Unfalltod hat seither immer wieder dazu gedient, seinen philosophischen Grundanschauungen den Charakter einer fatalistischen Vorahnung zuzusprechen. Und tatsächlich ist die Versuchung groß, das Absurde, eine zentrale Kategorie seines Weltbildes neben der Freiheit, neben der Revolte, wirken zu sehen in seinem frühen Tod. Doch ist mit derartigen mystischen Verklärungen weder dem Leben noch dem faszinierenden Werk von Albert Camus beizukommen. „Die Pest“ und „Der Fremde“, „Der Fall“ und „Das Exil und das Reich“, zuletzt „Zwischen Ja und Nein“ liegen bei uns gedruckt vor, Werke, die zu kritischer Interpretation herausfordern, zuallererst aber tiefe Wirkungen hinterlassen. Die moderne bürgerliche Literatur hat wenig Gleichwertiges vorzuweisen, weder an Fragen, noch an Antworten. Am 7. November wäre Albert Camus 75 Jahre alt geworden, und nicht nur Frankreich wird seiner gedenken.
  Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, Nr. 18, Jahrgang 31
  am 4. November 1988, Seite 5, Titel: Der Wahrheit unterworfen

Bei der Verleihung des Literatur-Nobelpreises war nur einer jünger als Albert Camus: Rudyard Kipling, der den Preis 1907 zugesprochen bekam. Camus hat ihn genau 50 Jahre später, am 10. Dezember 1957, entgegengenommen. Die Juroren, die dazu neigten, gerundete Lebenswerke zu honorieren, konnten nicht ahnen, daß ein tragisches Geschick dem Laureaten Camus nur noch zwei Jahre Zeit ließ, daß sie also doch nahezu ein Lebenswerk ausgezeichnet hatten. Jetzt kann man nachlesen, wie dieses Werk begann. In der Gustav-Kiepenheuer-Bücherei ist als Band 68 eine Sammlung früher Schriften von Albert Camus unter dem Titel „Zwischen Ja und Nein“ erschienen. Als Herausgeberin zeichnet Brigitte Sändig verantwortlich, die 1983 bereits bei Reclam eine Camus-Biographie vorgelegt hat und der wir auch die Ausgrabung der aufregend polemischen Essays „Die Wachhunde“ von Paul Nizan verdanken. „Zwischen Ja und Nein“ könnte auch über dem gesamten Werk stehen. Camus hat seine ersten beiden Bücher 1937 und 1938 in Algier herausgebracht. Man merkt den frühesten „Versuchen“ (in diesem Sinne ist „Essais“ gemeint) kaum an, daß sie von einem Zweiundzwanzigjährigen geschrieben wurden; allenfalls die Absolutheit manchen Satzes, die jugendliche Neigung, Dunkelheit mit Tiefe zu verwechseln, sind manchmal verräterisch. Die Philosophie von Albert Camus, die schon sehr deutlich wird auf diesen Seiten, ist durchaus nicht unsere. Aber wieviel gelassener können wir sie heute distanzieren; wichtiger als das Trennende ist uns das Verbindende. Zu entdecken gilt es, daß Camus' Werk von erstaunlicher Homogenität ist, eigentlich von Anfang an in allen seinen Wesenszügen da. Mit Gewinn lassen sich nun auch „Die Pest“ und die Erzählungen neu lesen. Zu danken ist der Herausgeberin und dem Verlag (50 Seiten erscheinen immerhin erstmals in deutscher Sprache), zu loben ist eine Reihe, die nur Lob verdient.
  Zuerst veröffentlicht in JUNGE WELT, Jahrgang 41, Nr. 58A, Seite 13
  am 10. März 1987, Titel: Ja oder Nein, unter Pseudonym Ulrich Steinnagel


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