Peter Rühmkorf zum Geburtstag

Ach, so rasch sind sie herbeizitiert: die Sprüche aus der randvollen Kammer vorgekochten Lobs, jeder Silbe will Weihrauch entsteigen, kaum daß sie den anderen beibefohlen und alles nur aus einem Grunde: einer wird, wofür er wenig kann – sechzig.  Viele werden sechzig und sie mögen auch neunzig werden, es gedenkt ihrer keiner im Blätterwäldchen, einige aber müssen ihn erdulden: den angestrengten Versuch der Würdigung. Den Versuch, ihnen die Aura des Nun-schon-nicht-mehr-ganz-Unklassischen zu verleihen, sie in Epochenzusammenhänge zu verbauen, die unversehens die Macht der Schwerkraft außer Kraft zu setzen scheinen. Das mindeste aber wäre ihr Junggebliebensein, denn – unter uns scheinheiligen Brüdern – wir wagen doch nicht zu sagen, daß sein Husten schon besser geklungen habe einst im Mai und als noch Ludwig Ehrhard von „Pinschern“ redete, wenn er Dichter meinte, die es sich unwohl sein ließen im „Wohlstandsstaat“ BRD.

Drehen wir es also nicht: er wird tatsächlich sechzig nun, der einst einen „Lyrik-Schlachthof“ eröffnete und liefert der soziologisch wenig signifikanten These ein Argument, daß das krisengeschüttelte Jahr 1929 ein gutes Jahr war beim Hervorbringen künftiger deutscher Dichter von Rang. Von Peter Rühmkorf ist natürlich die Rede. Der kürzlich eine Lesereise durch unser Land machte und korrespondierendes Mitglied unserer Akademie der Künste ist. Schlicht entwaffnender Charme ist ihm da nachgesagt worden. Und ein Werkstattgeheimnis: er brauche 150 (einhundertfünfzig) Seiten für ein Gedicht. Ich mag ihn, weil er wie sein alter ego Leslie Meier die „Ironie dritten Grades“ beherrscht und weil er seine Sammlung aufgeklärter Märchen ausklingen ließ mit der aberwitzig-aktuellen Utopia-Beschwörung „Fortsetzung folgt“, deren letzte Seite dreist erinnert: wollte da nicht einer im Bunde der Dritte sein, hielt da ein andrer nicht seine Rede an die „Fürsten Europens“? Aufklärung – mir scheint Eile angeraten: im Bundes droht der undankbare vierte Platz. Je nun, Peter Rühmkorf, der immer auch selbsironisch gesungen hat – was ihn hebt über die selbstgerecht Meinenenden – von Schwerkraft, besteht darauf: „Und wie gesagt oder nicht // wer nicht lieber lebt als schreibt, kann das Dichten auch ganz aufgeben.“

Wir vertrügen wohl, die wir lieber leben, noch etwas mehr von ihm. Und haben uns schon erfreut an den Gedichten, die 1982 zu uns kamen unter dem Titel „Phönix voran!“ (in der Weißen Reihe von Volk und Welt), an den besagten Märchen, die „Dintemann und Schindemann“ hießen (bei Reclam) und an der „Kleinen Fleckenkunde“ (als Insel-Buch). Peter Rühmkorf ist zu Hause in der Tradition, er nimmt sie sich her, die Philosophie, die Literatur, die Wissenschaft, er schustert, schneidert, dreht und wendet, macht, was er schreibt, zum Genußmittel. Er ist nun wohl auch schon ein Zeitzeuge. Den Heinrich-Heine-Preis, den er knapp vor Jahresfrist in Empfang nahm in der Deutschen Staatsoper Berlin, hat er übrigens auch zum Anlaß genommen zu sagen, was er hier bei uns gefunden hat, nämlich „mehr geistiges Leben und ernsthaftes Kunststreben ... als manche Kulturreaktionäre meines Landes uns glauben  machen wollen.“ In seinem Land, der BRD, dem er bis heute seinen kritischen Blick und sein kritisches Wort nicht aufgekündigt hat – verhallte da nicht  -  wie so vieles – auch dies: „Man kuckt in die Zukunft – jedenfalls ich! - wie in eine Geschützmündung.“? Auch aus diesem Grunde: Grüße nach Hamburg, Grüße an Peter Rühmkorf.
 Zuerst veröffentlich in: BERLINER ZEITUNG 252, Seite 7, am 26. Oktober 1989
 unter dem Titel: Was er schreibt, wird Genußmittel; nach dem Typoskript


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