Wladimir Tendrjakow: Der siebente Tag

„Sieg … Davon würden sie später wohl endlos reden, von Jahrhundert zu Jahrhundert: der große Krieg, der heroische! Und wer würde daran denken, dass die heroischen Siege nicht von begeisterten, sondern von müden, grenzenlos erschöpften Menschen errungen wurden?“ Solche Gedanken bewegen Shenja, den Helden der Novelle „Drei Sack Abfallweizen“, die Wladimir Tenrjakow 1973 veröffentlichte. Sie enthalten auch ein Motiv, das in den drei Erzählungen eine Rolle spielt, die der Militärverlag jetzt unter dem Titel „Der siebente Tag“ in seiner Taschenbuchreihe herausgebracht hat. Das Alltägliche, das Unheroische dieses gewaltigen unermeßlich opferreichen Krieges gegen die faschistischen Interventen erscheint hier aus der Sicht junger Nachrichtensoldaten. Alle drei Erzählungen sind stark autobiographisch geprägt, sowohl der Sergeant Tenkow in den ersten beiden Erzählungen als auch der Ich-Erzähler in der dritten gestatten uns eine sehr direkte Begegnung mit Tendrjakows eigenen Kriegserfahrungen.

Er kämpfte im Sommer 1942 zwischen Don und Donez wie Tenkow, er wurde 1943 bei Charkow schwer verwundet, so schwer, daß er 1944 demobilisiert wurde. „Der Tag, der das Leben verdrängte“ und „Der siebente Tag“ stammen aus dem Nachlaß Tenrjakows (er starb am 3. August 1983). Gestaltet die erste Erzählung das prägende Erlebnis des ersten Fronttages in der Steppe, greift „Der siebente Tag“ den Tag des ersten Rückzugs nach einem deutschen Durchbruch heraus. Für den Sergeanten Tenkow ist der Krieg vor allem härteste körperliche Arbeit unter ständiger Lebensgefahr. Stellungen werden ausgebaut, Kabel verlegt für die notwendigen Nachrichtenverbindungen. Winzige, für sich genommen vollkommen bedeutungslose Handlungen fordern Opfer: ein Soldat stirbt, als er einen größeren Spaten holt, ein anderer will einen einzelnen Verwundeten nach hinten begleiten und wird von einer verirrten Kugel getroffen. Aber: aus der Summe dessen, was all die einzelnen tun, jeder an seinem Platz, erwächst letztendlich der Sieg. Ein einziger Tag verdrängt die Erfahrungen des ganzen bisherigen Lebens, die Wucht des Erlebten lässt alles Vorherige zu einem „mageren Erinnerungspaket“ schrumpfen.

In der Titelerzählung hat der Soldat Tschulikow die rettende Idee, aus Kesselwagen und anderen Fahrzeugteilen eine zweite Fähre über den Don zu bauen. Die drohende Rückzugspanik kann gebannt werden, die gemeinsame Arbeit bringt nicht nur Ordnung, sondern auch neuen Mut. Tendrjakow führt vor, aus welchen Quellen die Kraft kam, auch scheinbar ausweglose Situationen zu durchstehen, weiterzukämpfen. „Ein Brief mit zwanzig Jahren Verspätung“ schließlich, in der ersten Fassung bereits 1962 erstmals gedruckt, bringt eine überraschende Erfahrung: mitten im bitteren Ernst des Krieges wuchs auch Komisches. Tendrjakow erzählt es mit verhaltenem Humor, nichts Unangemessenes liegt in seiner Verflechtung von Tragischem und Komischem. Die Nachträge zu dieser Erzählung zeigen, dass authentisches Geschehen erzählt wird. Den Übersetzerinnen Hilde Angarowa und Hilde Eschwege, dem für die Auswahl Verantwortlichen Hans-Dieter Tschörtner und Nadeshda Ludwig, die ein knappes Nachwort schrieb, haben wir zu danken für die Rundung des Bildes von einem der ganz großen Autoren der Sowjetliteratur.
Zuerst veröffentlicht in: Tribüne Nummer 256 vom 30 Dezember 1988, Seite 13 unter der Überschrift: Stunden der Bewährung im Alltag des Krieges; nach dem Typoskript

Seit 1956 zum ersten Male ein Buch von Wladimir Tendrjakow in der DDR erschien, ist dieser Autor immer mehr zu einem Begriff geworden. Lang ist mittlerweile die Reihe der Bücher von ihm, die wir lesen konnten, nicht wenige davon haben bewegte Diskussionen ausgelöst durch die rigorosen Befunde, die sie gestalteten. Erinnert sei hier nur an „Die Abrechnung“ oder an die „Sechzig Kerzen“. Viel zu früh starb Tendrjakow am 3. August 1983, noch nicht sechzig Jahre alt. In seinem Nachlass fand sich manches Manuskript, vieles blieb wohl auch ungeschrieben. Zwei Erzählungen aus seinem Nachlass und eine in einer ersten Fassung schon 1962 veröffentlichte vereinigt der Band „Der siebente Tag“, den der Militärverlag jetzt in seiner Taschenbuchreihe herausgab. Es ist kein ganz neuer Tendrjakow, der uns begegnet, dennoch bieten die drei Erzählungen durchaus Ungewohntes.

Der Autor gestaltet seine Kriegserlebnisse, die in den anderen uns bekannten Büchern keine Hauptrolle spielten. In „Der Tag, der das Leben verdrängte“ und in „Der siebente Tag“ ist es der Sergeant Tenkow, in „Ein Brief mit zwanzig Jahren Verspätung“ ein zunächst namenloser Ich-Erzähler, der sich dann ganz direkt als der Autor selbst zu erkennen gibt, mit deren Augen wir am harten, bitteren und opferreichen Kampf gegen die deutschen Aggressoren teilnehmen. Ganz unterschiedlich bestehen die jungen Soldaten ihren ersten Tag an der Steppenfront, plötzlich angstschlotternd der eine, ruhig und besonnen wie ein uralter Frontsoldat ein anderer. Den einen trifft eine Kugel, als er einen größeren Spaten zum Schanzen von einer benachbarten Einheit holen will, den anderen, als er, um aus der größten Gefahrenzone herauszukommen, einen Verwundeten in die hinteren Linien begleitet. Tenkow selbst sieht seinen Glauben an die Militärtechnik auf eine harte Probe gestellt, als er erfährt, wie leicht der große KW-Panzer außer Gefecht zu setzen ist. Gemeinsam mit den anderen beobachtet er aber auch eine Fliegerin, die im Luftkampf mit einem deutschen Flugzeug Bewundernswertes zeigt.

Am Ende des ersten Fronttages, sind alle, die überleben, andere geworden, das Leben vor dem Krieg ist zu einem „mageren Erinnerungspaket“ geschrumpft. Fertig werden müssen sie am siebenten Tag mit der quälenden Tatsache des vorübergehenden Rückzuges: die Faschisten haben die Front durchbrochen. Die Initiative eines Soldaten hilft, die zwischenzeitlich entstehende Panik zu bannen, neue Zuversicht kommt auf. Tendrjakow hat in den beiden Nachlass-Erzählungen bewusst deutlich gemacht, dass sie aus heutiger Sicht geschrieben sind. Nur Schauder empfindet Tenkow angesichts eines gefallenen Feindes, Hass will sich nicht einstellen. Kraft und Mut kommen ihm nicht aus weit gespannten Reflexionen, sie kommen aus Kleinem, gänzlich Unheroischem. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die dritte Erzählung „Ein Brief mit zwanzig Jahren Verspätung“ auch ausgesprochen komische Szenen gestaltet, die es eben auch gab, mitten im Krieg. Tendrjakow hat 1977 einen Brief von der Frau erhalten, an die er 1943, als Arrestant aus einer Laune heraus geschrieben hatte. „Der siebente Tag“ ist ein Buch gegen das Vergessen, ein Buch vom Krieg gegen den Krieg.
Bisher unveröffentlicht, im November 1988 geschrieben für Freies Wort, Suhl


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