Franz Xaver Kroetz: Stücke

Das Buch, von dem hier die Rede sein soll, erschien im Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin 1975. Sechs Jahre später gab es unter gleichem Titel im gleichen Verlag ein weiteres Buch, deutlich dicker. Manches darin stand auch im ersten, für manches war der DDR-Leser offenbar inzwischen reifer geworden und durfte es nun konsumieren. Darunter auch jenes Stück, das in aller Munde war in seiner verfilmtem Form, als ich in dem Alter war, da Sex in Film und Fernsehen noch Tagesgespräche auslöste: „Hast du Wildwechsel gesehen?“ Die es gesehen hatten, rollten mit den Augen. Das hatte der wilde Fassbinder auf der Basis des 1971 in Dortmund uraufgeführten Stückes „Wildwechsel“ des wilden Franz Xaver Kroetz gemacht. Vom Fassbinder hörte man alleweil, vom Kroetz dann halt auch und dann erfreute die genehmigende Literaturobrigkeit der DDR das ihr zugeordnete Staatsvolk mit insgesamt vier Kroetz-Büchern bis zum Hingang des kleineren deutschen Staates. Der Kroetz war 1972 auf eine Idee verfallen, die für DDR-Obere eine höchst lobenswerte war: er trat der DKP bei, die von der SED so heftig und intensiv unterstützt wurde, dass die Bösen im Westen sie als den verlängerten Arm Pankows ansahen.

In meiner erwähnten Jugend hatte ich nicht selten das überschaubare Vergnügen, in NEUES DEUTSCHLAND Kommentare aus dem DKP-Zentralorgan UNSERE ZEIT übernommen zu finden, oft dann, wenn es den Hiesigen gar zu peinlich vorkam, eine erwünschte Meinung als eigene öffentlich zu machen. Die DKP war wie gute Jungpioniere immer bereit, falls einmal die Richtigkeit einer Ausbürgerung zu bestätigen war oder ähnliche Großtaten der Vorhut des Proletariats. Franz Xaver Kroetz, um es vorwegzunehmen, hat dann auch einige Dinge geschrieben, für die sich vermutlich selbst die linientreuesten SED-Barden geschämt hätten, falls sie auch nur einen Rest literarischen Anspruchs für sich selbst bewahrt hatten. Im vorliegenden Band, der den DDR-Lesern wie gesagt einen gedruckten Erstkontakt mit dem bayerischen Kommunisten vermittelte, sind zwei Bühnentexte abgedruckt, an denen ich irre geworden wäre, hätte ich sie etwa als Student in Berlin gelesen. Meine Kroetz-Lektüre in DDR-Zeiten reichte von April 1977 bis April 1980, danach wanderten die beiden Bände, die ich nutzte, für lange ins Regal. Erst als ich, meiner Leidenschaft für Ödön von Horvath frönend, auf Stimmensuche war, fand ich Kroetz neu und war entsetzt.

„Horvath von heute für heute“ heißt das Vier-Seiten-Textchen, an dessen Ende ich mir „Haarsträubend!“ notierte, neben einer Passage um Naturalismus „Quark³“, das Fazit lautete schließlich verknappt: „Eine erstaunliche Unfähigkeit, theoretische Positionen zu formulieren, diese Hilfslosigkeit verbirgt sich in seltsamen Sätzen. Hilflosigkeit, Ungeschick, vollkommen unverdaute salonlinke Phraseologie“. Begriffliche Unschärfe hat mit Denkunschärfe zu tun, schließt aber keineswegs die Fähigkeit aus, gute Bühnentexte hervorzubringen. Gerade in jenen jungen Jahren, als ich keine Filmsendung in meinen fünf Westprogrammen ausließ (ARD, ZDF, NDR, HR, BR), fiel mir oft genug auf, dass großartige Regisseure erstaunlichen Unfug redeten, wenn sie zu ihren Filmen befragt wurden. Warum also, beruhigte ich mich schließlich am Horvath-Fehlschuss von Kroetz, soll das in anderen Kunstsparten nicht auch denkbar sein? Inzwischen kenne ich längst mehr von ihm und über ihn, vor allem aus jenen siebziger Jahren, die mich schon aus Interesse an mir selbst immer neu bewegen. Was mir jetzt besonders krass scheint, ist die Absicht, die mit dem dialog-Band und seinen acht Stücken ausdrücklich verbunden wurde.

Der Herausgeber Wolfgang Schuch, einst Chefdramaturg und Leiter von henschel Schauspiel, und der Nachwortautor Jochen Ziller, auch er Leiter und Chefdramaturg, wollten eine Entwicklung zeigen und da Entwicklung in der DDR ein positiv besetzter Begriff war, fast gleichbedeutend mit Fortschritt, hatte der Leser dieser Kroetz-Texte gewissermaßen per ordre de mufti davon auszugehen, dass aus dem kleinen Anfang „Stallerhof“ rasch, weil unter DKP-Wirkung, das große „Münchner Kindl“ und das wahrhaft ganz große „Sterntaler“ herauswuchsen. Mal abgesehen davon, dass schon die umfangreiche Nachfolge-Edition des Henschelverlages (1976) mit dem Titel „Weitere Aussichten ...“ offenbarte, wie leicht und sinnvoll andere Zusammenhänge ausstellbar gewesen wären. Aber die „Stallerhof“ fortsetzende „Geisterbahn“ erschien erst 1981, das die „Münchner Trilogie“ einleitende „Inklusive“ kam hier 1976 nach „Gute Besserung“ und „Bilanz“, die Schuch und Ziller vorzogen. Das könnte freilich auch an einer etwas schrägen Logik gelegen haben, die davon ausging, dass „Inklusive“ schon 1974 im DDR-Rundfunk gesendet worden war (Stimme der DDR am 26. Oktober 1974), der zweite und dritte Teil der Trilogie jedoch nicht.

Als Georg Hensel die Uraufführung des neuen Kroetz-Stückes „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ vom 31. Mai 1981 in Düsseldorf besprach, setzte er den Titel „Raus aus der Sackgasse, rein ins Leben“ über seine Kritik und er schloss sie mit dem Satz: „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ ist das beste Stück, das ein deutscher Autor in dieser Spielzeit vorgelegt hat.“ Folgt man den Denkvorschriften, die damals in der DDR galten, dann hätte der Kritiker der „großbürgerlichen“ Frankfurter Allgemeinen niemals den politisch linken Kroetz, gar das DKP-Mitglied Kroetz, überhaupt nur ansatzweise loben dürfen oder aber es hätte die Regel gegolten: Wenn uns die Feinde loben, haben wir einen Fehler gemacht. Kroetz hätte also, nach dieser Logik, einen gravierenden Fehler gemacht. Abgesehen davon, dass sterbliche DDR-Bürger solche Besprechungen ohnehin nicht zu Gesicht bekamen, mussten sie bis 1986 warten, ehe sie „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ selbst lesen konnten, wieder im Henschelverlag übrigens, während, das nebenbei, das repräsentative Lesebuch des Verlags Volk und Welt „BRD heute, Westberlin heute“ mitten im größten DDR-Kroetz-Wirbel von ihm kein Wort enthielt. War er im anderen Hause nicht repräsentativ oder war es nur eine Rechtefrage?

In der Hensel-Kritik steht auch der Satz, von dem sich die Überschrift herleitet: „Kroetz ist mit diesem Stück, das er 1980 abgeschlossen hat, aus seinen Sackgassen herausgekommen: keine sympathischen Debilen mehr, keine exotischen Heimarbeiter oder andere sozialen Randgruppen; keine ideologische Bevormundung mehr und keine politische Agitation.“ Das liest sich, als hätte Hensel das Fazit gezogen aus dem ersten DDR-Kroetz-Band „Stücke“ mit seinen acht Beispielen. „Kroetz ist kein romantischer Maschinenstürmer. Er ist der einzige deutsche Dramatiker, der etwas versteht von Fabrikarbeit, von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen.“ Das, soweit rein stofflich verstanden, hätte ihn der DDR auch dann sympathisch gemacht, wenn er nicht auf Platz 10 der bayerischen Landesliste der DKP für die Bundestagswahl 1972 kandidiert hätte. In einem Interview aus dem Jahr 1973 bekannte er seinem Gesprächspartner: „Ich säße lieber in Bonn im Bundestag, denn als Dramatiker im Theater.“ Die steilen Thesen waren sein Kerngeschäft: „In einem Stück einen Lohnkampf zu beschreiben, ist gut, ihn mitzuführen und mitzukämpfen, wäre besser.“ Nicht viel mehr als zehn Jahre später ließ er sich dann mit einer totalen Absage an sich selbst zitieren.

„Es interessiert mich einfach nicht mehr, Theaterstücke zu schreiben. Ich finds zum Kotzen; wie eine Strafarbeit. Nachsitzen ein Leben lang.“ Das alles muss man vielleicht nicht aufbieten, um den acht Stücken näher zu kommen, die „Stücke“ vereint. Aber es erhellt vieles. Es sagt vor allem über den Mann aus, der zu seinem vierzigsten Geburtstag auf vierzig geschriebene Stücke zurück blickte und ich bin mir nicht sicher, ob er jene 15 Frühwerke da mit eingerechnet hat, die er in seinem Garten nebst allen Kopien verbrannt haben will. Muss man wirklich gleich alles zum Kotzen finden, nur weil einem vielleicht einfach nichts mehr einfallen will für die Bühne, nur weil man sich dann eben doch über viele Maße hinaus en gros und en detail wiederholt hatte in den explosiv schöpferischen Jahren seit 1967. Auch 1973 schon irritierte er seinen Gesprächspartner mit der Aussage: „Seit etwa Herbst 1971 stört mich das Extreme an meinen Stücken.“ Dass just dieses Extreme sich immer noch so weit auswirken durfte, dass die wie programmierten Skandale des westdeutschen Theaterbetriebs wie die Hündchen an der Leine folgten und ihm erst eine Marktposition schufen, von der aus er sogar gegen sich selbst rüpeln durfte: wohl geschenkt.

Jetzt lesen sich die frühen Kroetz-Stücke mit ihrer Sprache der bildungsfernen Schichten, wie sie längst beschönigend genannt werden, wie künstlerische Vorübungen für das heutige vollkommen unkünstlerische Fernsehformat „Scripted Reality“, mit dem, wie man bisweilen liest, der gemeine Hartz-IV-Empfänger tagsüber bei den Privatsendern gehalten wird, indem er sich selbst zuschaut und seinem öden Dasein. Als Kunst, als Kunst-Stück wie eben bei Kroetz, verliert es seine Anziehungskraft, seinen nicht zu leugnenden ästhetischen Neuwert, extrem zügig. Zumal Versuche, den Sprachlosen Sprache zu geben, den Übersehenen Präsenz, ja gar nicht so neu waren, wie es damals verkauft wurde. Nicht nur Ödön von Horvath und Marieluise Fleißer, auf die sich Kroetz selbst berief, waren einst in der späteren Weimarer Republik in Vorleistung gegangen, mit einigen Romanen auch Joseph Roth oder Irmgard Keun, die in genau diesem Zusammenhang gern der so genannten Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden. Kroetz ist, übrigens auch von Georg Hensel, bei Gelegenheit der Uraufführung von „Wunschkonzert“ in Stuttgart Anfang März 1973, mit Arno Holz in Verbindung gebracht worden, der sich als „konsequenten Naturalisten“ sah.

Der Band „Stücke“ enthält das „Wunschkonzert“. Eröffnet wird er jedoch mit „Stallerhof“, jenem Stück, das, so gut es sein mag, so neu, so überzeugend, im breiten Gedächtnis doch deshalb geblieben ist, weil es auf der Bühne eine längere Nacktszene mit Eva Mattes gab, die als Tatort-Kommissarin am Bodensee längst keine Nacktszenen mehr spielt. Und auch damals, natürlich, nicht deshalb höchstes Lob bekam, sondern für ihr Naturtalent als Beppi. Es folgt die Komödie in drei Akten „Ein Mann, ein Wörterbuch ...“, in der eine selbständige und souveräne Metzgerin fast verzweifelt und fast zu allem bereit, vielleicht mit ihren vierzig Jahren in einer Art von Torschlusspanik, versucht, die Liebe eines wahrhaft stupiden gleichaltrigen ungelernten Arbeiters zu gewinnen. Zum Bühnenbild hielt Kroetz fest: „Es ist ungünstig für das Stück, im Bühnenbild und der Regie zwar Marthas Arbeit ausführlich zu zeigen, aber Ottos Arbeit zu unterschlagen.“ Das kann man schwarzen Humor nennen, denn der Autor Kroetz selbst hat im Stück Ottos Arbeit szenisch unterschlagen. Nicht aber seine aggressiven und abstoßenden Kompensationen seiner Minderwertigkeitskomplexe, seine Proll-Macho-Allüren miesester Sorte.

Otto genügt es, wenn die Frau nur die Unterhose auszieht, sein sexuelles Gelüst zu befrieden, den Rest kann sie anbehalten. In „Oberösterreich“ beginnt die vierte Szene des ersten Aktes mit dem wie üblich kursiv gedruckten Regiehinweis: „Im Schlafzimmer in der Nacht. Anni und Heinz beim gewöhnlichen Geschlechtsverkehr.“ Bei dem sind Paare überaus häufig bei Franz Xaver Kroetz, im Leben ist das bekanntlich kaum anders, nur halt auf der Bühne muss selbst der tapferste Naturalismus an solchen Stellen passen, das Ergebnis tendiert fast unausweichlich zu unfreiwilliger Komik. In „Inklusive“, in diesem Band nicht enthalten, bekommt man diesbezüglich den Eindruck, Paar und Autor hätten allzu aufmerksam in den bundesdeutschen Bahnhofskinos die Oswald-Kolle-Aufklärung und dann alle Folgen des Schulmädchenreports gesehen. Ob das gesamte Frühwerk nebenher auch eine Soziologie des Unterschicht-Sex vorführt, ist meines Wissens noch nicht untersucht worden. Es gäbe freilich wichtigere Forschungsthemen. Interessanter wäre allein schon das fast leitmotivische Vorkommen des Wortes Fantasie. Meist sind es die weiblichen Figuren, die die Fantasie ihrer Männer, Söhne, Partner bewundern oder verwundert registrieren.

Wie alt die Stücke sind, merkt man an solchen Details wie dem in „Oberösterreich“, wo der Opel-Kadett-Fahrer einen Manta-Fahrer beneidet, weil dessen Wagen 88 PS hat. „Wunschkonzert“ dann, das Ein-Personen-Stück, in dem die Schauspielerin nicht ein Wort zu sprechen hat, sie agiert stumm und vollkommen undramatisch, sie führt den unspektakulären Abend einer alleinstehenden Frau vor, mit allen häuslichen und intimen Verrichtungen, bis sie eine Überdosis Schlaftabletten nimmt. Das wird jetzt wieder öfter inszeniert, weil es vermutlich doch vor allem eine Herausforderung an die Darstellerin ist. Seinerzeit ist von der Kritik moniert worden, man erfahre nicht, warum sich das Fräulein Rasch denn nun eigentlich umbringt. Nachträgliche Erklärungen des Autors helfen im Theater nicht, schon gar nicht überraschende Aussagen derart, man hätte nur auf die eingenommene Zahl von Tabletten achten müssen, um zu wissen, dass der Selbstmord nur ein vorgetäuschter ist. Solche Exempel muss man keinem Publikum zumuten. Die beiden Hörspiele „Gute Besserung“ und „Bilanz“ sind solide Arbeit von der Kroetz-Stange, ihnen hätte halt nur „Inklusive“ vorausgehen müssen, wenn sie schon eine Trilogie bilden. Stellvertretend ein Satz aus „Bilanz“: „Man muss sich einredn, dass es schön war, was man erlebt hat, dann glaubt man es auch.“ Echt Kroetz. Ur-Kroetz.

Dann aber folgen die beiden Texte, die genau das belegen, was Kroetz gesprächsweise leugnet: dass der ideologische Vorsatz kunstschädlich ist. Im schon zitierten Interview ist es wie Pfeifen im Wald, wenn Kroetz sich einredet: „Diese sogenannte These halte ich für baren Unsinn.“ Er wird richtig böse und sagt weiter: „Entweder man hat Charakter, dann setzt man sein Talent für die Unterdrückten ein, oder man hat keinen Charakter, dann ist man das, was ich einen Musenficker nenne.“ Die szenische „Ballade aus Bayern“ mit dem Titel „Münchner Kindl“ ist so kunstferner Agitprop, dass vermutlich sogar die späte „Linkskurve“ der KPD Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre den Beifall verweigert hätte. Unsinnige und willkürliche Zeilenbrüche simulieren Literatur, der alljährliche Armutsreport des Bundesregierung ist prägnanter und wird von den Medien jeweils so eindrücklich illustriert, dass man mehr an Information nicht braucht. Falls das damals noch nicht so war, zeigt die spätere Entwicklung immerhin, dass die Prognosen von Kroetz völlig falsch lagen. Seine eigenen Zahlen, die Klassenkampf-Optimismus suggerieren sollen in der „Ballade“, was die Kampfbereitschaft der Bürger betrifft, sprechen gegen ihn, er will es eben nur nicht wahrhaben.

Der nicht mehr unterbietbare Tiefpunkt des Bandes aber ist das vieraktige Stück „Sterntaler“. Es führt vor, wie eine Familie, die aus der DDR floh, also war, was man dort republikflüchtig nannte, im Westen so vollkommen unter die Räder kommt, dass mir als Leser die Haare zu Berge standen. Die Frau ist, da gleicht sie anderen Kroetz-Frauen, anpassungswillig, der Mann scheitert, ist ein Jammerlappen ohne Energie, der sich und seine Mitmenschen mit der Geschichte nervt, er hätte in der DDR Lehrer werden können, was er hier im Westen nie können wird. Die schwache Kür des Stückes beginnt damit, dass man nicht erfährt, warum die Leute eigentlich in den Westen flohen. Sie setzt sich sprachlich darin fort, dass alle drei exakt reden wie alle Kroetz-Figuren, eben bayrisch irgendwie und das ist höchst unrealistisch, zeigt allenfalls, dass der Autor keiner anderen Sprache mächtig war. Und schließlich lautet das tatsächlich ans Ende gesetzte Fazit „Drübn wär das nicht passiert!“ Der Sohn wird nämlich von der Polizei nach einem saudummen Bankraub erschossen. Dümmer, als die Polizei erlaubt, sagt man in solchen Fällen. Wollte Kroetz Seminarmaterial für SED-Kreisparteischulen liefern, für die Weiterbildung von DDR-Staatsbürgerkundelehrern?

Einer, der sehr früh und sehr genau sah, was Kroetz da geliefert hatte, war Benjamin Henrichs, Theaterkritiker und Redakteur bei der ZEIT, sein Buch „Beruf: Kritiker“ empfehle ich (Reihe Hanser Nr. 263) uneingeschränkt. Einerseits: „... so zärtlich, ohne dabei den kritischen Verstand zu verlieren, geht kein anderer deutscher Dramatiker mit seinen Figuren um.“ Andererseits: „Wo sich seine Stücke hinauswagen in größere Zusammenhänge, von der Schilderung der kleinen Leute, die Kroetz kennt und mag, zur Beschreibung der Großen, der Mächtigen, die Kroetz kaum kennt und nicht mag, wird er eine Art Märchenschriftsteller – so reinlich ist dann das Gute vom Bösen getrennt.“ Und schließlich: „Eine fromme Karikatur ist auch Kroetz' gelobtes Land, die DDR, bisher geblieben.“ Genau hier zu lernen, hatte er 1973 im Interview angekündigt. Zwei Kroetz-Stücke sind 1975 in der DDR uraufgeführt worden: „Weitere Aussichten“ in Karl-Marx-Stadt, „Agnes Bernauer“ in Leipzig. Auch 1975 gab es die DDR-Erstaufführung von „Maria Magdalena“ in Rostock und von „Wunschkonzert“ in Karl-Marx-Stadt. Gar bereits 1973 zeigt das Volkstheater Rostock „Oberösterreich“, nach Berlin kam die „Maria Magdalena“ erst 1976.


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