50. Todestag Leonhard Frank

 

Leonhard Frank hat eine Geschichte vom Sterben geschrieben, die ich nicht in einem Zuge lesen konnte. Drei Pausen musste ich überstehen, während der dritten lange am Fenster viel frische Luft einatmen, ehe es ging. Es wiederholte sich, als ich für meine Frank-Datei Zitate übernehmen wollte, diese Geschichte schnürt (mir) die Luft. Vermutlich ist sie, vom Standpunkt der Hardcore-Avantgarde des 20. Jahrhunderts, deren Adepten bisweilen immer noch ihr müdes Haupt aus den vom Gras überwucherten Schützengräben des Kriegs gegen das Herkömmliche heben, gar keine gute Geschichte. Ich gestehe, das ist mir gleichgültig. Wer solch einen Satz niederschreibt wie: Auch dabei lächelte das kleine, zierliche Dienstmädchen aus Pommern, wie über alles, was es in Berlin sah und hörte., dem kann wenig etwas anhaben. Wer von einer sterbenden jungen Frau schreibt, ... und versuchte zu lächeln. Das war mehr, als wenn eine gesunde Frau für ihren Geliebten alle Last der Welt auf sich genommen hätte., der muss niemandem auf der Welt etwas beweisen, nicht einmal sich selbst.

 

 Wie unendlich weit ist Frank in dieser Geschichte, die 1928 zuerst gedruckt wurde, von den Novellen seines unendlich viel berühmteren Bandes DER MENSCH IST GUT entfernt und wie gut ist es, dass er sich davon entfernt hat. Wie brutal war dennoch 1924 der ideologische Überfall auf den schon sehr berühmten Mann aus Würzburg, den ausgerechnet Johannes R. Becher in der einschlägigen „Roten Fahne“ vortrug. Dieses Denken, wir wissen es, verfolgt niemanden brutaler und unerbittlicher und, wenn die Randbedingungen stimmen, bis zu Gulag und Tod, als diejenigen, die es für Renegaten oder Dissidenten ansieht, wobei es sich den Begriff variabel zu definieren ausdrücklich vorbehält.

 

 Frank also, der schlimme Leonhard Frank, der doch so schön gegen den Krieg gewesen war, hatte jetzt ein unverzeihliches Verbrechen begangen, er war Mitarbeiter der Zeitschrift „Das Reichsbanner“ geworden. Das war, heutigen Schnellkursanten des PISA-Studien-Abiturs und ihren Müttern und Vätern sei es gegeigt, kein faschistisches Wochenblatt, sondern Blatt einer, so die Fußnote im Becher-Buch, dem ich die Anklage entnahm, Organisation, „1924 von der SPD, der Deutschen Demokratischen Partei und dem Zentrum zum Schutze der Republik gegen monarchistische Reaktion und faschistischen Terror gegründet“. Bündnispolitik war den damaligen deutschen Kommunisten noch kein variabler Zweckbegriff zur Benutzung nach höherem Beschluss.

 

 Ich kenne Franks Leben nicht gut genug, um zu wissen, wie er reagierte. Ich kenne seine Anti-Kriegs-Novellen, deren Titel sprichwörtlich wurde. Ich weiß, wie sich da großes Erzählen mit kleiner, mit überschwänglicher, mit nervend pathetischer Agitations-Rheorik mischt, wie das später immer gern beschworene O-Mensch-Psalmodieren des prosaischen Kern-Expressionismus exemplarisch Gestalt gewann. Das war, warum nicht damals schon, Zeitgeist. Die Verbalrevolutionäre rutschten nach 1918 von den Palmen, auf die sie gestiegen waren, hautschürfend rasch wieder nach unten. Der Boden der Realität war staubig.


 Begonnen hat Frank mit dem Roman „Die Räuberbande“. Dem hat Martin Gregor-Dellin reichlich siebzig Jahre nach Erscheinen das gut gemeinte Zeugnis ausgestellt, es habe wie der Autor Frank die Bilderwelt eines Otto Dix oder George Grosz vorweggenommen. Vielleicht war es ja aber umgekehrt. Vielleicht haben Dix und Grosz die Bilderwelt Leonhard Franks nachgenutzt. Vielleicht war der Würzburger, der in seiner Stadt wie Brecht in Augsburg und wer noch alles in seinem jeweiligen Vorder- oder Hintertupfing als Nestbeschmutzer galt, ja doch mehr als nur ein Erfolgreicher, von denen es in der erste Hälfte des zwanzigsten deutschen Jahrhunderts doch erstaunlich viele gab. Nur die freilich auf Hegemonie drängenden Literatur-Chirurgen, denen Erfolglosigkeit ein unabdingbares Merkmal von Qualität ist, haben Frank wie manch anderen unter die historische Ladentheke gedrückt.

 

 Ich komme auf „Atmen“ zurück, so nämlich heißt die oben zitierte Geschichte. Sie kann, bin ich sicher, nur einer oder eine schreiben, die solches erlebt hat. Das weiß man sehr sehr schnell und so überrascht die Zusatzinformation nicht, dass Frank seiner ersten Frau Lisa ein Denkmal setzte, die er 1915 heiratete und 1923 verlor. Es gehört zu den unheilbaren Defekten dieser Welt, dass solche Erinnerungen an solche Frauen nur selten Literatur werden. Wer ein solches Denkmal seiner Frau zu schreiben in der Lage ist, braucht selbst, nicht nur streng genommen, keines. Mehr soll heute nicht gesagt sein zur 50. Wiederkehr des Tages, an dem der Ruf „Atmen“ auch Leonhard Frank selbst nicht mehr geholfen hätte.


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