Schütteln in der Festhalle

Mit dem Händeschütteln hat es eine eigne Bewandtnis. Zum Neujahrsempfang sind es normalerweise so viele, dass man mitunter sogar welche schüttelt, die einem gar nicht gereicht wurden. Bei ähnlichen Gelegenheiten sage ich gern: „Ich will ja nicht gewählt werden, deshalb kann ich reinen Herzens schütteln.“ In diesem Jahr aber sind Wahlen und da kann der Scherz missverstanden werden. Denn, Überraschung, einige sind da, die wollen gewählt werden. Und so rechne ich es mir hoch an, dass ich wenigstens einem der Kandidaten nur sagte: „Ich wähle dich auch so.“ Soweit die Enthüllung meines Wahlgeheimnisses.

Erstmals seit gefühlten Jahrhunderten saß ich nicht in der sechsten Reihe ganz links außen in dieser Festhalle, sondern am Mittelgang. Man darf das buchen unter endgültige Ablegung alter Pressegewohnheiten, die Außenplätze garantierten einst stille Fluchten, heute will ich wie in den vergangenen Jahren auch schon gar nicht flüchten, sondern, siehe oben, Hände schütteln. Während meine Neuerung außer mir und der mich begleitenden weiblichen Person, die mich noch nicht nächtens mit dem Kissen erwürgt hat, obwohl ich seit 37 Jahren neben ihr schnarche, niemandem auffiel, fiel die Neuerung oben auf der Bühne wohl nicht nur mir auf. Moderatorin Marion Mertin verkniff sich erstmals seit Jahren lustige Anspielungen auf des Oberbürgermeisters Angewohnheit, die Redezeit gnadenlos zu überziehen. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen hatte ich zuvor erfahren, dass 28 Seiten Manuskript mit 28 Redeminuten veranschlagt worden waren, was ich aus meiner kurzjährigen Erfahrung als Ghost-Writer umgehend ins Reich der Science-Fiction verwies.

Aus alten Zeiten des landrätlichen Bürgerempfangs erinnerte ich mich, dass jener auch jetzt wieder geladene und erschienene Alt-Landrat jedem verdienstvollen Bürger schon in der Begrüßung zwei Sätze widmete, was bei 400 verdienstvollen Bürgern auf achthundert Würdigungssätze hinauslief. Wenn dann die ersten zweiunddreißig Ehrengäste bereits das Knurren ihres Magens durch lautes Husten übertönten, konnte es passieren, dass die promovierten Meister des Protokolls den verdienstvollen Würdiger darauf aufmerksam machen mussten, dass ihm eine Gruppe der zu Würdigenden aus unerklärlichen Gründen durch die Lappen gegangen war, was dieser Gruppe dann immerhin den Erstgang zum Buffet einbrachte. Unser Oberbürgermeister hat mit der Begrüßung normalerweise auch schon sein Redekontingent erschöpft. Diesmal ließ er noch die Weltgroßwetterlage Revue passieren, ehe er auf unser aller Ilmenau zu sprechen kam und, das fiel nun wirklich auf, es hörten alle und das waren ziemlich viele, erstaunlich aufmerksam, und noch erstaunlicher, mucksmäuschenstill zu.

In der Rede kamen neben dem Kaiser und Bismarck weitere wichtige Ereignisse wie der Frühling in Arabien, der Terminal B sowie Onkel, die etwas mitbringen und Tanten, die Klavier spielen, vor. Ich habe 64 Prozent meiner gesamten Klatschenergie an den Satz der Großmutter des Oberbürgermeisters verwendet, der das Vorkommen bestimmter Dinge unter dem Kaiser glattweg und argumentationsarm verleugnete. Geneigten Hauptes zitierte ich der den Satz bereits kennenden Gattin an meiner Seite, dass ich mir eine Königin wünsche, die auch Sandra heißen dürfe. Dem einstigen Rektor der Universität drängte ich ungefragt den Hinweis auf diese meine wunderschöne Internetseite auf. Angeblich ist der eigentlich tiefere Sinn solcher Empfänge ja das zwanglose Gespräch aller mit jedem und jeder mit allen, was uns letztlich wie alle Jahre natürlich misslang. Nach der Füllung unserer Mägen und dem Genuss eines alkoholhaltigen sowie eines alkoholfreien Getränkes entwichen wir vorzeitig, weil ich meiner Selbstverpflichtung folgen wollte, noch vor Mitternacht diesen vollkommen unsachlichen Bericht ins weltweite Netz zu stellen. Was mir hiermit weitestgehend gelungen ist.


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