Briefe von Giovanni

Nun, ZEIT, ist die Gelegenheit endlich gegeben. Brav trage ich seit langem an jedem Donnerstag bei Regen, Schnee und Sonnenschein meine neue ZEIT nach Hause. Das geht erst, seitdem das Land, das die NEUE ZEIT hervorbrachte, das Zeitliche segnete. Eine freundliche Dame an meinem Lieblings-Zeitungskiosk erkundigt sich mit jener Regelmäßigkeit, die einem ganze Donnerstage sympathisch machen kann, ob ich eine Tüte benötige. Wenn ich verneine, folgert sie daraus, dass draußen schönes Wetter sei.

Zu Hause entnehme ich meiner ZEIT die Ein- und Beilagen, um sie entweder in meine Altpapierkiste zu entsorgen oder zur allgemeinen Lektüre ins Wohnzimmer zu tragen. Den Brief, der sehr oft herausrutscht, öffne ich mit nervöser Vorfreude. Denn Giovanni di Lorenzo will mich nahezu Woche für Woche überreden, einen seiner lustigen Fragebögen auszufüllen. Manchmal lockt er mich mit Prämien, manchmal teilt er mir schon vorab mit, wie wichtig ihm gerade meine Meinung sei. Immer hat er mich sofort für sein Anliegen gewonnen, denn ich kenne ihn aus dem Fernsehen als freundlichen Mann, der seltsamerweise einfach nicht älter wird.

Kaum aber habe ich die zweite Frage gelesen (freundliche Fassung, meist reicht schon die erste), werfe ich den Fragebogen in die Papierkiste und lege Umschlag und Rückumschlag auf den Haufen für Notizzettel, den ich nutze, wenn mich eine Idee ankrächzt, von der ich beschließe, sie nicht vergessen zu wollen. Denn Giovanni di Lorenzo scheint eine andere Art von Menschen zu meinen, als ich einer bin. Bei fast jeder Frage müsste eine vierte Antwort eigens für mich erfunden werden. Nehmen wir mal, fiktiv, die moderne Variante der Gretchenfrage: Weder bestimmt Religion mein Leben, noch gehe ich nur selten in die Kirche, noch will ich mit allem nichts zu tun haben. Was also ankreuzen??

Und dann bemerke ich, dass meine Antwort sich in eine Art Daumen auf dem Auge der Damen und Herren verwandeln könnte, die das produzieren, was vom RHEINISCHEN MERKUR blieb als fünftes oder eher siebtes Rad am ZEIT-Wagen. Ich bin einer von diesen komischen Menschen, die den RHEINISCHEN MERKUR mit einem gewissen unleugbaren Genuss lasen, die ihn wegen der Schwierigkeit, ihn in Ilmenau überhaupt im freien Verkauf erwerben zu können, sogar bereit waren zu abonnieren. Dann aber, kruzitürkensapperment, drehten die katholischen Bischöfe ihrem „Organ“ das Licht aus und ich erfuhr, dass mir großzügig, großzügig, eine Art Einleger-Tabloid als Schrumpf-MERKUR winkt, wenn ich die ZEIT abonniere.

Ich will sie aber nicht abonnieren, weil ich sie ja bereits lese. Ich verzichte auf den Vorteil, sie durch meinen zu schmalen Briefkastenschlitz gequetscht zu bekommen. Ich verzichte noch eher auf ein zusätzliches Zeitungsrohr, aus dem jeder Passant sie mausen kann, insbesondere jene Passanten, die sich nicht vor einem Handstand im Altpapiercontainer scheuen, nur um ein Kilo Papier daraus zu stehlen, das sich im privaten Altpapierhandel verhökern lässt.

Nur manchmal, manchmal frage ich mich, was Christiane Florin wohl jetzt schreibt, wenn sie schreibt, und ob sie jetzt öfter singt als früher. Sie hat so schön Abschied genommen, so schön.


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