Die Ohren der Evolution

Um sicher zu gehen, habe ich das Kürzel als Suchbegriff eingegeben auf meiner Startseite mit den zwei O in der Mitte, diese Suchmaschinen stellen bekanntlich jeden Altphilologen spielend in den Schatten, der die Sachregister von drei bis sieben historisch-kritischen Gesamtausgaben auf seiner Bio-Festplatte gespeichert hat. Und siehe, ich hatte richtig geraten: KNA heißt tatsächlich Katholische Nachrichtenagentur. Diese nun verbreitet eine Meldung von hohem Real- und Transzendentalwert. Denn, so lese ich in meiner TA der Leser, „Männer sind die besseren Zuhörer. Evolution macht sich bei Party bezahlt.“

Mein Weltbild, das sich, je älter ich werde, als immer ungefestigter erweist, gerät vorübergehend ins Wanken. Insofern unterscheide ich mich erneut gravierend von jenen zahlreichen Altkommunisten, die zwar ihren Überzeugungen unbeirrt durch Realität, nicht aber ihren einst angetrauten Gattinnen treu blieben. Die Agentur-These, die sich auf eine Studie des Universitätsklinikums Tübingen beruft, hat logische Konsequenzen. Entweder ich bin kein Mann, denn mir wird bisweilen vorgeworfen, ich höre gar nicht zu. Oder ich bin ein besserer Zuhörer, besuche nur zu wenig Parties, um das an mir selbst beobachten zu können.

Eigentlich verfluche ich mein Zuhören, egal ob es sich nun um ein besseres oder schlechteres handelt. Denn mein Zuhören hält mich von wichtigen Dingen ab. Wenn ich zum Beispiel Zug fahre, dann kann ich nach kurzer Zeit diverse Geschichten nacherzählen, die in den nächstgelegenen Sitzgruppen erörtert werden. Aber ich kann kein Buch lesen, nicht mal den Spiegel. Auch an Stränden klappt das nicht. Während der weibliche Gegenstand meiner Prinzipienfestigkeit ganze Romane wegschwartet, sehe ich, höre ich, ohne sehen und hören zu wollen. Ich habe rigorose Konsequenzen gezogen, ich fahre seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr Zug und an Strände gehe ich so gut wie nie.

Vermarktbar ist mein Hören freilich nur bedingt, denn ich merke mir nicht lange, was ich höre. Die wunderbare Eigenschaft meines Lieblings-IM, lange Gespräche wortwörtlich wiedergeben zu können, geht mir ab. Ich wäre eine miese Quelle geworden, wenn es meinem Freund* gelungen wäre, mich anzuwerben. Mein IM Fischer freilich, auf Anfrage, erklärte, dies sei immer schon eine seiner stärksten Fähigkeiten gewesen. Die auch anderen als den Schlapphut-Kameraden zugute kamen, weiß ich, denn seine Mit- und Nachschriften aus den Vorlesungen, die man selbst aus verschiedenen Gründen höchster Dringlichkeit nicht hatte besuchen können, waren überaus verlässlich.

Männer sind, so KNA, bessere Schallquellenorter. Das verrate ich der Meinigen vorsichtshalber nicht. Vermutlich aber weiß sie es schon und fordert mich deshalb immer auf, die hörbare, aber dem Blick verborgene Mücke zu ermorden, die ihren Schlaf stört, von Gott dem Herrn eigens in die Nähe ihres Ohrs gesandt. Wenn ich die Mücke akustisch geortet habe, kommt mein Handikap ins Spiel: ich sehe sie nicht. Jedenfalls ohne Brille nicht und wenn ich die Brille aufsetze, ist die Mücke bereits wieder in ihren geheimen Bereitstellungsraum geflohen, von dem aus sie ihre fliegenden Operationen startet.

Die tiefere Ursache meines besseren Hörens liegt in meiner früheren Eigenschaft als Jäger begründet. Denn wenn ich einst im Wald ein Mammut trampeln hörte, musste ich ebenso rasch wissen, wo ich in Lauerstellung zu gehen habe, wie andernfalls, wenn der Säbelzahntiger brüllte, welches mein Fluchtbaum war, auf dem ich ein Weilchen sitzen konnte, ohne mir einen wunden Hintern zu holen. Klar also, wo alles herkommt, Tübingen sei dank. Und eine ganz kleine, ganz zarte missionarische Seite hat die KNA-Botschaft natürlich auch. Sie liefert eine ontologische Verstehensbasis für die Tatsache, dass Männer im Beichtstuhl die Lauschenden sind. Sie sind halt die besseren Zuhörer.

* Siehe: Es begab sich, Rubrik Meine DDR


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