Shakespeare: Was ihr wollt; Nationaltheater Weimar
Alles wäre halb so wild, wenn dieser Shakespeare denn etwas vom Stückeschreiben verstanden hätte. So aber, da wir nicht einmal wissen, ob er die Stücke überhaupt geschrieben hat oder ob es nicht einer oder eine von den mittlerweile 38 vorgeschlagenen Kandidaten war, vier von ihnen Frauen, bleibt den nachlebenden Inszeniermeistern und -meisterinnen nichts übrig, als sich aus den überlieferten diffusen Textkonvoluten, die noch dazu von meist der passenden deutschen Sprache nur teilmächtigen Übersetzamateuren verhunzt wurden, ein eigenes Plötchen zu brauen. Man denke sich die absurde Idee, zwei junge Menschen zweierlei Geschlechts nach ein und demselben Schiffbruch an einer Küste stranden zu lassen, beide meinen, der jeweils andere sei ums Leben gekommen, und dann kommt die weibliche Schiffbrüchige auf die noch albernere Idee, sich zu verkleiden als Mann und Dienst zu nehmen bei einem Herzog, der verrückt ist vor Liebe und dummes Zeug faselt, wenn er den Mund auftut. Das geht nun gar nicht.
Alice Buddeberg (Jahrgang 1982) hat das sofort erkannt. Jene beiden Seefahrer, die von manchen Regiekünstlern für Kapitäne gehalten wurden, obwohl ein Schiff immer nur einen davon hat – gestrichen. Kann doch das Kammermädchen der Gräfin Olivia, wenn es schon spielen darf, auch gleich noch im Tütü mit roten Ballerinas oder wie die Dinger heißen, am Strand auftauchen und die Nasse aus dem Mädchen Viola in, ja wen eigentlich, verwandeln. Shakespeare hatte die wahrhaft seltsame Idee, diese Viola sich Cesario nennen zu lassen, weiß der Teufel, was ihn dabei ritt. Weg damit. Später wird die von Maria, die natürlich von einem Mann gespielt wird, schließlich spielten zu Shakespeares Zeiten immer Männer die Frauenrollen und ob die damals tunteten, ist nicht sicher überliefert, also schaden kann es keinesfalls, wenn sie sicherheitshalber tuntig tun, also die von Maria mit Schnürbrust ausgerüstete Viola bisweilen mit Sebastian angesprochen. Sebastian ist gestrichen in Weimar, dafür muss Viola ungefähr 17mal sagen, dass sie alle Schwestern und alle Brüder ist, die sie hat. Wie aber kommt in dieser Schnürbrust-Logik diese Olivia überhaupt auf die Idee, die namenlose Viola plötzlich Sebastian zu nennen?
Im Programmheft ist Carl Hegemann zitiert neben einer französischen Bulgarin, die neuerdings gern genommen wird, und den üblichen Verdächtigen. Carl Hegemann ist berühmt geworden als Vater von Helene Hegemann, die wiederum berühmt geworden ist, weil sie unbedingt einen Roman aus einem Szeneclub schreiben wollte, in den sie mangels Alter noch nicht reindurfte, weshalb sie ein wenig schavan-guttenbergisierte. Mit Shakespeare hat das nicht viel zu tun, aber das ist ja auch nicht zwingend nötig, wenn der vermutlich mit sich selbst wenig zu tun hatte. Wenn der in Bälde 80 Jahre alt werdende Rolf Vollmann, als er „Shakespeares Arche“ schrieb, um Lesern einen leichten und raschen Überblick über sämtliche bei Shakespeare agierenden Männlein, Weiblein, inklusive aller Pferdeknechte, zu verschaffen, geahnt hätte, welche Auszehrungsepidemie das Bühnen-Personal ergreifen würde, hätte er vielleicht die Finger davon gelassen und die ZEIT wäre um die einmalige Möglichkeit gekommen, einen eigenen Mitarbeiter zu bejubeln für den Schutzumschlag.
Zurück nach Weimar, wo zwei Tage nach dem vermutlichen Geburtstag des vermutlichen Shakespeare dies „Was ihr wollt“ Premiere hatte. Nach 60 Minuten verließ ein altes Paar laut fluchend seine ziemlich guten Plätze in Reihe fünf. Ein weiteres altes Paar verweigerte, als nach 110 Minuten ohne Pause auch noch etwas Blut aus Violas Schnürbrust geflossen war, den Beifall und ging ohne Fluch, nur demonstrativ. Der Rest klatschte tapfer vor sich hin, in den Reihen mit den Fanblocks erscholl auch das unvermeidliche Bravo, nur die Quietschemädchen waren diesmal offenbar nicht erschienen, die sonst immer den Premierenbeifall akustisch aufmöbeln. Neben mir fotografierte einer mit großer Ausdauer auch nach Ermahnung von hinten, es ist eben nicht mehr alles so, wie es war, sein Gesichtsausdruck zeigte weder Verlegenheit noch irgendetwas. In etlichen Tragödien habe ich mehr Lacher gehört als bei dieser Komödie. Wie schrieb eines der zahlreichen Shakespeare-Double in seiner Textfläche Hamlet? „Die Welt ist aus den Fugen.“ Was ja immerhin noch auf der Annahme einer verfugten Welt beruht. www.nationaltheater-weimar.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.