Shakespeare: Der Sturm; Münchner Sommertheater

Glauben möchte ich, das Ulrike Dissmann Samuel Taylor Coleridges Vorlesung über Shakespeares „The Tempest“ nicht nur kennt, sondern auch gut findet. Wenn nicht, bliebe die Welt in ihren Angeln, dann wäre es nur eine schöne Übereinstimmung einer grundsätzlichen Inszenierungsidee mit der Sicht eines alten englischen Romantikers auf ein noch älteres englisches Stück, welches er ein romantisches Drama nennt und sich, was waren das damals für leserfreundliche Autoren, umgehend müht, eine Definition dessen zu formulieren. Demnach wäre ein romantisches Drama eines, „dessen Bedeutung von allen historischen Fakten und Assoziationen unabhängig ist und sich nur daraus ergibt, wie es die Imagination anspricht, jene Kraft in uns also, die mit Zeit und Ort nichts zu tun hat...“. Lassen wir die an dieser Stelle sicher schon schluchzenden historischen Materialisten des Theaterdeutens ebenso beiseite wie diejenigen Freunde der Romantik, die Romantik mit deutscher Frühromantik verwechseln oder deutscher Spätromantik oder deutscher Neuromantik, jedenfalls mit deutsch. Alle Romantiker Europas drehen sich ohnehin sofort in ihren Gräbern, wenn wir unsere Oberschlauheiten herumposaunen.

Speziell zum „Sturm“ meint Coleridge (21. Oktober 1772 bis 25. Juli 1834), der wende sich „gänzlich an das imaginative Vermögen“. Und weil alte englische Romantiker offenbar eine durchaus pädagogische Ader hatten, erläutert er ohne allen intellektuellen Hochmut, was er meint: „Denn die wesentliche und allein wahre Erregung sollte von innen kommen – aus der gerührten und mitfühlenden Imagination, während das innere Auge, sobald den bloß äußerlichen Sinnen des Sehens und Hörens so viel geboten wird, leicht ermüdet und die Attraktion von außen den Geist von der richtigen und allein legitimen Anteilnahme abzieht, die sich von innen entfalten soll.“ Es sei eingeräumt, dass damit dem Publikum nicht allzu massiv am Bauche gepinselt ist, denn um einen anderen zu nennen, der es wohl durchaus ähnlich sah, Schiller, ihm missfiel sehr, was dem begeisterten  Parkett am Gendarmenmarkt zu Berlin im Mai 1804 wiederum extremen Spaß bereitete: der Krönungszug in „Die Jungfrau von Orleans“ mit nicht weniger als 200 Statisten. Ulrike Dissmann hat für ihren „Sturm“ auf Bühnenbild ganz, auf Requisite fast ganz verzichtet, Kostüme gibt es zwar, aber aufwandarm und auf Farbkontraste eher denn auf vermeintliche Sinnbildhaftigkeit angelegt. Es wird vor schwarzem Hintergrund gespielt, ein einsames Kunstschmiede-Sofa wird selten und dann nur wenig bewegt.

Der Theaterbesucher ist so mit sanftem Druck auf den Text verwiesen, der von Ulrike Dissmann selbst stammt, die Übersetzung natürlich. In Weimar sah ich ( vgl. THEATERGÄNGE 24. Februar 2012) die Fassung von Jens Roselt und müsste lügen, wenn ich die besser fand. Ulrike Dissmanns Markenzeichen sind außerdem eigens gedichtete Lieder für ihre Inszenierungen, ich erlebte das zuerst in ihren „Helden“ (George Bernard Shaw) und zuletzt, durchaus heftig begeistert, in ihrem „Diener zweier Herren“ (Goldoni). Sie stützt sich dabei auf Ramon Bessel, dessen musikalische Ideen und ihre Umsetzung. Bessel ist auch einer jener drei Darsteller, die seit den „Helden“ bei der Stange geblieben sind, die beiden anderen sind Christoph Hirschauer und Isabell Scheiber. Ich gehe sicher nicht fehl in der Annahme, dass sich dem Arnstädter Publikum letztere kleine Person in der Rolle des Trinculo am nachhaltigsten eingeprägt hat. Sie dominierte in den Rüpel-Szenen des nach verbreiteter Überzeugung letzten Dramas, das Shakespeare schrieb, so sehr, dass ihr Partner Maximilian Schiff als betrunkener Mundschenk Stephano arge Mühe hatte, nicht  allzu blass zu wirken. Seine „schwere“ Zunge möchte ich gewogen als zu leicht befinden. Thomas Böhm, als zeitweilig Dritter im komischen Bunde, als Caliban, Sohn der Hexe Sycorax, prägt sich ein, ordnet sich zugleich auch ein.       www.muenchner-sommertheater.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround