Shakespeare: Sturm; Burgtheater Wien

Es lässt sich nicht leugnen: die Vorankündigung des Staatsschauspiels Dresden für das zweitägige Gastspiel des Wiener Burgtheaters mit „Sturm“ von William Shakespeare war irreführend. Denn die Aussicht auf eine Fassung mit ganzen drei Rollen musste zwangsläufig die Frage aufwerfen, wie das mit Prospero, Ariel und Caliban, aber ohne Ferdinand und Miranda, ohne Trinculo und Stephano, ohne Alonso, Sebastian, Antonio, Gonzalo gehen soll, das Fehlen der restlichen Geister schon großzügig zugestanden, das Fehlen der Herren Adrian und Francisco auch, das der Schiffsmannschaft ohnehin. Sturm im Wasserglas die Frage, der Kalauer sei verziehen. Denn aus Wien kam kein Drei-Personen-Stück, ein solches hat Shakespeare ja auch nie geschrieben, es kam ein Drei-Schauspieler-Stück, es kamen, es sofort zu sagen, drei grandiose Schauspieler, drei zum Heulen großartige Schauspieler und sehr rasch war klar, dass Barbara Frey da ein Wurf gelungen ist. Und siehe, das Klapp-Programm aus Wien nannte auch nur die Namen der Darsteller, nicht, welche Rollen sie spielten. Maria Happel ist Caliban und Miranda. Johann Adam Oest ist Prospero und Trinculo und Joachim Meyerhoff kommt gar dreifach: Ariel, Ferdinand und Stephano.

Die Premiere im Akademie-Theater war am 5. Juni 2007, das läuft also schon bald neun Jahre, in anderen Theatern ist nach neun Jahren, wenn es hart läuft, vom einstigen Personal nur noch die Frau an der Kasse vorhanden. Oder die Frau für die Presse, die zwischenzeitlich hie und da eine Baby-Pause einlegt. „Sturm“ ohne Artikel, so viel muss sein, oder so wenig, bei Shakespeare heißt es dann doch nicht „Tempest“ sondern „The Tempest“, das aber fällt unter die lässlichen Sünden. Die Radikalkur an den fünf Akten dagegen, die am Ende in Dresden knapp anderthalb Stunden Netto-Spielzeit erbrachte, zehn Minuten mehr, als im Programm und Internet avisiert, war nicht nur keine lässliche Sünde, sondern schlagender Beweis, dass fast alles geht. Wenn es gekonnt wurde. Wobei ich die Ambitionen der Regie, wie sie im Gespräch aufscheinen, das den einzigen Textbeitrag des Programms darstellt, gar nicht auf der Apothekerwaage schaukeln würde. Wie auch immer die Idee in zitierfähige Sätze geflossen sein könnte: ihre Umsetzung funktioniert. Man kann mit einer Sechser-Kette gegen Bayern spielen, ohne vorher eine dreibändige Philosophie der Sechser-Kette entworfen zu haben für die Reihe der Universitäts-Taschenbücher.

Hier stehen ein paar Tische nebeneinander wie in einem soliden Salzburger „Jedermann“. Hier stehen ein knappes Dutzend Stühle dahinter, die sich dadurch auszeichnen, dass nicht zwei zusammenpassen. Hinten steht noch etwas von zu vermutender Bedeutung (Bühne Bettina Meyer). Man hört auf alle Fälle kein Meer rauschen, was bekanntlich selbst auf Inseln vorkommen soll, soweit diese nicht nur aus Küste und küstennahen Regionen bestehen. Man hört sphärische Klänge und Vögel. Und dann zuerst ein Shakespeare-Sonett aus dem Munde des Prospero-Darstellers in der deutschen Fassung von Christa Schuenke, die 1977 an der Humboldt-Universität zur Diplom-Philosophin gekürt wurde, just als ich daselbst die ersten beiden Studienjahre hinter mich gebracht hatte, wir sind uns vermutlich in der Uni 3b des öfteren über den Weg gelaufen. Ihre Sonett-Übertragungen haben es bis in ein Taschenbuch gebracht, was den meisten der sehr vielen Sonett-Übertragungen bis heute nicht gelang. Johann Adam Oest sprach es und ging zum „Sturm“ über. Komprimiert führte er sozusagen in die eigene Spielsituation ein mit dem Effekt, dass auch der shakespearefernste Theatergänger im Bilde ist, was er da auf der Bühne sieht.

Ariel kommt wie ein echter Luftgeist von oben, er wäre sonst wohl doch eher ein Erdgeist und damit aus einem anderen Stück. Von oben kommt er eine Stange herab wie der Schnellste der örtlichen Berufsfeuerwehr und empfängt seine Weisungen. Spätestens hier, allerspätestens hier, weiß der Zuschauer, dass ihn ein großer Abend erwartet. Meyerhoff bläst sich gewissermaßen innerlich selbst auf, wenn er den Befehl zum Blasen bekommt. Und bläst seinem Herrn auch ein wenig auf den Kopf. Caliban arbeitet hinter der Bühne mit der Säge, ehe er mit seinem Holzbündel geschlurft kommt. Caliban, der nicht er ist, sondern sie: Maria Happel, die lachen kann, dass es durch Mark und Bein geht. Und kurz darauf mit einem eher albernen Kränzlein um den kahlen Kopf Miranda ist, die des Vaters Rede pflichtschuldig genervt lauscht. Hier sollte man in langen Reihen Schauspielelevinnen und Schauspieleleven davor setzen und sagen: Schaut, was es heißt, stumm zu spielen und dabei in keiner Sekunde, buchstäblich in keiner Sekunde, zu sein und zu wirken wie in der eben vergangenen. Augenlust heißt ein zur Gruppe ausgestorbener Wörter gehörendes, Augenlust ist eines jener Vergnügungen des großen Theaters, die es ausmachen.   www,burgtheater.at

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.

 


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