Kleist: Amphitryon; Staatsschauspiel Dresden

Zu meinen Gewohnheiten gehört es nicht, mit dem Programmheft zu beginnen. Selbst der ärgerliche Umstand, der offenbar mit der neuen Dresdner Intendanz verbunden ist, dass nämlich keinerlei Daten zu den Beteiligten mehr darin zu finden sind und die Fotos sich erst erschließen, wenn man hinten nachschaut, auf welcher Seite wer zu sehen ist, wobei die Seitenzahl dann, wie um den Leser zu foppen, auf genau den Seiten fehlt, die man nun aufsuchen muss, selbst dieser Umstand stünde bei mir allenfalls hinten. Hier aber gilt es, das Gespräch von Karin Großmann, Sächsische Zeitung, mit Regisseur Wolfgang Engel, möglichst vorher zur Kenntnis zu nehmen. Engel, Jahrgang 1943, hat einen schweren Schlaganfall erlitten und diese, seine jüngste Regiearbeit, unter den Bedingungen mühsamster, längst nicht abgeschlossener Rekonvaleszenz geleistet. Das erklärt vielleicht sogar die extreme Kürze des Abends, 70 Minuten für drei Akte Kleist, in Gera 2014 waren es immer noch 100 Minuten, in Meiningen 2012 zweieinhalb Stunden. Diese Inszenierung ist auf eigene Weise Minimal Art. Der Text ist bis an den fließenden Übergang von radikal zu brutal zusammengestrichen, das Bühnenbild wird bestimmt durch monochrom graue Flächen, die nacheinander nach oben verschwinden, bis die letzte dann langsam nach vorn driftet.

Es hilft mir nicht zu wissen, dass sich Bühnenbildner Olaf Altmann mit Gerhard Richters grauen Bildern befasst hat, denn nach der Premierenvorstellung nimmt der Anteil jener Theatergänger radikal ab, denen der Name Gerhard Richter überhaupt etwas sagt, von seinen grauen Bildern nicht zu reden. Die Bühne ist, populistisch formuliert, kahl und leer, es gibt nicht das kleinste Requisit, alle Zuschauer, die den Text nicht kennen, haben schwerste Mühe, die jeweils unsichtbare Situation aus eigener Phantasie anzureichern. Die grauen Hintergrundflächen ergeben in Kombination mit dem Licht natürlich reizvolle Momente, es sind Schatten zu sehen, die Darsteller können Schattenspiele veranstalten, aus denen mindestens Komik zu gewinnen ist. Führt es weiter, wenn ich weiß, dass Wolfgang Engel im Kleist-Stück nach Moliere eher Komödisches als Komisches zu erkennen meint. Während Komisches ein halbwegs eingeführter Begriff wäre ist Komödisches ein Individualwort ohne sofort kommunizierbaren Begriffsinhalt. Auch Wolfgang Engel muss mit dem Text arbeiten, den Kleist zu Papier brachte: Kleist strich das Moliere-Vorspiel mit der Verabredung der Götter, die Liebesnacht Jupiter-Alkmene-Nacht künstlich zu verlängern. Die 17-Stunden-Nacht, die in der Strichfassung verbleiben durfte, hängt in der Luft, wie vieles andere auch hier in Dresden.

Vielleicht ist der Begriff der Defragmentierung nicht ganz verkehrt, um zu beschreiben, was dem Kleist-Text geschah, es vollzog sich, wie auf einer Computer-Festplatte, eine Dichtpackung von Dateien. In Kombination mit der Entscheidung, Amphitryon und Jupiter von einem Schauspieler spielen zu lassen, was Matthias Reichwald zu einem furios-hyperaktiven Finale animierte, das dem Spiel und der Publikumswirkung, meine ich, abträglich war. Es gab, das ist zusätzlich ärgerlich, akustische Probleme, wenn die Darsteller nicht Richtung Publikum sprachen. Warum aber setzt eine Regie die Dopplung der einen Person mit einem Darsteller um, die Dopplung der zweiten jedoch nicht einmal in suggerierter äußerliche Ähnlichkeit der beiden Mimen, die auftreten durften. Martin Reik als Merkur, laut Programmheft der Mann von Wolfgang Engel, der ihn auch behutsam zum Schlussbeifall und von ihm wieder weg führte, sieht in wirklich jeglicher Hinsicht anders aus als der andere, der richtige, der eigentliche Sosias. Zu glänzen blieb ihm keine Chance, er brachte den Kurzabend so hinter sich. Zu glänzen wusste nach einem Kaltstart nur einer an diesem Abend: Philipp Lux als eben dieser Sosias. Der wurde stärker und besser und besser und stärker. Ihm am nächsten kam Ina Piontek als Charis. Beide sind das Buffopaar der Konstellation, die Kleist tradiert.

Zur Erinnerung: Amphitryon schickt seinen Diener Sosias nach Hause nach Theben, damit dieser der Gattin schon mal vom Sieg über die Athener berichte und die Heimkehr des Siegers und Helden ankündigt. In Dresden kommt der Sosias ohne Laterne, dafür aber, als wolle er sich die Seele aus dem Leib frieren. Auch dieser Sosias spielt sich und dem Publikum vor, wie er der Herrin Alkmene Bericht erstatten wird, er imaginiert sich sogleich ihre Antworten und Reaktionen und das ist der komische Einstieg, meinethalben auch der Komödische. Der andere Pseudo-Sosias, der ja Merkur ist, verprügelt sein Urbild nicht, sondern nutzt sein Fingerschnipsen wie ein Elektroschocker auf Distanz, Sosias krümmt sich in Schmerzen, obwohl ihn nichts und niemand berührte, das hat Pantomimisches ohne Fremdkörperwirkung. Der falsche Amphitryon und die richtige, die einzige Alkmene haben auch in Dresden eine offenbar wilde Liebesnacht hinter sich, Alkmenes entscheidende Worte, das auszudrücken, sind nicht gestrichen. Das Ansinnen Jupiters aber, ihr Aussagen abzulocken, die zwischen Geliebtem und Gatten trennen sollen, verwirren Alkmene so, dass ihr nur ein irritiertes Lachen als Reaktion gelingt. Leider ist das alles, was Paula Skorupa in dieser Szene an Mitteln zur Verfügung steht, die Hoffnung auf später mehr wird enttäuscht.

Die entscheidende Schwachstelle des Abends ist benannt. Die jüngste Darstellerin des Abends (1991 in Dresden geboren) ist als Alkmene nahezu ein Totalausfall. Es lässt sich nicht freundlicher ausdrücken, nicht beschönigen. Wie schon im „Othello“ im Vorjahr, wo sie Jagos Geliebte Bianca gab, ist ihr der Vorwurf nicht zu ersparen (der sie dort nicht allein traf), allenfalls Text aufzusagen, mit gestischen Mitteln, die kaum der Rede wert sind, man schaue auf ihre variantenfrei nach vorn gewinkelten Arme, auf die Hände dabei, man höre den Sprechton, der ein durchgehender Mono-Ton ist und folglich auch monoton wirkt. Schwer zu sagen, ob ein in jeder Hinsicht unbehinderter Regisseur mehr hätte herausholen können. Der Verdacht, es liege an der Darstellerin und weniger oder gar nicht an der Regie, speist sich aus der einfachen Tatsache, dass Wolfgang Engel den „Othello“ nicht verantwortete, das war Thorleifur Örn Arnasson, Engels vorige Arbeit in Dresden dagegen „Nathan der Weise“. In eiserner Konsequenz fiel deshalb auch das „Ach“ zum Ende beiläufig schwach aus. Aus diesem „Ach“ war nichts zu lesen. Diese Alkmene hatte kaum Tragisches, wie Kleist es wollte. Vielleicht wirkt ja jede weitere Aufführung wie eine zusätzliche Probe, vielleicht wird ja noch was aus diesem vorerst arg missratenen „Amphitryon“.
www.staatsschauspiel-dresden.de


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