Shakespeare: Macbeth; Staatstheater Meiningen
Shakespeares „Macbeth“ zeigt, warum es ausnehmend schwer ist, Diktatoren und Autokraten irreversibel von ihren Prunksesseln zu eliminieren: es müssen Wälder marschieren und die Königsmörder müssen per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen sein. Während genannter Geburtsweg in hochentwickelten Ländern inzwischen sehr verbreitet ist wegen der Mütterschonung, wollen die Wälder von sich aus eigentlich nie marschieren. In Schottland seinerzeit, als dieser Duncan und dieser Macbeth und seine Lady zugange waren, da marschierte der Wald eigentlich auch nicht, es sah nur so aus und der Schein reichte als Prophezeiungsgehilfe vollkommen hin. In dieser Hinsicht tut der Schein auch heute noch unbeirrbar seine Pflicht. In Meiningen, wo der offizielle Name des Theaters allweil ein neuer ist, hat die Regie den Einfall, dem Publikum ein paar Diktatoren-Porträts auf den durchsichtigen Vorhang zu projizieren, Trump first, natürlich, aber dann kommen auch schon Assad und Putin, Erdogan und, Überraschung, Kim Jong Un. Also ich gehöre nicht zu denen, die aus Nahdistanz die Trompete ans Ohr gesetzt brauchen, verstehe aber, wenn Theater glauben, Onggaschemong zeigen zu müssen, moralische Anstalt und so, kenne ich.
Gut, und dann auch noch ein Dudelsack. Die Hexen aber, das sei ausdrücklich gesagt, die eingangs hallverzerrt synchron sprechen, die sagen da noch kein Wort von marschierenden Wäldern und Männern, die keine Frau geboren hat, das sagen sie später. Wer also nichts hörte, muss keineswegs seine Ohren wegwerfen oder dem Inszenator böse sein oder den drei Damen; die Hexen sagten, was ihres Amtes war in Szene 1, Akt 1. Ich gestehe, dass mich der Anblick der Besetzungsliste erst einmal neutral erfreute, der Nebenrollen-Overkill, den die inszenierenden Zeitgenossen zelebrieren wie Trump das Unterschreiben von Dekreten, unterblieb an der Werra, und so ist halt die Liste lang wie eine Kaufland-Quittung nach dem Wochenendeinkauf. Der Anblick der Besetzungsliste freute mich an einer Stelle sogar diebisch, denn ich las den Namen Renatus Scheibe nicht nur bei „Angus, schottischer Than“ und für einen der drei Mörder, ich las ihn als „ein Pförtner“. Der Pförtner, mehr von ihnen lässt Shakespeare in „Macbeth“ gar nicht auf die Bühne, ist seit Menschengedenken Paraderolle, wer in dieser Rolle nicht ins Auge der Kritik stach und dabei die Lachmuskulatur des Parketts traf, hat den falschen Beruf ergriffen, Scheibe hat den richtigen. Brilliert. Herrlich.
Als es klopft, sind etliche Szenen schon weg. Die Bühnentechnik hat schon gearbeitet, die Drehbühne dreht sich, die Hubbühne hob sich, der Eule Ruf erklang als einer Eule Ruf, der Theaterherzog hätte sich auf seine erlauchten Schenkel geklopft. Das Premierenpublikum aber ist auch nicht mehr, was es war. Es ruckelte und schuckelte, es hustete, nieste und schneuzte sich, hinter mir stöhnte es, neben mir kicherte es, als gäbe es einen Hauptspaß zu sehen. Sitzfleisch scheint dem deutschen Theaterarsch abhanden gekommen zu sein, ist aber vielleicht nur eine Frage der Wahrnehmung, denn unsereiner kann still sitzen, als wär er schon gestorben, ist eine hilfreiche Technik, wenn man schon im Dunkeln schreiben muss. Und man erregt die Aufmerksamkeit der kichernden Nachbarinnen. Die Hexen also begrüßen am Anfang den siegreichen Feldherrn Macbeth als Than of Glamis, Than of Cawdor und zuletzt als künftigen König. Unsereiner würde sagen: okay, die Damen sind nicht mehr ganz knusper, und die Sache wäre erledigt. Macbeth aber, der Than of Glamis ist und kurz darauf zum Than of Cawdor ernannt wird, kommt eine die Tragödie auslösende Wenn-Dann-Logik, die zwar Tücken hat, dem Theater aber Schwung verleiht.
Der unvergessliche Alfred Kerr hat 1922 das herrliche Wort vom „Unter-Than“ geprägt, diese Adelswürde hat die Kostümabteilung in Meiningen durch ein Mittelding von Nürnberger Lebkuchenherz und Kettenhunde-Marke der Feldpolizei symbolisiert. Wir wären somit in der Zuständigkeit von Christian Rinke (Bühne und Kostüme). Er könnte als Opfer von Nebenwirkungen bezeichnet werden, dabei hielt sich der unfreiwillige Humor, fürchterlichste aller Nebenwirkungen in Nicht-Komödien, glücklicherweise in Grenzen. Der unebene Boden auf der Drehbühne, wie schwarze, übereinander geschobene Eisschollen wirkend und von offenbar semifester Konsistenz, zwang die Mimen zu teils storchenartiger Fortbewegung. Die arme Ulrike Walther, eben noch gut versteckt im Hexen-Outfit, trug als Lady Macduff eine Perücke, die ich meiner ärgsten Feindin nicht nach einer Chemo-Therapie verordnen würde. Evelyn Fuchs als Lady Macbeth wirkte nach der Inthronisierung ihres Mörder-Gatten eher wie Pocahontas und, Malcolm, Duncans Sohn (Björn Boresch) erinnerte mich alten Fußballfreund so heftig an Neven Subotic, dass ich die Thronfolge der Schotten fast aus den Augen verlor. Tut mir leid, hier stehe ich und kann nicht anders. www.meininger-staatstheater.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.