Alan Ayckbourn: Die bessere Hälfte; Staatstheater Meiningen

Wer probehalber einmal einen Blick in die Antiquariats-Netzwerke wirft, um zu schauen, ob etwa das eine oder andere Büchlein mit Texten des einen oder anderen Komödien-Schreibers zu kaufen wäre, der vor allem das Boulevard-Theater mit seinen Werken beliefert, der stößt umgehend auf ein Phänomen, das nur auf den ersten Blick erstaunlich ist: es gibt nichts oder so gut wie nichts. Die Ausnahme: Programmhefte. An ihnen lässt sich ablesen, dass die Autoren, die der deutsche Buchmarkt unzweifelhaft heftig ignoriert oder boykottiert, von etlichen Theatern geradezu hofiert werden. Alan Ayckbourn ist einer von ihnen, aber, um einen ganz anderen zu nennen, auch Georges Feydeau. Wir sind, dieser Satz muss nun folgen, in Deutschland, mit allem was daraus folgt. Vor allem folgt daraus, dass es uns peinlich ist, wenn wir schon lachen, nicht wenigstens ein Lachen zu lachen, dass uns später in tiefer Betroffenheit im Halse stecken bleibt. Aber wir sind in dieser Sache wie die Porno-Jäger seligen Andenkens, die immer wieder Pornos schauten, um sich über den moralischen Verfall der Mitwelt ereifern zu können: Verderbnis, Verderbnis, Verderbnis.

Alan Ayckbourn, uneheliches Kind des Jahrgangs 1939, äußerte gelegentlich über sich und sein Theater in Scarborough: „Eines meiner Stücke muss im Repertoire sein, oder unsere Einnahmen sinken rapide.“ 2008, nach 37 Jahren als künstlerischen Leiter des Stephen Jones Theatre, trat er von seinem Amt zurück und wusste wie kaum einer, wovon er sprach. Und so ist es mit „Die bessere Hälfte“. Das Meininger Programmheft enthält den Satz „Das Stück lief bis zum 30. September 1972 en suite mit 869 Vorstellungen und ging danach sofort auf Tournee nach Kanada und Australien.“ Die Rede ist von einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Man müsste bei uns wahrscheinlich die Aufführungszahlen der Theater ganzer Bundesländer zusammenrechnen, um in solche Dimensionen zu geraten. Wie viele Inszenierungen überstehen eine Spielzeit und kehren als Wiederaufnahme später zurück? Der diesbezügliche Krokodilstränen-Jammer ist alt in Deutschland. Als vor fast vierzig Jahren Peter Zadek wieder einmal das britische Boulevard-Theater und dabei insbesondere Alan Ayckbourn gelobt hatte, wurde ihm umgehend um die Ohren gehauen, warum er denn selbst keinen Ayckbourn auf die Bühne bringe und da brachte er einen: „Spaß beiseite“.

Wer weiß, ob alle merkten, dass selbst in dieser Titelwahl hinterhältiger Humor steckte. Im Grunde, um auch das einmal gesagt zu haben, kann jemand, der an Shakespeare nicht nur wie Goethe die Königsdramen a la „König Johann“ liebte und selbst inszenierte, gar nicht anders als wegen der so genannten Rüpelszenen auch sonstige Rüpeleien auf Bühnen nicht von vorn herein nicht zu mögen: aus Prinzip. „Die bessere Hälfte“, wie Tobias Rott sie den Kammerspielen in Meiningen jetzt frisch verordnete, enthalten Rüpelszenen von, mit Verlaub, wunderbarer Wirkung. Wirkung auf mich, um eitel mit mir selbst zu beginnen: ich hätte Evelyn Fuchs diese Form von exzessiver Spielwut gar nicht zugetraut. Wie sie sich quer über den Sessel haute, den normalerweise Hans-Joachim Rodewald für sich beanspruchte wie ein gut geölter Rüde seinen Pinkelbaum, das war perfetto e amabile. Hätte ich nicht vergessen, dass Rott es war, der mich vor gut fünf Jahren mit Dario Fo's „Bezahlt wird nicht!“ hierorts schon zu Lachtränen brachte, dann wäre ich vielleicht eingestimmt gewesen. So aber: Überraschung. Ulrike Walther als Trippel-Trulla mit Seitensprung-Ambitionen: hoahej. Es scheint so zu sein, als ob Ehe auf der Bühne entweder auf den Strindberg führt oder aber ins Gelächtertal. In Meiningen will am Premieren-Donnerstag sogar die Werra über die Ufer treten.

Etwas vom Plot, der früher Story hieß und noch früher vielleicht Fabel, worüber sich ordentliche und außerordentliche Ordinarien streiten dürfen: Ein Paar, Frank und Fiona Foster, leben in eingespielter Ehe und dem Anschein nach kinderlos wie aus dem Bilderbuch für befestigte Rollenmuster. Er ist Hans-Joachim Rodewald, sie ist Ulrike Walther, er macht kurzhosig pustende Kniebeugen, was man früher für Sport hielt, während sie eine Morgenrobe trägt, die noch das notgeilste Männchen in die Enthaltsamkeit drängen würde (Bühne und Kostüme Kerstin Jacobssen). Ein anderes Paar, Bob und Teresa Philipps, leben in Chaos-Ehe mit Kleinstkind (über das nur immer gesprochen wird). Er ist Björn Boresch, leicht gehobener Proll-Macho mit Beat-Frisur der mittsechziger Jahre, sie ist Evelyn Fuchs in Hausfrauen-Outfit und Dauerüberforderung, die das Unbefriedigende ihrer Lebenslage keineswegs nur dumpf empfindet und sofort ins nachmittägliche Privatfernsehen wechseln könnte, wo sich Unterschichten-Paare nach Manuskript anplärren. Der Ayckbourn dabei besteht in der Weise, wie beide Paare auf der Bühne in Erscheinung treten. Der 1946 geborene Kritiker Benjamin Henrichs sah diese Weise schon 1979 mit bösem Blick.

Er schrieb: „Der Komödienschreiber Alan Ayckbourn verdankt seinen Ruhm einer einzigen, freilich sehr patenten Erfindung. Es ist eine Art Multiplikationsdramaturgie: Wenn Ayckbourn ein Stück schreibt, schreibt er fast immer mehrere Stücke gleichzeitig und baut dann die Einzelteile schlau zusammen. „Die bessere Hälfte“: das sind zwei Stücke in zwei Bühnenbildern simultan, links wohlständisches, recht mittelständisches Milieu, vielleicht auch seitenverkehrt ...“. Wort für Wort ließe sich hier im Kurs „Deutsch für Ausländer“ zeigen, wie einfache Vokabeln abwertend, für Abiturienten: pejorativ, benutzt werden. Die Sache selbst ist durchaus treffend beschrieben. Wobei ich mich frage, wie der Kritiker reagiert hätte, wären die Einzelteile nicht schlau, sondern dämlich zusammen gebaut. Die Kritikerin einer einst namhaften Zeitung, Name geschwärzt, schrieb bei entsprechender Gelegenheit in diesem Jahr: „Eine enorme Herausforderung für Regisseur und Schauspieler, denn jede Bewegung, jeder Satz musste sitzen.“ Zum Glück, vermute ich, gibt es in ihrer Gegend genug Theater, wo Sprachbeherrschung und Gestik/Mimik Nebensachen sind.

Also: an einem Mittwoch kehrten Fiona Foster und Bob Phillips jeweils sehr spät, auffällig spät, ins eheliche Heim zurück. Die Duplizität der Ereignisse legt, zumal eben die genannte sehr patente Erfindung in Meiningen natürlich genutzt wird, einen Zusammenhang nahe, den noch der deppertste Zuschauer begreift, ehe die Personen auf der Bühne ihn begreifen. Es ist der Morgen danach, die jeweils fragenden Partner entfalten unterschiedliche Neugier: bei der jüngeren Teresa ist es Neid mit Eifersucht vermischt, bei dem älteren Frank ist es nicht sehr viel mehr als das gespielte Interesse des letztlich stets gelangweilten Partners. Der ältere Frank hat andere Sorgen, seine Spätheimkehrerin ist tatsächlich nicht nur die „bessere Hälfte“, sie ist in gewisser Weise sein besseres Ich, denn er weiß nichts, ist hilflos wie ein Kind und das bei allen alltäglichen Abläufen und Verrichtungen. Die Lacher im Meininger Premieren-Publikum deuteten an, dass Zeiten mit solchen Ehen noch nicht ganz so fern sind wie der Exkurs über bürgerliches Eherecht in Deutschland im Programmheft optimistisch zu suggerieren scheint. Wo sind denn die frischen Hemden, die seit 1914 im dritten Fach von oben liegen, wo steht unser Werkzeugkasten?

Bei Bob und Teresa geht es anders zu: da ist der Kühlschrank leer, da bringt sie noch nicht einmal eine anständige Kanne Tee aus der Küche, während die Gruselnachrichten von den Aktivitäten des Kleinstkindes eine Katastrophenkette imaginieren, die alle Elternpaare in ihren Rollen als Zuschauer bestens vor Augen haben. Da schiebt sie mit dem Fuß alles unters Sofa, was wie Unordnung aussieht. Zwei Telefone in der Mitte der Kammerspiel-Bühne nebeneinander und zwar so dicht, dass sie sich fast berühren, das gibt den Running Gag von Gesprächen Schulter an Schulter. Und wenn dann noch der/die Falsche am anderen Ende ist: Spaß ohne Ende. Weil es ganz ohne eine Erklärung dann irgendwie doch nicht geht, bringen die beiden Spätheimkehrer William und Mary Featherstone ins Spiel (Sven Zinkan und Julia Steingaß), die von nichts ahnen, die nicht eingeweiht werden, als es passiert ist und so für zusätzlichen Wirbel sorgen. Sie werden von beiden anderen Paaren zu ihrer nicht geringen Verwirrung zum Essen eingeladen und als sie kommen, öffnet ihnen niemand. Sie dringen gewissermaßen ungebeten ein, synchron die Kopfbewegungen, synchron der starre Blick, als Ulrike Walther beginnt, Konversation zu treiben: Small Talk.

Gut, dass mit Pause gespielt wird, Pause kühlt ab. Das furiose Finale kommt früh genug. Es gibt Geständnisse, Versöhnungssex hinter der Szene, Suppe, die nach Scheuermittel schmeckte, ist inzwischen nach ihrer Flugeinlage in Richtung erster Reihe, wo Anja Lenßen und Vivan Frey als kollegiale Zuschauer fast Zielscheibe wurden, weggewischt. Und der Dialog funkelt und blitzt, wie es in der Abteilung Phrasenschwein heißen würde. Als schließlich alle alles, oder fast alles, begriffen haben, hat einer immer noch nichts begriffen: Auch das kann Hans-Joachim Rodewald. Ulrike Walther biegt es ihm bei. Das Premierenpublikum applaudierte so lange, bis es rhythmisch wurde. Bliebe die Frage, ob es Zufall ist, dass die erfolgreichsten Stücke der Theatergeschichte der Neuzeit zwar immer wieder von Autoren geschrieben werden, die selbst Schauspieler waren oder blieben, dass ihnen aber gern die dritte Reihe von der Geschichtsschreibung zugewiesen wird im Vergleich zu jenen Riesen an Geisteskraft, denen die Spielbarkeit ihrer Dramen kein Gedanke je wert war. Name aus älteren Zeiten: Iffland. Aber und aber: Namen aus noch älteren Zeiten: Moliere und Shakespeare. Der Lateiner, den ich noch kannte, sagt: Quod erat demonstrandum. No comment.
www.meininger-staatstheater.de


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