Harald Gerlach: Wüstungen

Seit 1969 erstmals acht Gedichte von ihm gedruckt wurden in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“, ist Harald Gerlach als Lyriker für uns präsent. Seine erste selbständige Publikation war das „Poesiealbum 56“ (1972), 1973 folgte dann der von Wulf Kirsten freundlich benachwortete Band „Sprung ins Hafermeer“. Dem Aufbau-Verlag ist Gerlach seither treu geblieben, der jetzt vorliegende Gedichtband „Wüstungen“ ist sein zehntes Buch, das dort erschien. Er hat sich von seinen lyrischen Anfängen entfernt. Das „Hafermeer“ hat seine Anziehungskraft entschieden verloren und Sprünge der einst beschworenen Art sind längst einer eher standhaften Art des Weltverhältnisses gewichen. Nicht, dass ihm die Landschaften nichts mehr bedeuten würden, die er dazumal und immer wieder mit Sprache zu konturieren suchte.

Selbst Orte und Namen schimmern noch immer durch und mittels eines listig platzierten Textes wie „Tippeltschiggis“ in diesem Band übt Gerlach sogar einen sanften Druck auf seine Leser aus, die alten Bände wieder hervorzuholen: dort nämlich gab es noch Worterklärungen für jenes unverwechselbare Rotwelsch, das er benutzt, während der neue Band bedacht auf solche verzichtet. Gegenüber den beiden letzten Gedichtsammlungen „Mauerstücke“ und „Nachrichten aus Grimmelshausen“ bringt Gerlach nichts grundlegend Neues: er erweitert sein Angebot. Vielleicht ist manche Bitterkeit jetzt deutlicher mit Sarkasmus verkoppelt, der reine Spaß scheint mir eher als früher die Oberfläche des Gedichts zu suchen. Dominant aber ist immer noch ein durchgängiger Ernst, sichtbar sein wohl auch hinterwäldlerisch-störrisches Kreisen um einige wenige ihm zentrale Fragen, die nicht erst beim zweiten Hinsehen sich auch als uns zentrale Fragen erweisen.

Mit dem immer neu ergriffenen Wort „Bewegung“ scheint mir das ideelle Zentrum des Bandes benannt: „... Ruhe ist nur / in der Bewegung“ steht da in „Le Flaneur“ und frappiert und „... Wo ist der Punkt, an dem Bewegung, / seit langem verlangsamt, endet, sich im Gleisbett / zur letzten Ruhe begibt?“ fragt das Gedicht „Zeitzug“. „Es ist / später als wir denken.“ stimmt uns schon der Klappentext ein. Mahnungen Gerlachs sind nicht aufdringlich, Blauäugigkeit war seine Sache nie und so verbreitet er auch keine dreisten Hoffnungen. Seine Art, Gedichte zu schreiben, hat Wirklichkeiten zum Grund, wo sie Befindlichkeiten verursachen. Sein Nachdenken schreitet demonstrativer äußersten Punkten zu, wenn auch immer noch eher in der Maske verwandt erfühlter Gestalten, sie können Gogol heißen oder einfach mal K., auf keinen Fall kokettiert es mit ihnen. „Wir wüteten gegen das Hilflose / in uns.“ summiert das vorletzte Gedicht des Bandes, ehe der mit „Text vor Spiegel“, ironisch-selbstironisch will ich meinen, fragend beschlossen wird. Es bleibt eine Spur von diesen „Wüstungen.“
Zuerst veröffentlicht in VOLKSWACHT, Gera, am 3. November 1989, Seite 3 der Beilage,
unter der Überschrift „Wüstungen“, nach dem Typoskript


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