Arthur Eloesser und "Die Schaubühne"

Noch war Siegfried Jacobsohn keine 25 Jahre alt, als seine Wochenschrift „Die Schaubühne“ ihren ersten Auftritt auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt hatte. Es war der 7. September 1905, ein Donnerstag, und der Herausgeber hielt sein Geleitwort kurz: „So lange das Gefühl nicht ganz erstorben ist, dass der Geist eines Volkes und einer bestimmten Zeit eindringlicher als in der übrigen Literatur im Drama zum Ausdruck kommt, so lange wird immer von neuem der Wunsch lebendig werden, dass der Schaubühne ein Strom künstlerischer und geistiger Neuwerte entquelle, da jetzt zumeist Geschäftsleute bemüht sind, dem Theater mit dem geringsten Einsatz an Geist den größten Gewinn zu entlocken. Der Wunsch wird zur Aufgabe – zu der Aufgabe, das Theater wieder zur Würde eines Kunstinstitutes zu erheben. An dieser Aufgabe mitzuarbeiten, führend und unterrichtend, ist die vornehmste Pflicht dieser Wochenschrift: im engsten Zusammenhange mit dem Leben unsrer Zeit, soweit die Kunst des Dramas in Wort und Ton es gestaltet, in ständiger Fühlung auch mit den mannigfaltigen praktischen Fragen der dramatischen Kunst wollen wir hier die Probleme und die Erzeugnisse des zeitlos Großen und Schönen würdigen und fördern.“

Das durfte und darf man ein ehrgeiziges Programm nennen, das dennoch angenehm unprätentiös daherkam und auch, man schrieb immerhin das erste der beiden großen Schiller-Jahre des neuen Jahrhunderts, seinen Schiller nicht vergaß: „So gewiss sichtbare Darstellung mächtiger wirkt als toter Buchstabe und kalte Erzählung, so gewiss wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.“ Steht über Jacobsohns „Zum Geleit“ und ist ein Motto idealischen Wollens. Den 17 Nummern des ersten Jahrganges bis zum 28. Dezember 1905 merkt man an, dass hier ein Herausgeber und Blattmacher am Werk war, der von Beginn an mit fähigen Mitarbeitern, bekannten und weniger bekannten, zu arbeiten gewillt war, die in ganz bestimmter Weise eigenes Profil, eigene Sichten einbrachten. Julis Bab (11. Dezember 1880 – 12. Februar 1955) bekam die Möglichkeit, in zehn Folgen dramatischen Nachwuchs vorzustellen. Willi Handl (12. Februar 1872 – 26. Mai 1920) etablierte sich mit Heft 2 vom 14. September als der Korrespondent aus Wien, er kam bis zu seinem Ausscheiden aus der Mitarbeit 1916 auf mehr als 100 Beiträge für „Die Schaubühne“. Auf recht bescheidene acht Folgen nur brachte es im ersten Jahrgang die Reihe „Berliner Theaterkritiker“.

Man darf auch ihr programmatische Absichten unterstellen, wobei allein der Umstand, dass jeder der acht porträtierten Kritiker von einem anderen Autor vorgestellt wurde, verhinderte, dies allzu simpel zu unternehmen. Maximilian Harden (20. Oktober 1861 – 30. Oktober 1923) eröffnete die Reihe, es folgten Alfred Kerr (25. Dezember 1867 – 12. Oktober 1948), Fritz Mauthner (22. November 1849 – 29. Juni 1923), Arthur Eloesser (20. März 1870 – 14. Februar 1938), Julius Hart (9. April 1859 – 7. Juli 1930), Isidor Landau (20. September 1850 – 16. Januar 1944), Philipp Stein (keine Daten ermittelt) und schließlich zuletzt Paul Goldmann (31. Januar 1865 – 25. September 1935). Die Angabe der Lebensdaten offenbart, dass nur lebende, noch aktive Kritiker Gegenstand der Reihe wurden und ihr Alter um gut zwanzig Jahre differierte: Fritz Mauthner war der älteste, Arthur Eloesser der jüngste. Auch Eloesser hatte, als der von Kurt Walter Goldschmidt geschriebene Beitrag am 28. September 1905 erschien, fast auf die Woche sechs Jahre Arbeit als Theaterkritiker in Berlin schon hinter sich. Sein Buch „Das bürgerliche Drama. Seine Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert“ (1898) war Kennern weit mehr als nur einfacher akademischer Befähigungsnachweis.

Hinzu kamen nicht weniger als 23 mehr- und vielseitige Arbeiten für die „Neue Rundschau“ des S. Fischer Verlages, zwei weitere erschienen noch im November und Dezember 1905, eine dritte im Januar 1906. Der jüngste der acht in „Die Schaubühne“ vorgestellten „Berliner Theaterkritiker“ hatte zu allem noch einen Vorzug: er war auch ein Berliner. Ein waschechter sozusagen, kein zugezogener wie so viele andere Berliner. Die knapp vier Druckseiten von Kurt Walter Goldschmidt in Nummer 4 des I. Jahrgangs dürfen mithin, das nur fürs Protokoll, als das offensichtlich früheste gedruckte Eloesser-Porträt gelten, das nachweisbar ist. Schon der Autor Kurt Walter Goldschmidt selbst dagegen ist sicher nicht geheimnisumwittert, aber es ist wenig über ihn bekannt. Goldschmidt (2. Juli 1877 – 1942?) hat es unter Siegfried Jacobsohn nicht zum ständigen Mitarbeiter gebracht. Nur 1905 erschien neben dem Eloesser-Porträt noch ein Beitrag mit dem Titel „Ein Dionysos-Drama“, in dem er dem bis dahin unbekannten, auch später nie zu Ruhm gekommenen Autor Wilhelm Steiner-Osten drei ganze Druckseiten widmen durfte. 1906 druckt „Die Schaubühne“ noch Goldschmidts Beitrag „Phantasie und Theater“ (am 1. Februar), es wurde für viele Jahre sein letzter.

Erst 1920 folgte mit „Die Idee des Überkonfessionellen“ (Ausgabe vom 4. November) eine weitere Arbeit komplett andersartigen Inhaltes, mit ihr endet seine Mitarbeit an der „Weltbühne“ für immer. Was der vermutlich im Ghetto Theresienstadt ums Leben gekommene Goldschmidt über Arthur Eloesser zu Papier brachte, ist kaum als Hymnus auf den Kritiker zu lesen, es macht jedoch sehr viel Sinn, diesen Beitrag im Kontext der sieben anderen der kleinen Artikel-Serie zu sehen und zu bewerten. Zwei der vorgestellten Kritiker, Philipp Stein und Paul Goldmann, werden von ihren Porträtisten, von Chr. F. Erl (nicht die geringste Information über diesem Mann zu ermitteln) und Dr. Otto Tugendhat (den man im Netz auch nicht findet, der aber immerhin einen Leserbrief an die „Schaubühne“ schrieb, ehe er selbst einmal für sie schreiben durfte) vernichtend charakterisiert. Es soll ihnen deshalb hier keine ungebührliche Aufmerksamkeit mehr gelten. Für den immerhin sehr renommierten Kritiker Isidor Landau bringt Dr. Adolf Grabowsky (31. August 1880 – 23. August 1969) stolze sechs Verszeilen auf: „Was der Pietsch für unsre Kunst / Das bis Du für unsre Bühne.“ So enden sie. Gemeint war damit Ludwig Pietsch (25. Dezember 1824 – 27. November 1911).

Den Beitrag über Maximilian Harden, nur mit „Harden“ überschrieben, was signalisierte: jeder weiß, wer gemeint ist, schrieb Joseph Theodor. Er resümierte zutiefst bedauernd, Harden habe das Interesse am Theater verloren und: „Harden wäre, wenn nicht vielfältig andere Ziele ihn süßer gelockt hätten, der wahre Wegweiser und der längst ersehnte moderne Literaturhistoriker geworden.“ Den Kritiker Alfred Kerr charakterisierte Samuel Lublinski (18. Februar 1868 – 26. Dezember 1910), ein grandioser Kopf, der übrigens in Weimar starb, wo er kein Klassiker wurde, als einen Nicht-Kritiker. Hier kann man über Kritik überhaupt lernen. Lublinski referiert vor allem Kerrs Ansichten zu Hebbel und Ibsen, um zu zeigen: „Er schrieb über das Verhältnis der beiden großen nordischen Dramatiker als der begabteste Philologe der Scherer-Schule, aber nicht als Kritiker.“ Wilhelm Scherer (26. April 1841 – 6. August 1886) wird meist als Positivist verortet, was hier nicht erörtert werden kann, und hatte unter seinen Schülern Erich Schmidt (20. Juni 1853 – 29. April 1913), der wiederum als der prägende Lehrer von Arthur Eloesser zu sehen ist. Als dritten in der Reihe stellte W. Fred (Pseudonym des Österreichers Alfred Wechsler) dann Fritz Mauthner vor.

Das sei für ihn "plötzlich ein vergnügter Nekrolog" geworden, Mauthner gar kein Theaterkritiker mehr, er habe sich dem „lästigen theatralischen Zeilenschreiben“ für das „Berliner Tageblatt“ entzogen. Alles, was folgt, ist ein Lob des früheren Kritikers, für jedes Mauthner-Archiv wichtig, im Kontext der Reihe der „Schaubühne“ aber zunehmend seltsam. Denn mit Arthur Eloesser als viertem im Bunde folgt erstmals ein Theaterkritiker, der nicht einer war, wie Harden und Mauthner oder sich irrtümlich für einen hielt, wie Kerr, sondern der einer ist. Ein ausübender. Ein fleißiger sogar, von dessen Fleiß Kurt Walter Goldschmidt freilich keinerlei Notiz genommen hat. Wie man überhaupt zur Überzeugung kommen darf, dass dieses vermeintliche Porträt des Theaterkritikers Arthur Eloesser gar keins ist. Denn eine irgendwie erkennbare Kenntnis seiner Texte, wenigstens einiger besonders prägnanter, besonders charakteristischer, schien Goldschmidt völlig unwichtig. Stattdessen erfahren seine Leser, dass ihn Siegfried Jacobsohn mit Eloessers jüngstem Buch, mit „Literarische Porträts aus dem modernen Frankreich“ (S. Fischer 1904) anzulocken versuchte. Was unangenehm prompt zu Aussagen über dieses Buch führte, in dem Theater freilich eine Rolle spielt.

Aber eben nicht Aufführungen in Theaterhäusern, auf Theaterbühnen, sondern Theaterautoren. Von den neun, die mehr oder minder ausführlich behandelt werden, sind einige auch präsent in den Kritiken, die Eloesser für die „Vossische Zeitung“ schrieb, seine Porträts aus dem Buch ergänzen wohltuend, liefern bisweilen überhaupt erst Basiskenntnisse, seinen Kritiken zu folgen. Am Ende aber hebt Kurt Walter Goldschmidt den knapp 30 Seiten umfassenden Beitrag über Zola heraus, der nun wahrlich keine Rolle in der Theatergeschichte Frankreichs oder gar darüber hinaus spielte. Mit dem allen sei nichts gegen Goldschmidt gesagt, dem sein Verlag Concordia Deutsche Verlagsanstalt 1927 immerhin eine wenig üppige Festschrift widmete anlässlich seines 50. Geburtstages am 2. Juli 1927. An diesem Tag feierte, ich zögere zu schreiben: bekanntlich, auch Hermann Hesse seinen 50. Geburtstag, was dazu führte, dass „Buch und Bühne. Berliner Blätter für Theater und Literatur“ in ihrer Oktober-Ausgabe beider Jubiläen untereinander würdigte. Wobei Goldschmidt zu Hesse schrieb, Verlag und Herausgeber zu Goldschmidt. Herausgeber war ein heute ebenfalls vergessener Dr. Ludwig Davidsohn, der Verlag war der Felix Alexander Verlag, ansässig in Berlin-Grunewald.

Was sah nun Kurt Walter Goldschmidt in Arthur Eloesser? „Wenn ich offen sein soll, hat Eloesser allerdings bisher ein wenig an der Peripherie meines Interesses gestanden … und über seine klugen, in knappen, klaren Strichen fast immer das Wesentliche packenden Aufsätze und Kritiken habe ich mich in den meisten Fällen gefreut.“ Eloesser stehe, meint Goldschmidt, „von den teilweise so sympathischen, gebildeten, urteilsfähigen und originellen Männern, die in periodischer Wiederkehr Berlins ästhetische Kultur beleuchten, dem Geist unsrer Zeit mit am nächsten.“ Eloesser sei, so Goldschmidt, im guten Sinne modern. Das darf, sollte man meinen, beim jüngsten Kritiker der Reihe auch erhofft werden. „In all seinen Kritiken vibriert jene nervöse Reaktionsfähigkeit, die der stumpfen Epidermis des literarischen Konservativen wie der Plumpheit des Dutzendjournalisten versagt ist. Ich halte ihn für keine starke und glänzende musische Persönlichkeit, deren Rhythmus und Leuchtkraft uns tiefe eigne Hypnosen und Ekstasen schenken könnte; er ist auch nicht eigentlich philosophisch und ästhetisch angelegt und geschult … erwächst ihm doch eine gewisse Einheitlichkeit des Gesichtskreises und eine spezifische Sicherheit des Instinktes.“ Was besagt das?

Kritiker, die Hypnosen und Ekstasen schenken, sind nicht zwingend verbreitetes Wunschbild derer, die sich überhaupt ein Bild machen. Eloesser entspreche der Typus der intellektuellen Künstler-Natur „sehr gut, vielleicht zu gut“. „Er gehört vielleicht deswegen nicht zu den interessantesten Kritikern, weil er so sehr Kritiker in Reinkultur ist. Seine Stärke liegt nun einmal weder im Historischen, Philosophischen, Ästhetischen, noch auch in der geistesverwandten künstlerischen Reproduktion, sondern sozusagen in der Intellektualisierung literarischer Werte“. Solche Behauptungen hätten Belege nicht nur gut vertragen, sondern geradezu verlangt, so aber hängen sie schlicht in der Luft. „Trotz alledem bleibt freilich jener Eindruck einer gewissen verstandeshaften Nüchternheit und Magerkeit bestehen“, was nur bedeuten kann, dass das Goldschmidtsche Ideal des Kritikers von Eloesser verfehlt wird, was dann letztlich nichts besagt. „Ich vermesse mich nicht, mit Präzision festzustellen, wie weit berlinische Lokalnüchternheit und nicolaitisch-gesunder Menschenverstand auf Eloesser abgefärbt hat; er steht auf jeden Fall so hoch über dem Durchschnitts-Niveau, … dass dieser Milieu-Faktor nicht allzu ernsthaft in Betracht kommt.“

Wo Kurt Walter Goldschmidt auf das Jüdische an Eloesser kommt, klingt es seltsam, wenngleich keineswegs antisemitisch: „Allerdings wohnen im jüdischen Volkscharakter eine gewisse orientalische Überfülle und Überhitze der Phantasie und eine Art intellektueller Kühle dicht beieinander, und diese Gehirn-Hypertrophie hat uns neuerdings eine am deutschen Geist genährte und in ihm wurzelnde jüdische Kritiker-Generation gegeben, die für unsere kulturelle Entwicklung von unschätzbarem Werte ist.“ Es bleibt zweifelhaft, ob Goldschmidt mit solchen Erwägungen der Person Eloesser wirklich nahekommt. „Eloesser, der der Literatur kritisch weit nähersteht als dem Theater, hat nach meinen Erfahrungen immer die Würde eines gebildeten und geschmackvollen Journalisten gewahrt. Die große Leidenschaft und der heilige Zorn, die erst den Kritiker größten Stils machen, fehlen ihm, aber ebenso die kleinliche Rancüne der Gehässigkeit. Journalistische Entgleisungen sind wohl auch ihm passiert“. Man wüsste gern, welche das wohl gewesen sein könnten. „Wer so sehr Gehirn und Verstand ist wie Eloesser, ist freilich auch wenig problematisch; rätselhaft ist nur das Irrationale. Die Komplikationen der modernen Seele leben auch in Eloesser“.

Man muss indirekt erschließen, wie sich Kurt Walter Goldschmidt seinen Kritiker wünscht, er deutet es an, indem er aufzählt, was Eloesser fehlt: „… er steht zu sehr darüber, um jemals in seinen Kritiken ganz sich selbst auszudrücken und uns gleichsam ein Stück eigenes substantielles Seelenwesen in die Hand zu geben.“ Kerr wäre vielleicht der bessere Gegenstand für Goldschmidt gewesen, den aber hatte Jacobsohn an Samuel Lublinski vergeben und es ist nicht auszuschließen, dass Goldschmidt seine Kritik an dessen Kerr-Bild in seine Mängelliste für Eloesser verkleidete. „Aber man darf sich trotz dem Mangel an starken und glänzenden Eigenschaften doch seines energischen Blickes für das Wesentliche, seiner scharf-linearen Ausdruckskraft, seines vielseitig eindringenden Verständnisses, Kunst- und Kulturgefühls erfreuen.“ Goldschmidt, das scheint klar, wollte sich der für ihn unangenehmen Aufgabe nicht entziehen, er wusste zu wenig von Eloesser, war nicht ehrgeizig genug, die eigenen Defizite wenigstens äußerlich zu kaschieren und herauskam, was herausgekommen ist. Es dauerte nun immerhin bis zum 8. Februar 1912, ehe der Name Arthur Eloesser ein zweites Mal in „Die Schaubühne“ auftauchte, sie zitierte aus einer kritischen Zuschrift.

Es ging um einen Artikel von Herbert Ihering (29. Februar 1888 – 15. Januar 1977) in der Ausgabe vom 21. Dezember 1911 unter der Überschrift „Von Volkstheatern“, eine recht scharfe Kritik am Neuen Volkstheater Berlin, vor allem aber am Schillertheater mit seinen beiden Häusern. (Man kann diesen Beitrag außer in der „Schaubühne“ selbst auch in der dreibändigen Ihering-Ausgabe des Aufbau-Verlags Berlin, „Von Reinhardt bis Brecht“, nachlesen.) Ihering brachte dem Ensemble von Adolf Edgar Licho (13. September 1876 – 11. Oktober 1944) noch ein gewisses Verständnis entgegen, kanzelte zwar die Schauspieler August Momber und Robert Müller nach allen Regeln seiner Kunst heftig ab, lobte dafür aber in hohen Tönen Annaliese Wagner. Auch am Schillertheater fiel ihm eine Darstellerin über alle Maße auf: Helene Ritscher, er hätte sie am liebsten offenbar sofort zu Max Reinhardt weitervermittelt. Allgemein jedoch heißt es: „Das Personal hat sich von Jahr zu Jahr verschlechtert und steht jetzt so tief, dass es, von keiner festen Regie behütet, kaum Provinzansprüche befriedigen kann.“ Ganz hart der Schluss: „In den beiden Schillertheatern, wie sie heute sind, werden Gesinnungsprotzen gezüchtet, aber keine künstlerisch empfindenden Bürger.“

Arthur Eloesser war nicht der einzige, dem das brachiale Urteil Iherings missfiel, nur aus seiner Zuschrift aber druckte „Die Schaubühne“ ein längeres Zitat und das wieder fiel keineswegs mit Polemik auf, eher bestätigen seine Befunde das, was Ihering schrieb: „… die Vorstellungen waren im besten Falle anständig, die meisten aber nüchtern und durch eine zage Philistrosität gehemmt.“ Später „sind sie in eine Komödianterei ausgeartet, die sich für Berlin oder Charlottenburg einfach nicht mehr schickt, … alle Fortschritte des Geschmacks, der Erziehung sind da vorbeigegangen, und es ist kein Zweifel, dass die Berliner Freien Volksbühnen heute besser und dabei noch billiger arbeiten als das Schillertheater. Das Publikum weiß gar nicht mehr, wie ihm geschieht; es ist in eine Zufriedenheit und Anspruchslosigkeit eingelullt worden, die ausgerottet werden muss. Wer sich mit solchen Leistungen begnügt, wird dazu erzogen, die bessern nicht mehr zu erkennen, und eine gute und sehr respektable Schicht des Bürgertums geht für die Kunst einfach verloren, der doch auch das Schillertheater im Namen seines hohen Patrons dienen wollte.“ 1913 wechselte Eloesser selbst als Dramaturg ans Schillertheater und bis 1922 dauerte es, ehe er Stammautor der „Weltbühne“ wurde.


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