Ibsen: Hedda Gabler; Schauspiel Leipzig

Die ganz einfache Deutung könnte so beginnen: Die Leipziger „Hedda Gabler“ hatte ihre Premiere am 14. April 2014 im Großen Haus und schon am 22. November verabschiedete sich die Inszenierung von Regisseur Sarantos Zervoulakos wieder von der Bühne. Die Berliner Schaubühnen- „Hedda Gabler“ hatte ihre Premiere am 26. Oktober 2005 und noch immer reißen sich die Zuschauer die Karten aus der Hand. Die Leipziger „Hedda Gabler“ beginnt mit einer Nudität und erinnert die dortigen Theaterbesucher damit vielleicht an die vorige Ibsen-Nudität: als nämlich die Hedda Stephanie Schönfelds plötzlich und unerwartet mit der für Ejlert Lövborg gedachten Pistole nackt auftritt und dann so auch kauernd das Manuskript verbrennt. Welche Mädchenpensionate an dergleichen Anstoß nehmen, noch oder wieder, kann unerörtert bleiben, wichtig ist letztlich nur, ob der Regieeinfall einen Akzent setzt, der ein- oder weiterführt oder ob tatsächlich nur die Nudität wichtig war. Der nackte Ulrich Brandhoff in Leipzig, der im offenen Bademantel sein Gemächt baumeln lässt, ehe er zu der Tante Juliane (Hedi Kriegeskotte) aufs Spielpodest kommt, gab ein Intro vor, dem die Musik dann nicht folgen wollte.

Bis zum Schluss hatte ich das unabweisliche Gefühl, als könnte Brandhoff die Rolle, die ihm aufgetragen ist, nicht ganz ernst nehmen und das ist etwas entschieden anderes als eine Distanz mitzuspielen, wie sie einst Brecht seinen Mimen empfahl. Man las im Premieren-Umfeld vom „Hier und Jetzt“, in das das Stück versetzt sei, ich mag diesen ständig taubereiten Tiefkühlbegriff nicht, zumal ich mich in Leipzig damit hätte abfinden müssen, dass livrierte Diener und private Reitpferde ein „Hier und Jetzt“ signalisieren sollen. Aber vielleicht sehe ich einfach zu wenig Vorabendserien mit Pferden und Pferdinnen. Der Regisseur hat, dass sei gleich gesagt, eine in vielem mir sogar schlüssigere Spielfassung benutzt als die Berliner Schaubühne, die deutsche Übertragung von Angelika Gundlach kommt gut daher und verzichtet auf penetrante Zwischentrompeten. Das Leipziger Problem liegt bei den Darstellern. Premieren-Kritiker fanden einmal Hedi Kriegeskotte als einzig lobenswert, einmal Daniela Keckeis als Frau Elvsted, nicht aber beide zugleich. Von den drei Männern (außer Brandhoff noch Denis Petkovic als Gerichtsrat Brack und André Willmund als Ejlert Lövborg) erfuhr keiner solche Heraushebung.

Das Stück aber heißt „Hedda Gabler“. Mit ihr steht und fällt alles, oder wenigstens fast alles. Ist sie ein flunschiges Mäusemiepschen, dessen Gelangweiltsein den ärgerlich einzigen Grund in der eigenen Dürftigkeit zu suchen hat, das nicht einmal Verdrängungsarbeit zu leisten in der Lage ist, oder ist sie ein Charakter voll flirrender Mehrschichtigkeit, eine Melange aus Abgrund und Oberflächlichkeit, aus böser Bösartigkeit und Liebeswunsch, aus fast manischer Fixiertheit und begleitender Orientierungslosigkeit. Auch das alles wäre spielbar. In Leipzig aber ist man sich von Beginn nicht sicher, ob der Graben zwischen den frischen Eheleuten tatsächlich tief ist, oder ob er gar überhaupt kein Graben ist, sondern bestenfalls eine Delle im Wohnzimmerteppich. Wer so im kurzen Hemde als Spätaufsteherin in die Wohnlandschaft flattert (Lisa Mies), setzt, die Ehe ist ein halbes Jahr alt, dem Gatten ein erotisches Signal und zeigt nicht etwa kühle Zurückweisung an. Gestrichen ist auch in Leipzig das Dienstmädchen, weshalb dem neuen Hut von Tante Juliane die personale Zuordnung genommen ist. So muss halt „jemand“ den Hut liegen gelassen haben, die Tante vor den Kopf zu stoßen, reicht es gut hin. Hübsch die Idee, aus den warmen Pantoffeln für Tesman, im Sterbebett von der anderen Tante, der unsichtbaren, gefertigt, Kleinstkinderschuhchen gemacht zu haben, die am Bändchen baumeln und so eine Anspielung auf die Schwangerschaft Heddas mit liefern, diese sie in wilde Panik versetzende Schwangerschaft.

Lisa Mies pendelt in ihrer Rollenauffassung zwischen brachialer Vordergründigkeit, sie greift sich bei den Worten „in unser Dreieck“ im Dialog mit Brack zwischen die Beine, als wäre das seit Michael Jackson und Madonna nicht längst bis zum Überdruss zu sehen gewesen, und überraschender Tiefe. So, während sie im Manuskript von Ejlert Lövborg liest, zeigt sie tränennah, was ich mir wünsche, nicht zu missdeuten: dass ihre Hedda doch genau die Intelligenz besitzt, die ausreicht, die Qualitäten dieses Textes im Vergleich zu denen des eigenen braven Gatten bestürzend klar zu erkennen. Dann aber würden viele der hektischen Bewegungen, viel der bisweilen fast grimassierenden Mimik um so stärker abfallen vom Gesamtbild. Am Ende scheint selbst die Pony-Frisur nicht wirklich zur Rolle zu passen, was sonst möglicherweise gar nicht aufgefallen wäre.

Gespielt wird in Leipzig fast auf die Minute zwei Stunden ohne Pause, die Bühne ist dominiert von einem samtblauen Sitzhalbrund, das sich unmerklich dreht (Raimund Orfeo Voigt), man sieht eine Menge nicht aus den Folien genommener Blumensträuße in diversen Vasen, Stöckelschuhe am Boden, Überreste einer zu vermutenden Willkommensfeier, Auftritte und Abgänge von und nach hinten rechts. Längere stumme Szenen, von manchen Zuschauern der letzten Vorstellung noch an der Garderobe als störend geschildert, haben mich nicht nur nicht geärgert, ich fand sie passend, wenn nicht gerade der finale Schuss für Hedda durch heftiges Rauchen und Schlucke aus der Sektpulle vorbereitet wurde. Die Abwesenheit von Musik,  in vielen Häusern als zusätzlicher und oft arg fremder Bedeutungsträger benutzt und immer ein wenig elitär wirkend, weil natürlich nicht damit zu rechnen ist, dass auch nur ein nennenswerter Bruchteil der Zuschauer die natürlich immer englischen Texte der natürlich immer möglichst avantgardistischen Bands versteht, erlaubt Konzentration aufs gesprochene Wort. In Leipzig half das dem Spiel dennoch nicht entscheidend, weil es eben nicht gut genug war. Fast peinlich die vorgeführten Betrunkenheiten der Männer.

Daniela Keckeis spielte ihre Frau Elvsted mit all der ungläubigen Verwunderung über das Tun und Reden ihrer angeblichen Schulfreundin Hedda, sie ließ ihrer Entscheidung, den Mann und dessen Kinder zu verlassen, den gleichen Unglauben sich selbst gegenüber spürbar werden. Das darf ohne Abstrich gelobt werden, während bei Hedi Kriegeskotte eben eine Dimension der Tante zu kurz kam, die Ichbezogenheit des Helfer-Syndroms, die mit der zelebrierten Dauergüte, mit dem penetranten Verständnishaben zu hohen Teilen Selbstgenuss ist. Wenn es Hedda Gabler vor der Aussicht auf andauernde Tantenbesuche gruselt, ist das nun wirklich nachzuvollziehen. Der Verzicht auf Schonbezüge für die Samtpolster, den die Tante sieht und anmerkt, hat jene betont antispießige Intention, die in rascher Konsequenz zu neuer Spießigkeit führt, man kennt das im „Hier und Jetzt“ von den Rettich rüberreichenden Öko-Spießern, in dieser Richtung wäre die Rolle freilich arg überinterpretiert. Die Regie hat die Charaktere des Ibsen-Klassikers verkleinert, las man im April in einer thüringischen Zeitung. Dem kann man ohne Abstriche zustimmen. Es wäre nur zu ergänzen, dass damit einem Deutschland-Trend gefolgt ist, den Ausnahmen lediglich bestätigen.
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