Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Landestheater Coburg

Auf den Tag genau ein Jahr nach der Uraufführung in New York begann das erste abendfüllende Theaterstück von Edward Albee am 13. Oktober 1963 im Berliner Schlosspark-Theater auch seinen Siegeszug in Deutschland. Damals spielten unter der Regie von Boleslaw Barlog Erich Schellow, Maria Becker, Heidemarie Theobald und Rolf Schult die vier Rollen des Dreiakters. Damals schrieb ein schließlich vollkommen begeisterter Kritiker: „Edward Albee deckt drei US-Kümmernisse auf, die wir durch Tennessee Williams bis zum Überdruß kennengelernt haben: Teufel Alkohol; Hölle des verheirateten Lebens; Impotenz.“ Und fasste für sich und seine Leser zusammen: „Ein so wunderbares wie schreckliches Stück Theater.“

Das Wunderbare und Schreckliche fünfzig Jahre später: es ist kein Staub auf keiner Stelle des Textes, diese irrwitzige Pseudo-Paraphrase auf Strindbergs „Totentanz“ funktioniert immer noch, sie fesselt selbst dann Minute für Minute, wenn man jede Zeile des Textes in der Übertragung aus dem Amerikanischen, die dem Theaterabend zugrunde liegt, eben erst frisch gelesen hat. Das Landestheater Coburg, Regie Matthias Straub, Dramaturgie Georg Mellert, nutzt das Deutsche von Pinkas Braun, ändert da und dort Details ( nicht immer nötig und sinnfällig wie im Falle der Igel, denen auf der Straße ausgewichen wird und die bei Albee Stachelschweine sind), entschärft und verschärft (ohne erkennbares Gesamtprinzip). Im Ganzen aber hat die Verschlankung des wuchtigen Textes, die vor allem zu Lasten des jüngeren der beiden Paare geht, Folgerichtigkeit und führt zu keinerlei Unwuchten.

Das Erlebnis des Abends aber in Coburg, Premiere war am 5. Mai, hier liegt die dritte Aufführung zugrunde, ist dies: Diese Landesbühne besticht ihre Besucher nicht nur mit einem immer wieder sensationellen Parkplatz-Service vor dem Haus, mit freundlichster Begrüßung am Haupteingang, sie liefert vor allem saubere, saubere, saubere Arbeit ab. Vielleicht ist es einfacher, solch ein bewährtes Stück wie diesen Albee zu machen als diesen oder jenen Klassiker, diesen oder jenen Neuesttöner, es ist auf keinen Fall ehrenrührig, solides, packendes, zu Lachtränen und Weintränen rührendes Geschehen auf die Bühne zu stellen. Alle vier Darsteller, also Helmut Jakobi als George, Kerstin Hänel als Martha, Sönke Schnitzer als Nick und Philippine Pachl als Honey (im deutschen Urtext seltsamerweise in Putzi verwandelt), präsentieren sich in Hochform, ja fast durchweg in Höchstform. Es war eine Freude, sie zu sehen, sie zu hören, die zweifellos facettenreicheren Rollenangebote für das ältere Paar führten nicht dazu, dass ihre Darsteller die beiden anderen an die Wand spielten.

Auch Sönke Schnitzer, zuletzt Davison in „Maria Stuart“ und Valerio in „Leonce und Lena“, holte aus der Vorgabe Nick, 28 Jahre alter Biologe, der mit seiner Freundin aus Kindertagen verheiratet ist, ohne sie je wirklich geliebt zu haben, alles heraus. Das kann unter Umständen mehr sein als eine vieldimensionale Traumrolle auszufüllen. George und Martha sind Traumrollen, auch Honey ist insofern eine, als sie den Ehrgeiz jeder jungen Darstellerin anstachelt, gegen die reine und nahe liegende Oberfläche anzuspielen. Das hat Philippine Pachl mit Bravour gemacht, nie war zu dick aufgetragen, nie vordergründig auf running gag gesetzt, sie brachte die plötzlichen Umschwünge wie die plötzlichen Ausbrüche überzeugend wie noch die leisesten Töne. Kerstin Hänel, zuletzt die Elisabeth im Kampf der Schiller-Königinnen, kam schon von ihrem Typ her nie in Versuchung, Elisabeth Taylor in Coburg sein zu wollen, ihre Martha muss fast unvermeidlich damit leben, die wenigsten Sympathiepunkte durchs Spiel zu tragen, das nach reichlich neunzig Minuten eine Pause hatte. Dafür konnte sie den Triumph genießen, am Ende als ganz andere am Boden zu sitzen, getroffen, verletzt, weich, dünnhäutig und einmal rückhaltlos ehrlich.

Wohl ganz im Sinne des Stücks des 1928 geborenen Albee ist dennoch Helmut Jakobi der Spieler des Abends, auch wenn er im letzten Viertel ein paar kleine Versprecher hat, die die Souffleuse umgehend zu überlautem Agieren verleitete. Dieser 46 Jahre alte Geschichtsprofessor, dieser Versager, der zugleich der einzige war, der Martha je glücklich machte, der letztlich exakt jener ist, den Martha braucht, der für Martha gut ist, er ist ein Erlebnis, ein „Glanz“, wie Irmgard Keun es nennen würde. Manchmal irrlichtert er in plötzlichen Kopfwendungen, im tückischen Ton wie Jack Nicholson, hat sein Grinsen aus „Shining“ und andernorts. Jakobi spielt alle Nuancen bis in winzige Details, er nützt den wahrlich nicht weiten Spielraum des Kammerspielorts. Die Aktionen des Stücks bestehen zu hohen Graden aus dem Füllen und Leeren von Gläsern, man säuft in diesem wie in tausend anderen amerikanischen Stücken, Filmen, Serienfolgen von der ersten bis zur letzten Minute, am Boden jedes Glases lauert und droht der amerikanische Tiefsinn.

Das Drama des kinderlosen Paares, verwoben mit dem Drama eines zweiten kinderlosen Paares, deren Verbindung jeweils mit Liebe nichts oder nie nennenswert zu tun hatte, das kann natürlich auch in gesellschaftliche Hintergründe gebettet systemkritisch gesehen und gelesen werden. Matthias Straubs Regie ist da eher zurückhaltend denn vordergründig, es bekommt dem Abend. Und es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob dem Ende ein Anfang innewohnt, dem Ende mit der Antwort auf die Frage „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, Marthas Antwort: Ich.  Dass die Frage selbst, die den ganzen Abend leitmotivisch durchzieht, nur deshalb als Titel über dem Stück steht, weil sie vor der einsetzenden Handlung Marthas besonderer Party-Gag im Haus des eigenen Vaters war, erschließt sich in Coburg wie auch sonst nie. Denn letztlich heißt die Frage, die zur Schlussantwort des großen Theaterabends führt: Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?
  www.landestheater-coburg.de


Joomla 2.5 Templates von SiteGround