Blättchen für Heinz Knobloch (7)

Vor die Wahl gestellt, ob ich „Bei uns in Pankow“ oder „Durch fast alle Museen“ zu meinem Thema mache, entscheide ich mich gegen „Bei uns in Pankow“. Langem Rätseln darüber vorzubeugen, verrate ich, warum. Im Knobloch-Band „Berliner Fenster“ (Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig 1981) gibt es hinten Anmerkungen. Die gibt es bei Knobloch öfter. Nicht ganz so oft vermutlich Leser wie mich, die immer und brav alles lesen in einem Buch inklusive Literaturverzeichnis und Personenregister und ebenso die Anmerkungen. Zu „Bei uns in Pankow“ steht da: „… wurde 1977 geschrieben für den „Reiseverführer Berlin“, eine Anthologie, die Klaus Walther und Werner Liersch im Greifenverlag Rudolstadt (1981) herausgaben. Für „Berliner Fenster“ entstand daraus eine um zwei Drittel erweiterte Fassung.“ Diese Langfassung der „Berliner Fenster“ las ich vor Monaten, die Basis-Fassung oder wie immer man sie nennen möchte, erst jetzt. Und da stolpere ich über einen Satz mitten im angeblich 1977 entstandenen Text: „Daher haben wir bei uns in Pankow die Weltmeisterin im Maschineschreiben 1980 ...“. Siegte diese namenlos bleibende Dame in eigens vorgezogenen Wettkämpfen? Hatten Lektor und Korrektor des Buches gerade Haushaltstag oder wie geht das? Und schließlich, ich bekannte es bereits, gehöre ich einfach nicht zum Fanblock für geänderte Textfassungen. Manche Lyriker treiben das bis zum Exzess, C. F. Meyer fällt mir da ein.

Ich will, wenn ich eine Erstauflage besitze, nicht ständig gezwungen sein, die nächste auch noch zu kaufen und gar die übernächste dazu, nur weil Autor und Verlag ständig was kürzen, was strecken, was ergänzen oder nun erklären, was früher unerklärt blieb. Nein, ich mag diese (meine) Suppe nicht. „Durch fast alle Museen“ aber ist ganz schlicht nur auch für den „Reiseverführer Berlin“ geschrieben worden, ich las es dito vor Monaten und jetzt wieder. Und nun sehe ich, was ich offenbar damals noch nicht so sah: „Durch fast alle Museen“ hat die vielleicht längste Pointe im Feuilleton-Werk Knoblochs, der ja schon in seiner journalistischen Diplomarbeit auf Pointen fixiert war. Wer sich das Bändchen „Schattensprünge“ anschaut (Mitteldeutscher Verlag 1975, damals noch Halle ohne Leipzig), findet dort ausführlich wie sonst nirgends eine Darstellung, wie Heinz Knobloch mit Feuilleton-Eleven im Schriftstellerheim Petzow umging. Außer freundlich natürlich, das sowieso. Er vermittelte seinen „Schülerinnen“ und „Schülern“, alle erwachsen und durchaus schon schreiberfahren, dass man, wenn man schon eine tragfähige Idee hat, dann auch nach einer Pointe zu suchen habe. Das Treffen war übrigens schon das dritte seiner Art, von eins und zwei ist nichts überliefert, ob vier noch folgte, weiß ich nicht zu sagen. Immerhin nenne ich die Teilnehmer: Karl Sewart, Daniela Dahn, Werner Standfuß, Horst Büngener, Ursula Ullrich und Jürgen Borchert.

Vielleicht kann einmal jemand, etwa so würde das Knobloch formulieren, die vormaligen und die nachmaligen Beziehungen der sieben Feuilletonisten erforschen und darstellen. Man muss den etwas in Verruf geratenen Bergsteigerbegriff „Seilschaften“ ja nicht zwingend immer nur negativ sehen. Kleiner Tipp: allein das Thema Heinz Knobloch und Werner Standfuß hat das Potential für eine solide Magisterarbeit und deren anschließende Veröffentlichung im stets bereiten GRIN-Verlag. Gegen den hiermit natürlich nichts gesagt sei. In „Durch fast alle Museen“ führt Knobloch exemplarisch vor, dass die uralte Journalisten-Regel „Hund beißt Mann; Mann beißt Hund“ auch schon im tiefen und real existierenden Sozialismus galt. Hund beißt Mann ist unendlich viel interessanter. Auf Berliner Museen bezogen, in denen sich der ewige Museumsgänger natürlich bestens auskannte, mindestens so gut wie auf den Berliner Friedhöfen, weil er eben auch ein ewiger Friedhofsgänger war, heißt das: „Weil alle ordentlichen Beschreibungen der Berliner Museen mit den größten Häusern und dem Altar von Pergamon beginnen, fangen wir mit dem kleinsten an, dem Hugenotten-Museum.“ Natürlich ist es arg kokett, wenn einer die eigene von den ordentlichen Beschreibungen absetzt, sich somit selbst unordentlich nennt, sich so eine Art von negativem Führungszeugnis ausstellt. Immerhin verrät er gleich: es könnte ein noch kleineres Museum geben.

Der Beginn mit dem Hugenotten-Museum (im Französischen Dom am Gendarmenmarkt, die Öffnungszeiten von 1981 haben längst nur noch historischen Wert) erlaubt Knobloch nebenbei gleich einen Griff in die eigene Vorratskiste. Er kann sich zu den französischen Einwanderern äußern: 1700 war jeder achte Berliner ein Franzose, 1780 stellten die Hugenotten ein Drittel aller Akademiemitglieder. Und Theodor Fontane war Nachfahre. „Sie brachten den mechanischen Strumpfwirkstuhl nach Berlin und neue Gemüsesorten.“ Über die wiederum schweigt sich der große Hobby-Gärtner Knobloch aus. Hier spätestens sei verraten, dass Heinz Knobloch der einzige von insgesamt 21 Autoren des „Reiseverführer Berlin“ war, der zwei Beiträge liefern durfte und ganz hinten steht, dass er außerdem die beiden Herausgeber unterstützte bei deren Aussuchen der passenden Marginalien, die sich auf vielen Seiten im Buch jeweils links und kleiner gedruckt finden. Dies macht das Erscheinungsbild der Seiten locker und Zusatzinformationen, das sei nicht gering geschätzt, müssen nicht in hintere Buchregionen verbannt werden, wo man sie mühsam mit Hilfe kleiner, vorn hochgestellter Ziffern und Zahlen aufzusuchen hätte. Knobloch war, es sei aus nahe liegenden Gründen hier hervorgehoben, ein Gegner hastiger Umbenennungen. Denn der Gendarmenmarkt hat eine Geschichte, deren revolutionären Teil man natürlich 1980 betonen durfte.

Den Wiederaufbau des Schauspielhauses als Konzerthaus hat Knobloch selbstredend begrüßt: „... diesen Platz eines Tages völlig wiederhergestellt zu sehen bleibt eine Berliner Sehnsucht.“ Weiter führt er zu einem Freilichtmuseum neben dem Märkischen Museum, wo auch (damals noch) richtige Bären knurrten. Die ersten schenkte einst die „Berliner Zeitung“ dem Magistrat von Groß-Berlin. Was waren das trotz aller Diktaturen in dichter Folge für herrliche Zeiten, als Zeitungen noch echte Bären verschenkten, später gab es zum Redaktionskaffee für Besucher nicht einmal Gummibären. Das Märkische Museum selbst „erneuerte 1975 eine alte Tradition: Kammerkonzerte mit Berliner Kolorit. Konzerte gibt es auch im Schlüterhof des Museums für Deutsche Geschichte, das heute viele wieder einfach nur Zeughaus nennen. Knobloch: „In Berlin sind von allen Seiten Kanonen auf uns gerichtet.“ Wobei ich glaube, dass diese heute vor allem und mit viel Begeisterung auf Spatzen schießen. Auf vermeintlich rassistische Straßennamen zum Beispiel. Oder auf neue Intendanten, denen man nur den geringsten Versuch, sich zu beweisen, schon vorab verweigert. Im Museum für Deutsche Geschichte erfuhr der Besucher damals die Geschichtsauffassung der Arbeiterklasse und damit „manches, was sein Großvater hier nicht zu sehen bekam“. Heute erfahren die Großväter nicht mehr, was sie erlebt haben, denn wieder schlugen die Sieger der Geschichte zu.

Der Feuilletonist wäre keiner, würde er nicht feuilletonistische Sentenzen niederschreiben wie „es wird auf jeden Fall immer ein Tag mehr benötigt, als der Besucher zur Verfügung hat.“ Und ergänzt: „Vielleicht ist es ganz gut, wenn die Museen immer mehr bieten, als ein einzelner je zu erfassen vermag.“ Das war, wie man schnell merkt, eine elegante Überleitung zum Naturkundemuseum, dem ich 1976 vier schöne Wochen als Pförtner diente. Vielleicht sah ich da auch Knobloch einmal, als er sich dem zwölf Meter hohen Skelett des Riesensauriers näherte, um einen optischen Eindruck für immer zu speichern. Später, verrät er, kaufte er aus dem unerschöpflichen Fundus des Museums „einen gut sichtbar in einen handtellergroßen Stein eingeweckten Saurierfinger.“ Und er gibt seinem Staat und dessen ideologischen Repräsentanten gleich noch ein kleines Hiebchen mit: „... zum anderen ist die Anfertigung von Reliquien eine Gefahr, der selbst historische Materialisten nicht ganz entgehen.“ Das Ägyptische Museum kann er dann doch nicht einfach links, wahlweise rechts, liegen lassen und erzählt vom Obelisken, der 1894 als Türschwelle missbraucht in Kairo gefunden wurde. War das nun kolonialistische Enteignung, Aneignung oder einfach Rettung vor dauerhaftem Missbrauch? Ich kannte mal eine Museumschefin, die kaufte sich für ihren Vierseithof eine Treppe aus Sandstein zu einem Haus, das dann aber gar nicht abgerissen wurde. Dumm gelaufen das alles.

Was Heinz Knobloch immer gern tat: er malte sich etwas aus. Am Markttor von Milet zum Beispiel, dass der Eingang der Berliner Markthalle in Milet ausgestellt würde. Mich verband mit Milet immer mehr der alte Vorsokratiker Thales als das Markttor. Dann aber kommt es: die oben zwecks milder Erweckung von Neugier angekündigte längste Praline, Pardon, längste Pointe, nicht der Welt, sondern des Knoblochschen Feuilleton-Schaffens. Die übrigens, die reine Lehre bleibt am Ende immer die reine Lehre, auch noch ein Kurz-Pointe hat, es ist der allerletzte Satz aus vier Wörtern. „Da ist jedoch, und wir wollen es nicht vergessen, noch ein wichtiges Museum in Berlin.“ Mag sein, dass beim Lesen der eine oder die andere leicht unwirsch sich fragte: Warum nennt er denn nicht die Anschrift, die Öffnungszeiten und überhaupt alles, was ihm sonst seine unverbesserliche Akribie entlockt? Es hagelt Namen, unter anderem kommt der Herr Moses schon in einer Art von Kurzfassung des späteren Erfolgsbuches vor. Er galt noch als Vorbild des Nathan von Lessing, was man in der DDR, deren Nachkriegskultur unter anderem mit Wolfgang Heinz in der Rolle des Nathan einsetzte, gern las, auch wenn es so nicht stimmte. Die lange Pointe: das liebevoll, wenn auch mit erkennbarem Schwergewicht auf bestimmte Namen, imaginierte Museum für Berliner Deutsche Literatur ist großartig, der einzige Mangel: „Es ist nicht vorhanden.“ So die Kurz-Pointe.


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