Immer noch Joseph Roth

„Wie es scheint, geht es jetzt schnell mit den Dichtern zu Ende“, lautete der erste Satz eines 1939 geschriebenen Nachrufs, und sein Verfasser, Arnold Zweig, hatte tatsächlich Mühe, seine Betroffenheit in Worte zu fassen. Was ihn erschütterte, liest sich in einer biographischen Notiz so: „Am 27. Mai 1939 starb Joseph Roth in einem Pariser Armenhospital an Delirium tremens und Lungenentzündung.“ Nur fünf Tage zuvor war Ernst Toller freiwillig aus dem Leben geschieden, nun folgte Joseph Roth... „Wer an seiner zarten Haut zugrunde geht“, schrieb deshalb fast beschwörend Arnold Zweig, „ist unserer inneren Treue sicher“. Und Günther Rücker 1977: „Roth schrieb in klassischer Haltung. Er zerriß nichts, er zerstörte nichts, er sprengte nichts in die Lüfte, er schrie nicht, er stammelte nicht, zerhackte und montierte nichts um und nichts neu. Er schrieb nach dem Gesetz, nach dem die großen Bücher der Menschheit geschrieben sind...“.

Konservativ kann solche Schreibhaltung genannt werden, und es war bei Josph Roth in mehr als einer Hinsicht mehr als nur eine Schreibhaltung. Man kann ihm Naivität vorhalten oder gar politische Blindheit in mancher Frage, man hat ihm die Ausweglosigkeit seiner Geschichten vorgeworfen, und zwischenzeitlich gab es mehr schnelle als gute Urteile über ihn. Dann aber hat er sich durchgesetzt, wie es aller großen Literatur immer gelungen ist, sich durchzusetzen, auch wenn ihre Autoren dies nicht mehr erlebten. „Hiob“ von Joseph Roth ist eines von den großen Büchern der Menschheit, die Günther Rücker meinte, die Erzählung „Das falsche Gewicht“ mag danebenstehen. Der 1894 in Brody (Wolhynien) geborene Roth, den das Ende der k. u. k. Monarchie nie losließ, ist für uns heute auch der Chronist einer unwiederbringlich verlorenen Kultur. Ihre Ausrottung in den Vernichtungslagern der deutschen Faschisten hat Roth nicht mehr erlebt, seine Bücher aber machen sie vorstellbar, als wäre sie anzufassen. Seine späten Romane erscheinen in diesem Jahr in einem Band, spät, aber nicht zu spät.
 Zuerst veröffentlicht in: NEUE HOCHSCHULE, Jahrgang 32, Nummer 10
 26. Mai 1989, Seite 5


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