Bereitschaft zu lernen

Jetzt neigt er schon einmal dazu, gesprächsweise, nach einer Lesung etwa, auf's Alter zu kommen, Ruhebedürfnisse anzumelden, das Wort „Wachablösung“ im Munde zu führen. Walter Werner, Lyriker von hohen Graden, hat heute seinen 65. Geburtstag. Er sei „in unserer Lyrik ein Alleingehender“, hat eine Kritikerin anläßlich der Werkschau „Die verführerischen Gedanken der Schmetterlinge“ (Reclam, 1979) geäußert, er sei „der einzige Vertreter von Bedeutung in der DDR ... der kein Städter ist“, schrieb Adolf Endler und auch der einzige wichtige, „der seine Selbstentdeckung wie seine Entwicklung als Poet von Anfang an und entscheidend den auf Arbeiter und Bauern orientierten Förderungsmaßnahmen in unserem Lande verdankt.“

Im südthüringischen Vachdorf geboren am 22. Januar 1922, Volksschule, Malerhandwerk, Reichsarbeitsdienst und faschistische Wehrmacht, noch 1945 Mitglied der KPD, Tätigkeit als Volkskorrespondent, Versuche in Mundartdichtung (später fortgesetzt), Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren, energische Förderung durch Louis Fürnberg, der den ersten eigenen Band „Licht in der Nacht“ 1957 herausbringt. Das sind einige Stationen in Walter Werners Leben. Seit fast vierzig Jahren wohnt er nun in Untermaßfeld bei Meiningen, dem ersten Buch sind eine ganze Reihe weiterer gefolgt, so „Die Strohhalmflöte“ 1965, „Das unstete Holz“ 1970, „Worte für Holunder“ 1974, „Der Traum zu wandern“ 1979, „Der Baum wächst durchs Gebirge“ 1981, um nur einige zu nennen.

Vor allem Dichterkollegen waren es immer wieder, die nachdrücklich auf dieses Werk aufmerksam machten, neben Adolf Endler beispielsweise Heinz Czechowski und Wulf Kirsten. Rhön, Grabfeld, Landschaft, Natur, Heimat im engen Umkreis, der eben nicht zu Enge, Tümelei und Hinterwäldlertum verführt hat, sondern eine Dichtung hervorbrachte, die als andere, als sozialistische Heimat- und Naturdichtung exemplarisch dasteht in unserer Lyrik – das ist Walter Werner. Verarbeitete Einflüsse haben einer eigenen Sprache Platz gemacht und – er gibt weiter, was er einst selbst empfing: Förderung. Nicht weil er der langjährige Vorsitzende der Bezirksorganisation des Schriftstellerverbandes Suhl ist, er fördert, weil jedes Talent es verdient, behutsam, verständnisvoll, tolerant.

Es hat ihn belastet, daß er als ein Volksschüler nicht mit dem Bildungsgut seinen Weg antreten konnte, über das andere, auch seiner Generation, wie selbstverständlich verfügten, mal mehr, mal weniger. Spürbar ist das vor allem in seiner Prosa, es bestimmte auch die Auseinandersetzung mit dem Erbe. Man lese etwa nach, wie er Georg Trakl erlebte. Doch hat ihm das die unbedingte Bereitschaft zu lernen eingetragen, ja geradezu aufgezwungen. Mit dieser Bereitschaft lebt er, Selbstgerechtigkeit ist seine Sache nicht und schon gar nicht das gefällige Selbstzitat. Und so ist er jünger als manch Jüngerer: heute darf er dies Kompliment gelten lassen.
 Januar 1987, unveröffentlicht, nach dem Typoskript


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