Helga Königsdorf im Bücherschrank

Die Edition Neue Texte des Aufbau-Verlags hielt es damals mit den spektakulären Titeln: „Wie ich meine Unschuld verlor“ und eben auch „Meine ungehörigen Träume“. Auf dem Schutzumschlag war ein weithin diskutiertes Gemälde von Horst Sakulowski abgebildet, oben rechts schwebten die sinntragenden Telefone. Heute würde ich dergleichen eher zu den Vordergründigkeiten rechnen, zumal die äußerlich suggerierte Lesart des Buches ja keineswegs die einzig mögliche war. Allerdings knabberte die Kritik erst einmal an diesem Buch und die verdienstvollen Sammler in Halle hatten für ihre Rezensionsauswahl zu tun, ausgerechnet die dürftigste Besprechung, die überhaupt erschienen war, für die Nachwelt aufzuheben. 

Wer aber jetzt, nach zehn Jahren, wieder zu Helga Köningsdorfs „ungehörigen Träumen“ greift, liest er ein anderes Buch? „Bolero“ ist immer noch ein faszinierendes Stück Literatur. Welcher Erzählungsband hat je mit einem solchen Auftakt verlockt? Und war das nicht Öl auf einige so vor sich hin flackernde Feuerchen: ein Mann wird vom Balkon gestoßen, Schneewitchen verspeist einen Zwerg ... Dann der berühmte Satz: „Es sind immer die falschen Männer, die wir mit Entengrütze bewerfen.“ Heute ließe sich fast behaupten. Es sind immer die falschen Geschichten, denen das erste Lob zufällt. Denn: Helga Königsdorf hatte die Wissenschaft als komischen Gegenstand entdeckt. In nur drei von zehn Geschichten zwar, dort aber auf eine unbescheibliche Weise, dort war sie unverwechselbar Helga Königsdorf gewesen.

Kein Klischee schlich sich in die Texte, jedes spekulative Moment war ausgeschlossen. Noch heute ist es vergnüglich, die zeitgenössischen Kommentare gerade zu diesen drei Geschichten zu lesen, Genuß bereiten die zittrig herausgefilterten Nutzanwendungen. „Lemma 1“, „Krise“, „Eine Idee und ich“ - vor diesen Texten verblaßt noch heute alles Gerede. Mitten im landesweiten literarischen Kampf um Pilotanlagen langte da aus intimer Innensicht eine souveräne Frau hin. Enthüllte sie wirklich etwas? Vieles von dem, was wir tun jeden Tag, ergäbe, würden wir es auf einer Bühne tun, ein urkomisches Bild.

Den Wissenschaftsbetrieb hat Helga Königsdorf auf die literarische Bühne gestellt. Und effiziente Wissenschaft ist nicht irgendein Thema für uns. Unsere Zukunft, nicht weniger, hängt von ihr ab. Von einer uns gemäßen Wissenschaft. Ihr nachgefragt zu haben, macht Helga Königsdorfs Eintritt in die Literatur im Jahre 1978 bedeutend. Ihre diesbezüglichen Befunde sind seitdem nicht freundlicher geworden: „Der Lauf der Dinge“, „Respektloser Umgang“ und jetzt „Lichtverhältnisse“ zeigen es. Fordernder aber sind sie geworden. Wir auch?
      Zuerst veröffentlicht in;: Tribüne, Nr. 34, Seite 4, 16. Februar 1989,   in der Rubrik „Entdeckungen im          Bücherschrank“, Titel: „Literarische Befunde    aus der Welt der Wissenschaft“, nach dem Typoskript


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