Luise Adelgunde Victorie Gottsched 300
So hieß man halt in der Zeit der Puderperücken. Soweit ich sehe, hat außer Ralf Julke für die Leipziger Internet Zeitung im vorigen Jahr niemand Notiz genommen vom 250. Todestag der „Gottschedin“, wie sie meist genannt wird und der heutige 300. Geburtstag hat auch keine Flut von neuen Biographien oder Nächten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgelöst. Das schlimm zu nennen, wäre dick aufgetragen. Die Frau aber nur den Frauen zu überlassen, die ihr feministisches Lebenswerk im Würdigen weiblicher Kulturleistung im weitesten Sinne sehen und dabei noch immer auf Jahre hinaus zu großen Teilen Grabungsarbeiterinnen sind, wäre ebenfalls zu bequem. Im Gegensatz zur ärmlichen WIKIPEDIA-Darstellung soll deshalb hier zuerst und vor allem www.fembio.org genannt sein, verantwortet von Luise F. Pusch, die auch den Beitrag zur Gottschedin verfasst hat. Es gibt dort viele Literaturhinweise, Links, Empfehlungen für weiter führende Literatur. Der runde Geburtstag heute gehört dort zu den Headlines der Woche.
Als vor einigen Jahren in der Darmstädter Wissenschaftlichen Buchgesellschaft eine Briefsammlung erschien, herausgegeben von Inka Kording (Louise Gottsched – mit der Feder in der Hand. Briefe aus den Jahren 1730 – 1762), nutzte Rolf Löchel in seiner Besprechung, die nicht erkennen ließ, ob er auch nur einen der Briefe gelesen hatte, die Gunst der Stunde, dem Ehegatten Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) den Vorwurf der doppelten Ausbeutung seiner Frau zu machen. Das ist fast zu billig, um es zu kommentieren, liest sich freilich wohlfeil. Warum Löchel der ohnehin viel zu früh gestorbenen Frau Gottsched auch gleich noch volle zwölf Lebensjahre raubte und sie im Alter von 37 Jahren sterben ließ, ist nicht ersichtlich, stärkt das Zutrauen zu seinen Aussagen und Wertungen allerdings auch nicht ins Unermessliche. Pusch lesen ist besser.
Immerhin, der 13 Jahre ältere Gottsched, eine ziemliche Weile Literaturpapst der deutschen Frühaufklärung, zeitig attackiert aus der damals erstaunlich dominanten deutschsprachigen Schweiz durch Bodmer und Breitinger, war später so etwas wie der Lieblingsprügelknabe (im Gefolge Lessings) aller Möchtegern- und tatsächlichen Originalgenies. Und wollte doch schon die Gedichte der sechzehnjährigen Louise Adelgunde veröffentlichen, die er gerade kennen gelernt hatte, es soll am Einspruch der Eltern gescheitert sein. Anerkennung ihrer Fähigkeiten war das auf alle Fälle. Eine sechs Jahre lange Verlobungszeit, wie gelegentlich zu lesen, gab es nicht. Ob man die Zeit zwischen der Verlobung im Februar 1734 und der Heirat am 19. April 1735 überhaupt lang nennen muss, mag im Raum stehen bleiben. Auf alle Fälle war damals und noch für viele Jahre die Hauptvoraussetzung für eine Ehe, in der der Mann ja automatisch Versorger wurde, ein auskömmliches Einkommen des künftigen Gatten. Selbst hochmoderne Tochtereltern hätten ihr Kind damals keinem Risiko aussetzen wollen. Die Leipziger Professur Gottscheds war sicher entscheidend.
Aus heutiger Sicht hatte die Tochter des Leibarztes des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I., Johann Georg Kulmus und seiner Ehefrau Katharina Dorothea, geborenen Schwenk, natürlich einen sehr entscheidenden Makel. Sie ordnete sich als Ehefrau nicht nur ihrem Johann Christoph unter und ließ sich von ihm gewissermaßen in Dienst nehmen, sie soll auch (laut Löchel) schon mit 19 über eine Philosophieprofessorin gespottet haben. Das passt wenig zu den Tatsachen, die mehrfach bezeugt werden, sie hätte durch eine offene Tür den Vorlesungen ihres Mannes gelauscht, weil Kollegsäle für Frauen noch tabu waren. Wie es da eine Philosophieprofessorin gegeben haben kann, noch dazu eine, die man nicht findet im allweisen Internet, bleibt rätselhaft, ich nehme freilich gern Belehrung entgegen.
Ganz unzweifelhaft war diese Arzttochter ein überragendes Talent und es besteht wenig Grund, innerhalb dessen, was sie hinterlassen hat, allzu pingelige interne Ranglisten zu konstruieren. Gespielt worden sind ihr Bühnenwerke offenbar nicht, gedruckt wurden sie dagegen schon und auf alle Fälle gelesen. Allein als Übersetzerin von Werken europäischen Ranges (Pierre Bayle, Fontenelle, Alexander Pope, Voltaire, Moliere, Thomas Addison, Marivaux, Terrasson) war sie mit dem Besten vertraut, was zu ihren Lebzeiten aus der ersten Phase der Aufklärung zu haben war. Und einmal, das für lokalpatriotische Leser in Thüringen, ist sie auf dem Weg von Leipzig nach Hannover auch durch Erfurt und Gotha gekommen. Ob sie anhielt und „Oh!“ rief oder gar „Oh! Wie schön!“ rief, ist nicht überliefert.
Ein ziemlich reines Vergnügen liefert mir ihr Einakter „Der Witzling“ aus dem Jahr 1745. Schon allein der Satz des jungen Reinhart: „Wenn ich schlechtes und verstümmeltes Deutsch lesen will: so lese ich meine Acten und die Zeitungen!“ ist fast die ganze Lektüre wert. Dieser Reinhart ist ein Rechtsanwalt mit der frappierenden Lebensmaxime: „Ich treibe jetzt mein Advocatenhandwerk; weil mir ein witziger Kopf, der kein Brod hat, ein sehr elendes Geschöpf zu seyn scheint.“ Er ist innerhalb des Spielchens das Korrektiv zu gleich drei ausgemachten Schwafelhänsen männlichen Geschlechts, die im Zimmer der Jungfer Lottchen, sie ist das Mündel des alten Reinhart, sich in Angebereien, Dümmlichkeiten, Sprachschnitzern und dreisten Theorien ergehen, schließlich sogar eine eigene Gesellschaft gründen, die ihr Dummdeutsch zum Maßstab von Kreativität erheben soll. Das liest sich, was man von manch klassischem oder auch nur klassischerem Werk keineswegs so ohne weiteres behaupten kann. Humor bei Frauen war dem rundlichen Tucholsky noch knapp zweihundert Jahre später bei einer Autorin wie Irmgard Keun eine spezielle Erwähnung wert.
In den Geschichten des deutschen Lustspiels kommt Luise Adelgunde Victorie Gottsched bisweilen verblüffend ausführlich vor (zwölf Seiten bei Eckehard Catholy) mit informativen und vorurteilsfreien Wertungen, sie hat mehr als nur eine marginale Rolle in mindestens diesem Felde deutscher Literaturgeschichte gespielt. Die Art von Poet, über die sich der „Witzling“ lustig macht in dem Hauptexemplar Jambus und dem Nebenexemplar Vielwitz, ist offenbar eine unausrottbare Species, insofern ist das Werkchen sogar von einer Aktualität, die heute gern verblüffend genannt wird. Einmal war sie auch, das geht wieder an die Thüringer unter meinen Lesern, zwischen den Einbanddeckeln von des Gatten „Die deutsche Schaubühne“ mit Friedrich Melchior Grimm vereint, dessen Stück „Banise“, sein einziges Werk für die Bühne, sich im vierten Teil der Reihe abgedruckt fand. Grimms Briefwechsel mit Gottsched ist vor mittlerweile 15 Jahren im Universitätsverlag Röhrig erschienen. (Mein SCHLICHTE BRAUNE LEDERBÄNDE aus 2007 zu Grimm ist in ALTE SACHEN nachlesbar). Das Alphabet will es, dass Grimm im „Dramenlexikon des 18. Jahrhunderts“ (C.H. Beck) unmittelbar auf Gottsched folgt, dort sind die überlieferten Stücke unserer Jubilarin knapp referiert.
Luise Gottsched hat ihren Gatten nicht nur vielfältig unterstützt, ist nicht nur vielfach mindestens Mitautorin dessen, was nur unter seinem Namen firmierte, sie hat ihre äußere Unterstützung, ihre Unterordnung, wenn man so mag, auf nachhaltigste Weise dadurch ergänzt, dass sie praktisch, in dem, was sie selbst schrieb, sich eigene Regeln gab, wo sie meinte, genau das zu brauchen. Vielleicht war das mehr Souveränität, als wenn sie ihm den Kochtopf an den Kopf geworfen hätte im Kampf gegen doppelte Ausbeutung. Zu vermuten ist übrigens, dass ein gestandener Professorenhaushalt ohne eigene Kinder, wohl aber sicher mit mindestens einer Hilfe aus der Hausmädchenkammer, der Hausfrau Gottsched keine unzumutbaren Lasten aufbürdete. War sie auch nur annähernd so schlagfertig wie ihr Lottchen im „Witzling“, dann wird sie dem Ausbeuter am heimischen Herd wohl bisweilen Klartext gesprochen haben.