Elstern und andere Singvögel

Kinder und Tiere, sagen die Chefredakteure stets, wenn sie eine gute Schule hatten, seien es, die Leser anziehen. Im Sommer war es eine Kuh, die schlau im Wald herumstrich wie ein Problembär ohne Honigneigung, sie hörte auf den schönen Namen Yvonne und ließ sich mit nichts verlocken. Als ich in den Urlaub zu fahren im Begriff war, sah ich eben noch auf dem Titel die illustrierte Nachricht meiner Heimatzeitung, dass es in Thüringen künftig nicht mehr so leicht sein solle, einen Elefanten als Haustier zu halten oder ein Krokodil. Ich war in punkto Krokodil schon halbwegs gut vorinformiert dank eines Kinderbuches über Onkel Walter, der ein kleines Krokodil kaufen musste, welches dann wuchs und wuchs und wuchs. Vorher biss es den Onkel ins Bein, weil der Onkel die wirklich dumme Idee hatte, dieses kleine Krokodil mit Möhren zu füttern.

 Nach zwei brav durchschwitzten Urlaubswochen an Seen des oberitalienischen Sprachraums sortierte ich die zu Hause auf meinem Arbeitszimmertisch gelandeten Druckerzeugnisse, Blätter, Kataloge, Werbedrucke und wieder sah ich den Elefanten. Erst jetzt nahm ich die weiter gehenden Zusatzinformationen ruhig auf, denen zufolge die Erschwernisse beim Elefantenhalten ausgesetzt werden, wenn Zuchtzwecke oder wissenschaftliche vorliegen oder umgekehrt. Damit wäre ich also für den Fall, ich wollte mir eine kleine Elefantenzucht auf meinem Balkon anlegen, einigermaßen auf der sicheren Seite, die Ausführungsbestimmungen respektive Verwaltungsvorschriften werden wohl noch dahingehend ins Detail greifen müssen, wie weit oberhalb der Blumenkästen meiner Untermieter die Elefantenrüssel enden dürfen, damit keine nachbarschaftlichen Konflikte entstehen oder meine Elefanten einfach deren Geranien fressen.

 Schon am zweiten Tag nach Ende unseres Urlaubs war meine Wegwerf-Papierkiste so gefüllt, dass ich sie erstmals in den Container entleeren musste. Etliche Geschichten über die Mauer hatte ich überblättert, in den Todesanzeigen niemanden gefunden, den ich näher kannte bis auf einen, da sprang sie mir ins jäh Auge, die Überschrift: Elster profitiert von der Wende. In Ostdeutschland und in der Tschechischen Republik, las ich, haben sich seit 1989/1990 Singvögel mit größeren Gehirnen stärker vermehrt als Vogelarten mit eher begrenzten geistigen Fähigkeiten. Auf dem Foto, das, wie neuerdings rezeptionspsychologisch begründbar größer als der Text ist, sah ich zwei Elstern, die ich, wenn ich ehrlich bin, bis dato nicht unter die Singvögel gerechnet hatte.
 Normalerweise schaue ich aus dem Fenster, wenn ich Elstern sehen will oder lasse sie offen, wenn mir ihr Gesang reicht. Nun also höre ich Wende-Profiteure quarren, wenn sie Laut geben. Sie sind, weiß ich nun, neben Eichelhähern und Meisen als klug geltende Vögel jene, die sich am besten anpassen können an neue Verhältnisse. Da eine frische Grünanlage, dort eine Eigenheimsiedlung und schon vermehren sich die Meisen, während Dorngrasmücken es einfach nicht packen. Vielleicht gibt es zu wenig Dorngras für sie und mit Doornkaat ist den kleinen Flattermännern kein Ausgleich zu schaffen. Wirklich erschüttert hat mich, dass unter den Verlierern auch die Spatzen zu finden sind. Zwar wusste ich schon, von welchen Tieren sich der Begriff Spatzenhirn herleitet. Nun aber grüble ich, was in den Spatzenköpfen statt Hirn wohl sein mag, denn kleiner als bei Meisen sind die Köpfe nicht, jedenfalls nicht, wenn ein Spatz und eine Meise auf meinem Balkongeländer sitzen und mich zur Augenmessung herausfordern. Es gibt also nur die Möglichkeit, ein leichteres Spatzenhirn bei gleichem Volumen anzunehmen, wofür der Umstand spräche, dass es auch bei Kurzflügen schwierig wäre, mit umherrollendem Hirn im Oberstübchen saubere Landeanflüge hinzubekommen, was Spatzen dennoch immer gelingt.

 Dass Wissenschaftler aus der Tschechischen Republik wegen des Zusammenhangs der Gebiete dieses Forschungsfeld wählten, will mir einleuchten, auch die DEFA drehte früher in der DDR immer nahe Berlin, weil das Reisekosten sparte. Dennoch bin ich nun neugierig, wie es fliegenden Kleinkollegen in Siebenbürgen ergangen ist oder im magyarischen Bükk-Gebirge. Offen ist ebenfalls für mich, wie es mit Gartenrotschwänzen steht, die haben sich unter meinen Fenstern ebenfalls stattlich vermehrt, obwohl sie nicht aussehen, als würden sie den Pferden das Denken überlassen in Ermangelung großer Hirne.


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