Goldrain, nicht Goldberg
Leider führt die Überschrift in die Irre. Ich meine nicht Henryk, den Mann, der gemeinsam mit Anita Grasse schon fast erfolgreich versucht, die THÜRINGER ALLGEMEINE ganz allein zu füllen. Goldberg ist für mich, tut mir ein wenig leid für ihn, ein Wort aus der Vergangenheit, geographisch selbstredend nur, denn mit diesem Wort verbindet sich bei mir ein anderes, das heißt Panzer. Die trugen seinerzeit nicht so hübsche zoologische Namen wie Leopard oder Marder, sie hießen T 54, T 55 oder auch mal T 76, sie kamen aus einer anderen Werkstätte und ob sie auf saudiarabischen Wunschlisten standen, weiß ich nicht zu sagen.
Meine Reisen nach Goldberg fielen damals nicht unter die Rubrik Ersehntes und Erwünschtes, es waren Dienstreisen, mit Stiefeln und Stahlhelm zu absolvieren, ein Gerät zwischen den Knien, das den auch heute noch geläufigen Namen Kalaschnikow trug, man konnte daraus aus erstaunlicher Entfernung den Stahlhelm, den ich trug, so durchschießen, dass das Geschoss vorn nur ein rundes Loch hinterließ. Der entsprechende Test gehörte zu den Erlebnissen, die meinen Optimismus für alle so genannten Ernstfälle arg dämpfte. In Goldberg aber landete ich als Begleiter von Munitionstransporten.
Ich saß hinten auf der Ladefläche, rauchend, unterm Hintern die Munition in Kisten und Kästen, und am Ziel hatte ich nichts zu tun. Ich hätte unterwegs einen Angriff auf meine Munition schießenderweise abwehren müssen. Wenn die Angreifer auch geschossen hätten, wäre ich wahrscheinlich in wenig kompletter Form in die ewigen Jagdgründe übergegangen, darüber denkt man besser nie nach. Immerhin musste ich in Goldberg nicht jeden Idioten grüßen wie in Rostock, vielleicht gab es auch bei Panzers nicht ganz so viele Idioten wie bei Muckers. Bei Muckers blökte schon der erste Streifen auf der Schulterklappe: Kommsiemazzrück!!! Und ließ einen zu seinem Vergnügen erneut an sich vorbei marschieren, die Pfote am Käppi.
Goldrain aber, das wenigstens ist ohne jede weitere Erklärung festzuhalten, ist eine panzerarme Gegend. Es liegt in einer Region, deren Name hierzulande wahrscheinlich von den üblichen Verdächtigen bereits wegen seines zweiten Teiles in Frage gestellt worden wäre. Denn, so stünde zu erwarten, gegen Vinsch ist kaum etwas einzuwenden, aber Gau?? In Italien jedoch, das mag uns freuen oder erbosen, gibt es eine Gegend, die nicht nur Vinschgau heißt, sondern darauf auch erkennbar stolz ist. Südtirol hat mit dem Vinschgau etwas zum Vorzeigen. Man kann, ich will nicht missverständlich reden, an Stelle von Vinschgau auch Pustertal sagen oder Weinstraße oder Dolomiti, es ist einfacher, vom Gegenteil des Vorzeigbaren zu sprechen, man ist rascher fertig. Die Freunde Südtirols schütteln an dieser Stelle ohnehin schon ihre Köpfe, denn warum sonst fahren sie schließlich immer wieder da hin.
Uns hat Goldrain gefallen, weil wir noch nie dort waren und doch das Gefühl hatten, von unserem Balkon aus schon ewig über Äpfel, Vögel und Berge gesehen zu haben. Wahrscheinlich sammeln sich alle Vögel, die angeblich kaum noch in unserer sterbenden Welt vorkommen, in diesen Apfeldickichten, ihre Gesänge sind in geballter Form wahrhaft ohrenbetäubend. Wir hatten auch einen Burgblick, was niemanden überrascht, der Südtirol kennt. Auch hier ist es leichter, Gegenden aufzuzählen, in denen in keiner Richtung irgendeine Burg zu sehen ist. Man ist rasch fertig, wahrscheinlich muss man nicht einmal den Mund überhaupt aufmachen. Wandern kann man von Goldrain her entlang von Waalwegen, auch wenn da meist kein Wasser mehr fließt. Man kommt fast automatisch zum Latscher Bierkeller unter Bäumen, wo man an Sonntagen mit Sonne fragen muss, ob man sich setzen darf.
Das hat nicht damit zu tun, dass da eventuell ausgediente DDR-Bedienung mangels HO- und Konsum-Gaststätten die Platzierhoheit ausübt. Es ist die Kapazität an Haxen und halben Hähnen, aus der sich unter Umständen Wartezeiten ergeben, die der nicht gänzlich devote Gast nicht immer klaglos zu akzeptieren bereit ist. Unsereiner aber, der ohnehin als Freund des Specktellers den bewirtschafteten Almen zu Leibe rückt, ist enorm im Vorteil, die zarten Scheiben sind fix geschnitten, der Kaminwurz geteilt und etwas Käse dazu mit einem Brot, das nach Anis schmeckt, wer wartet da auf eine Haxen?
Unterwegs erregte meine dem allerneuesten Digitalstandard bei weitem nicht entsprechende Nikon F 801 ungeahnte Aufmerksamkeit. Die uns ansprechende Dame war eine Fotografin in eigenem und offiziellem Auftrag. Sie belichtet, was der Vinschgau an Bergblumen zu bieten hat und sie macht es so gut, das daraus ein Buch geworden ist.* Von dessen zweiter erweiterter Auflage wir rasch ein Exemplar erwarben, mit Widmung für Dr. Eckhard Ullrich im Rucksack verstauten und dann den Weg gemeinsam fortsetzten. Wer je eine geführte Wanderung erlebte, die den Eindruck vermittelte, der Führer kenne sich aus wie in seiner Westentasche, ahnt, was uns widerfuhr. Wobei ich keinen Schimmer habe, woher das mit den Westentaschen kommt und was daran besonderes wäre, sich in einer so kleinen und doch meist leeren Tasche sehr gut auszukennen.
Edith Schneider-Fürchau aber, Jahrgang 1934, weiß definitiv, welche Blume an welchem Hang in welcher Zeit des Jahres im Vinschgau blüht, sie weiß, wann eine zu früh dran ist, wann eine andere eigentlich schon da sein müsste und immer ist sie, weil sie das alles auch für das Naturmuseum Südtirol in Bozen tut, nicht ganz privat unterwegs. Ganz oben im Martelltal, an Rudi's Würstelbude, liegen ihre Bücher ebenfalls aus, die Autorin bringt Nachschub, wenn sie ausverkauft sind und nimmt einen Weißen. So ein Weißer muss gar nicht von der Weinstraße kommen, die bis Kurtinig reicht, auch im Vinschgau geraten längst nette Tropfen, so nett, dass man eigentlich gleich dazu übergehen sollte, ohne vorher erst ewig zu wandern.
Immerhin, hätte uns unsere Zufallsbekanntschaft nicht den Tipp mit der Lyfi-Alm gegeben, wer weiß, ob wir uns bis zu ihr durchgeschlagen hätten, denn, ehrlich gesagt, wir sind eher die nicht so wilden Wanderer, es mangelt uns an zünftiger Ausrüstung, es mangelt uns zusätzlich am Willen, die zünftige Ausrüstung zu erwerben. Wären wir aber nicht zur Lyfi-Alm gewandert, hätten wir das Paar nicht gesehen, das uns später am Parkplatz ansprach. Das, verrückte Zufälle, just auch denselben runden Hochzeitstag beging, der uns nach Italien geführt hatte, das Ilmenau kannte, die Hochschule, Frauenwald und aus Chemnitz kam. Und uns schon im Bierkeller beim Speckteller beobachtet hatte. Gruß nach Chemnitz also!
Von Goldrain ist man rasch in Laas, wo ein Kaiser-Denkmal steht, für Franz Joseph I. Wo es Bordsteine aus Marmor gibt und Poller aus Marmor und sogar Bürgersteige aus Marmor. Von Goldrain aus ist man auch fix im K. u. K. Museum Bad Egart, wo Schnecken gezüchtet werden, bäuerliche Antiquitäten und Kunst zu betrachten sind. Vor allem aber, Freunde von Sissy und Franz Joseph I., ist da eine herrlich überladene Sammlung zu schauen. Elisabetta e Francesco Giuseppe heißen die beiden für die italienisch sprechende Besuchergruppe. Und wir, sofort hatten wir die Hofburg zu Wien wieder vor Augen. Seinen Schreibtisch. Seinen Blick aus dem Fenster. Und ich, sofort dachte ich an Joseph Roth, der dem Wein ohne Wanderschritt, dafür in dichter Folge, geneigt war. Ach, Radetzkymarsch, ach, Kapuzinergruft, ach: Die Büste des Kaisers.
In Laas haben wir an der Grabstätte von Spinn gestanden. Das ist die Familie meines Mannes, sagte unsere Gastgeberin.
*Edith Schneider-Fürchau: Bergblumen-Paradies Vinschgau, Provinz Verlag Brixen 2009