Büchner: Dantons Tod, Hess. Landestheater Marburg

Das Spiel hat schon begonnen, ehe die Zuschauer zu ihren Plätzen im Parkett gelassen werden. Die ernst blickenden jungen Männer, die im Einlassbereich rote Fragebögen verteilen und bitten, diese ausgefüllt in eine wahlurnenartige Kiste zu werfen, agieren später im Stück. Das erklärt ihre mangelnde Gesprächsbereitschaft vorab. „Dantons Tod“ ist achtzig Minuten später zu Ende. Von Büchners dreißig namentlich genannten Personen sind nicht weniger als vierundzwanzig gestrichen. Die sechs verbliebenen Männerrollen werden von vierköpfiger Statisterie begleitet. Das alles, überraschenderweise, funktioniert. Regie (Veit Kassel) und Dramaturgie (Florian Heller) lassen einen Textrest spielen, der mit geringen Holperern bis zum Ende stimmig bleibt.

Büchners Stück offenbart auch in der Strichfassung des Marburger Landestheaters sein Kernproblem: es ist ein Debattenstück. Die Lebensopulenz, für die Danton stehen soll als Gegenspieler des Provinzjuristen aus Arras, Robbespierre, sie ist nicht im Text. Dieser Danton ist schon bei Georg Büchner kein Mann, dem man Sympathien entgegenbringt. Die geschniegelten und gelackten Revolutionäre um Robbespierre sind dazu noch weniger geeignet. Schon bei Büchner heben die häufigen Anspielungen unter der Gürtellinie die fundamentale Trockenheit des „Diskurses“ nicht auf. Danton (Ogün Derendeli) kann zwar das Hemd über die Hose hängen lassen, während die, die ihn unters revolutionäre Fallbeil bringen, mit Aktentasche, Schlips und Kragen agieren, blutvoll wird die Figur nie wirklich.

Zweimal steht an der Rampe ein stinknormales Rednerpult. Dort hat Robbespierre (Martin Maecker) den längsten zusammenhängenden Text. Wäre man nicht durch ein zwanzigstes Jahrhundert abgehärtet, könnte einem das Blut gefrieren in den Adern angesichts dieser mörderischen Rhetorik. Alexander Garms, Unsympath in fast schon klischeehafter Verkörperung mit Musterknabenscheitel, setzt als St. Just mit seiner zynischen Vergleichung von Natur und Gesellschaft dem ersten Ansatz noch einen auf. Hier muss man keine Assoziationen herbeizitieren, wie der Hauptankläger Wyschinski als Stalins Marionette die alten Mitstreiter Lenins vor die Mündungen im Lubjanka-Gefängnis brüllte. Michael Golab gibt den Bürokraten der Revolution, den schon mal ein Mütchen ereilt, wenn Robbespierre nicht in der Nähe ist.

Martin Maecker steht zeitweise in der Beleuchtung wie Nosferatu, er ist das Böse, auch wenn ihn, glaubhaft gespielt, bisweilen ein winziger Selbstzweifel erfasst. Büchner-Deutern liefert „Dantons Tod“ dankbaren Stoff. Der Revolutionär des Jahrgangs 1813 (ein Jubiläum rückt näher) stellt selbst die Revolution bloß. Bei ihm endet der Text mit dem Ruf „Es lebe der König!“. Bei ihm ruft das Lucile, die Frau Camille Desmoulins', in Marburg gestrichen, weil sie weiß, dass nun auch sie deswegen verhaftet wird und der Guillotine übergeben. Bei Büchner ist das die unendlich hintersinnige Pointe, noch dazu aus dem Munde einer Frau. Das Marburger Landestheater am Ende lässt alle zehn Darsteller auf der Bühne stehen. Immer schneller läuft eine Bildfolge, die Demonstrationen, Polizeigewalt, Transparente erkennbar werden lässt, Stuttgart 21 dabei (musste das sein?) Eingespielt werden Stimmen von Zuschauern, die anderthalb Stunden zuvor sagen sollten, wie sie die Welt in zehn Jahren sich vorstellen.

Stark gelöst ist, wie Danton sein Verhalten während der September-Morde reflektiert, die Darsteller-Stimme läuft vom Band, während Danton mit der rothaarigen Rosalie stumm im Bett liegt. Das freilich enträtselt sich nur dem Zuschauer, der Text und Revolutionsgeschichte einigermaßen kennt. Auch während der Verhandlungsfarce des Revolutionstribunals spielt ein gefälschtes Dokument auf der Basis einer Denunziantenaussage eine optische Rolle, die im Parkett nicht verstanden werden kann, weil alles Erklärende gestrichen wurde. Das aber hebt die Stringenz insgesamt nicht auf.

Bei weniger gestrichenem Text wäre auch das Verhalten der drei Opfer: Camille, gespielt von Angel Krastev, Lacroix (Jonas Schlagowsky) und Danton angesichts des nun sicheren Todes plausibler. Denn plötzlich ist da hinter aller gespielter Mannhaftigkeit, hinter zynischer Weltverachtung und Guillotinenhumor auch nackte Lebensangst. Die Darsteller zeigen, dass sie nuancieren können. Ins Spiel ist nicht nur die erste Sitzreihe einbezogen, von wo aus die Darsteller dem Redner am Pult applaudieren, auch die Seitenausgänge werden genutzt. Platz ist, leider, genug überall, denn kaum sechs Reihen im Haus des Gastspieles (Premiere in Marburg war am 23. September) sind einigermaßen gefüllt. Das Haus legt Wert darauf, nur in lokalen Printmedien Widerhall zu finden, deshalb wird es hier nicht näher bezeichnet.
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