Shakespeare: Was ihr wollt; Berliner Ensemble
Die Eulen in Athen wissen Bescheid. Ein Stück, das knapp anderthalb Jahre nach der Premiere immer noch ein volles Haus beschert, das Foyer voller fröhlicher Menschen schon eine reichliche halbe Stunde vorher, kann im hellhörigen Berlin mit seinem wahrlich nicht dürftigen Abendangebot für Feinschmecker aller Art und Zunge kein Schuss in den Ofen gewesen sein. Vielleicht hat ja sogar ein wenig die Kritik zum Publikumserfolg beigetragen. Denn die war zu gewichtigen Teilen und mit nicht immer ganz gewichtigen Namen aus Anlass der Premiere am 24. November 2012 so gnadenlos enttäuscht und schrieb so exzessiv miesepetrig, dass man noch 15 Monate später meint, die Branche hätte am Vormittag rasch noch einen Auffrischungskurs für „Schlechte Laune im Komödienparkett“ absolviert. Der Zufall wollte, dass ich zeitgleich in Arnstadt saß und „Was ihr wollt“ in der Lesart des Theaters Poetenpack Potsdam erlebte. Wie ich es fand, ist in dieser Rubrik unterm angegebenen Datum nachlesbar.
Die Athener Eulen wissen auch, dass die späteren Aufführungen selten schlechter sind als die Premiere, weshalb Kritiker bis auf Ausnahmen spätere Aufführungen meiden, es könnte ihnen sonst vielleicht doch gefallen und das wäre peinlich, wenn man die Kollegen dann wieder trifft und alle mit ihren Häuptern wackeln, ob man nun vielleicht doch den Verstand verloren habe, den sie jeder dem anderen heimlich ohnehin absprechen. An jenem 24. November 2012 waren im Berliner Ensemble neben dem Publikum, dessen Begeisterung unüberhörbar war, auch Sehschwache und Blinde von ihren Redaktionen abkommandiert worden. Einer hielt den 1984 in Rumänien geborenen Sabin Tabrea, der unter Katharina Thalbachs Regie die Viola und ihren Zwillingsbruder Sebastian zu spielen hatte, glatt für eine Frau. Einer schrieb, als wäre er nach zirka 15 Minuten wieder gegangen, eine aus dem Clan der Nachtkritikerinnen war wohl noch so in Gender-Diskurse und postmigrantische Pseudodebatten versponnen, dass ihr die verschleierte Olivia am Spinnrad wie in eine Burka gehüllt erschien. Man kann bei jungen Frauen am Bühnenspinnrad durchaus auch andere Assoziationen haben, das aber wäre Bildungsbürgertum und also buh, buh, buh! Kurzer Rede langer Sinn, wäre nicht auch Irene Bazinger da gewesen und hätte zur Bühne geschaut statt in die eigene Voreingenommenheit, wer weiß, wer weiß.
„Das fühlt sich streckenweise wie im Musical an“, greinte die bereits erwähnte Henri-Nannen-Schülerin. Vermutlich ist in ihren Augen das so ziemlich das übelste, was im Theater geschehen kann. Zehn Jahre, bevor sie das Licht der Welt erblickte, schrieb ein nun wirklich bedeutender Theaterkritiker, der Österreicher Friedrich Torberg vollkommen unaufgeregt: „Was ihr wollt“ ist ein Musical bereits von sich aus, vom Text her.“ Torberg sah die Gielen-Inszenierung am Burgtheater, deren Beschreibung überraschend Elemente erwähnt, die bei Katharina Thalbach wiederkehren. Es soll vorkommen, dass große Vorbilder selbst bei ehrgeizigen Regisseuren nicht den Reflex auslösen, das genaue Gegenteil mit Pauken und Trompeten tun zu müssen. Der Kritiker, der Sabin Tabrea als Frau wahrnahm, verwechselte auch den schwulen Antonio, der von einem Mann gespielt wurde (Felix Tittel) , mit dem Kapitän, den eine Frau spielte, die auch den Fabian spielte (Katharina Susewind). Auf dem Fußballplatz muss man nach solchen groben Treffern ins eigene Tor mindestens auf die Bank, wenn nicht gar auf die Tribüne. Wie es beim Deutschlandfunk gehandhabt wird, ahne ich nicht. Vermutlich ging der Krug so lange zu Wasser, bis er, wenigstens an diesem Abend, schon vor Vorstellungsbeginn brechen musste.
Warum fanden gleich mehrere Premieren-Verrisse es anmerkenswert, dass Thomas Quasthoff zu Jahresbeginn seinen Rücktritt von der Gesangsbühne verkündet hatte und nun im Sprechtheater scheinbar überraschend wieder auftauchte? Der Narr Feste, den er zu spielen und als der er auch zu singen hatte, ist ja nicht irgendeine Rolle, die man vielleicht aus falsch verstandenem Mitgefühl einem gibt, damit der nicht in ein Loch fällt nach dem gesundheitsbedingten Abschied. Ein sehr verständiger Mann hat vor Jahren den Feste Shakespeares weisesten Narren genannt. So dass es für Thomas Quasthoff um alles ging, nur nicht darum, einen Abend zu retten, an dem nichts zu retten war. Ihm etwas Würde zu verleihen. Es ist rotzige Kritiker-Arroganz, die dem Berliner Ensemble Theaterabende verordnen möchte, bei denen jeder Szenenapplaus verpönt ist, während das Schenkelklopfen am Kurfürstendamm siedeln möge. Immerhin weiß ich nun aus dem damaligen „Tagespiegel“, wie Rumpelstilzchen masturbiert, so nämlich, wie es der von Larissa Fuchs gespielte Herzog Orsino zu Beginn des Spiels hoch oben an der Reling (Bühne Momme Röhrbein) tut. www.berliner-ensemble.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.