Horvath: Italienische Nacht; Schaubühne Berlin

Texte, die aktualisiert werden müssen, um spielbar zu sein, sind, nassforsch formuliert, keine guten Texte, keine wirklich guten jedenfalls. Denn die sprechen ohne alle Aktualisierung für sich und zu uns. Regie, die Texten wegen ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Aktualitätsdefizite misstraut, sollte konsequent sein und die betreffenden Werke nicht aufführen. Sieht solche Regie sich außerstande, ihren offenbar nicht unterdrückbaren Drang nach moralischer Anstalt sinnvoll und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu regulieren, sollte sie im Rahmen dessen, was heute kurz Projekt oder länger Stückentwicklung heißen muss, Neutext produzieren oder produzieren lassen und nicht nur organisierten Textmissbrauch betreiben. Ödön von Horvaths „Italienische Nacht“ ist von einem keineswegs theaterfremden Mann wie Carl Zuckmayer bereits nach der Erstlektüre des schreibfrischen Werkes dies prophezeit worden: „Vielfach wird man Ihr Stück missverstehen – wird versuchen, es politisch einzuschachteln, abzugrenzen, dem Schlagworthorizont bequemer und billiger fassbar zu machen. Kümmern Sie sich nicht darum, lassen Sie sich nicht beirren“!

Man könnte diese deprimierend hellsichtige Aussage auf nahezu ausnahmslos alle Kritiken beziehen, die nach der Premiere am 23. November 2018 veröffentlicht wurden, von namhaften, sehr namhaften oder auch nur taz-sozialisierten Berufs-Theatergängern. Westsozialisiert, wie sie alle durch die Bank sind, merken sie gar nicht, dass sie Sichtweisen der fünfziger Jahre, wie sie DDR-sozialisierte Menschen auch lange nach den Fünfzigern noch erleben durften, fröhliche Urstände feiern lassen. Oder wie ist zu verstehen, wenn bemäkelt wird, dass auf der Bühne nicht das Gute siegt, sondern scheinbar die bösen Rechten? Fehlte der nötige SED-Parteisekretär oder der hilfreiche Sowjetgenosse aus Moskau, der den unreifen Kämpfern an den Klassenkampffronten zeigt, wie die Hasen hoppeln müssen? Absurder Mumpitz landauf, landab, ich neige fast dazu, nach dem Blick in publizierte Ostermeier-Deutungen meine ursprüngliche Enttäuschung über den an der Schaubühne eben von Thomas Ostermeier arg platt und flach gemachten Horvath zu unterdrücken, auch wenn es sehr schwer fällt. Letztlich aber muss doch alles raus: Kopfräumungsverkauf.

„Italienische Nacht“, bei Horvath und nur für alle, die glauben, man könne durchaus mal in den originalen Text schauen, ist auf dem Schauplatz Gasthaus Lehninger im Stück keine einmalige, keine etwa nur für diesen merkwürdigen „Republikanischen Schutzverband“ veranstaltete Belustigung. Dessen Mitglieder greifen lediglich auf ein Format zurück, wie man das jetzt nennt. Der Schutzverband ist historisch, der Hinweis lässt sich leider nicht vermeiden, eher in Richtung „Reichsbanner“ gemeint als in Richtung SPD, obwohl beide natürlich ungefähr so viel miteinander zu tun hatten in der Weimarer Zeit wie die KPD mit dem „Roten Frontkämpfer Bund“. Auch die linke Seite der jungen Demokratie griff die Form Kriegerbund auf wie die ersten Autobauer die Form der Kutsche nachahmten. Ödön von Horvath war sich, als er das Volksstück in sieben Bildern schrieb, es hatte schon eine Vorform mit dem Titel „Ein Wochenendspiel“ mit einem Bild weniger, der Tücke gerade einer italienischen Nacht sehr bewusst, weshalb er seinen Stadtrat sagen ließ: „Unsere republikanische italienische Nacht steigt heute Nacht trotz Mussolini und Konsorten!“

Just dieser Satz ist, wie manches andere auch, in der Ostermeier-Strichfassung nicht enthalten. Als fordere eine auf eine Bühne gestellte Veranstaltungsform nicht in Zeiten dominierender Symbol- statt Sachpolitik mehr statt weniger Sensibilität. Wer überall Zeichen sieht, die gesetzt werden oder gesetzt werden müssen, kann der mit einer italienischen Nacht während der Zeit des parallelen tatsächlichen Faschismus in Italien so tun, als wäre das irrelevant? Dafür aber, warum auch immer, den Wirt Josef Lehninger einfach in seine eigene Frau verwandeln, die dann freilich im ersten Bild nicht männlich in der Nase bohrt am Kurfürstendamm, sondern weiblich in ein Büchlein kritzelt? Die von der Uraufführungskritik 1931 sehr oft als beste und stärkste Szene des Volksstücks gelobte, in der die Stadtratsgattin Adele, damals gespielt von Elsa Wagner, den uniformierten Major mit einer auch verbalen Energie vertreibt, die der eben noch geduckten Frau, der der Mann den Mund verbietet, gar nicht zuzutrauen war, ist gestrichen, der Major ist auch gestrichen. Die Faschisten sind vordergründig, penetrant vordergründig in eine Pegida-AfD-Melange verqirlt mit Original-Zitaten.

Das ist nicht mehr und nicht weniger als das, was Zuckmayer mit der Anpassung an den jeweiligen Schlagworthorizont meinte. Theater kann so tief steigen, muss es aber nicht. Es schadet nicht, bisweilen daran zu denken, dass Theater Kunst ist und nicht zeitversetztes Anne-Will-Maybrit-Illner-Frank-Plasberg-Recycling mit Schauspielern und Bühnenbild. Selbst eigens komponierte Musik hilft selten. In der Schaubühne gibt es einmal echten Rechts-Rock, der im wirklichen Leben gern verboten wird, falls sich nur irgendeine Handhabe finden lässt und dann eben den Schlager-Abend ohne strenge Begrenzung auf das italienische Liedgut. Der Rechts-Rock ist höllenlaut, der Rest dudelig. Thomas Ostermeier hat beim Streichen auch den Schauplatzwechsel getilgt, es ist fast wie in Urzeiten mit ihren drei Einheiten aus der Aristoteles-Küche: alles spielt sich in und um das Gasthaus Lehninger ab, man marschiert drum herum, man kommt von rechts oder links, man geht nach rechts oder links hinten ab, ein Anbau ist die Toilette, in der neben den üblichen Verrichtungen auch die schnelle Nummer abgewickelt wird, eine Kritik sah sogar eine Vergewaltigung dort.

Meiner anlässlich seines Todestages 2013 niedergeschriebenen Sicht auf Horvaths „Italienische Nacht“ (hier nachlesbar unter JAHRESTAGE) muss ich nichts Prinzipielles hinzufügen, ich war vor fünfeinhalb Jahren unabsichtlich nahe bei Zuckmayers Diktum, das ich damals noch nicht kannte. Mein Hinweis auf die herbeigeredete Beziehung des Volksstücks zur so genannten Murnauer Saalschlacht vom 1. Februar 1931 sei immerhin abermals schon deshalb wiederholt, weil das Programmheft der Schaubühne mit der Saalschlacht beginnt. Man kann seit Jahren im Detail nachlesen, was Horvath als Zeuge in Hauptverhandlung und Revisionsverhandlung zur Sache sagte. Die Art, wie das Gericht mit seinen Auslassungen umging, deren Wahrheitswert einschätzte, widerspricht auf eigene Art beliebten Vereinfachungen in den Sichtweisen auf die so genannte Klassenjustiz der Weimarer Jahre, heute müsste man sagen: dem Narrativ davon. Das aber sei jeder Berliner Lesart heute sofort zugestanden: Von Momper bis Müller haben Berliner Sozialdemokraten sich als dankbare Projektionsflächen für Intellektuelle an Spree und Havel geradezu aufgedrängt.

Die Inszenierung von Ostermeier erzeugte auffallend viele einzelne Lacher, selten aber waren sich größere Gruppen, gar das gesamte Parkett, im Lachen einig. Da fand es jemand ungemein lustig, wie sich Polizei und „Rechte“ herzlich voneinander verabschieden, die Polizei war vorsorglich gleich so kostümiert, dass man sie als heutige sofort erkannte. Über die roten Socken der eifrigen Sozialdemokraten lachte niemand. Dafür aber, als Anna (Alina Stiegler), eben von Laurenz Laufenberg mit seinen Parolen zugetextet, sagte: „Jetzt wird’s finster.“ Der Faschist sei fast sympathisch gezeichnet, las man. Hätte er denn besser mit einem Messer zwischen den Zähnen die Bühne betreten sollen? Immerhin hat sich Ann Poppel mit ihren Kostümen dahingehend Mühe gegeben, Zuschauern mit Grundkenntnissen aus dem antifaschistischen Lehrgang „Woran erkenne ich Faschisten äußerlich?“ rasches Identifizieren zu ermöglichen. Man achte auf Kragen und Schuhe. Wäre die Wirklichkeit nur immer so schön einfach. Dummerweise wachsen immer wieder einmal Heydriche nach, die Klavier spielen, ihre Kinder lieben oder sogar ins Theater gehen.

Der eher linke, wenigstens jungaktivistische Martin (Sebastian Schwarz) gönnt dem Stadtrat (Bernd Hölscher, in der Premiere und auf diversen Fotos im Internet wie im Haus am Lehniner Platz Hans-Joachim Wagner) und seinen Anhängern es herzlich, verprügelt zu werden, wozu es jedoch nicht kommt. Es kommt wie bei Horvath zum Parteiausschluss der Jungen wegen parteischädigenden Verhaltens, heute schafft die SPD das nicht einmal mit ihrem ehemaligen Finanzsenator. Es gibt eine nette Saalschlacht ohne Teilnahme des Feindes von außen, der tritt in dieser Aufführung eigentlich nur als Gruppe und draußen in Erscheinung. Zum Schluss skandieren die Verkleideten in Schwarz „Volksverräter!“, man kennt es. Realistisch ist die laxe Sicht der linkeren Linken auf Gewalt gegen Sachen, hier die Denkmalschändung, die bei Horvath den früheren Landesvater trifft, hier ein Kriegerdenkmal. Wer ein schiitisches Todesurteil haben möchte, muss satanische Verse schreiben, Verbrennung eines Koran oder Karikaturen des Propheten erzielen ähnliche Wirkungen, am Staatsschauspiel Dresden hat man diese Gleichsetzungen schon wohlmeinend durchgespielt.

Es ist Thomas Ostermeier nach der Premiere nicht einmal erspart geblieben, selbst stiller rechter Sympathien verdächtigt zu werden, weil er an Eindeutigkeit zu wenig spielen ließ. Horvath ist seinerzeit dafür gerade gelobt worden, dass diese Eindeutigkeit fehlte. Er wollte, sah man damals, eben nicht die eine oder andere Partei treffen, ob er, wie ebenfalls gesehen wurde, alle Parteien meinte, gar die Politik als solche, ich mag es nicht behaupten müssen. Durchs Stück geistert einer, dem man als Ossi identifizieren soll, will immer das Wort ergreifen, obwohl das Reden seine Sache nicht ist, auch hier gibt es Lacher und bei den Sätzen, die das Verhältnis Mann-Frau betreffen. Halbwegs spielen dürfen von den Frauen nur Alina Stiegler als Anna und zum Ende hin Traute Hoess als Wirtin. Es wird trotz vieler Streichungen vom Verbliebenen zu viel verschenkt, den Umgang mit dem Künstler, den diese Sozialdemokraten pflegen, müsste niemand auf vordergründig bürsten, würde er nur wichtig genug genommen. So wichtig, wie der den Stadtrat diskreditieren sollende Immobilienerwerb etwa. Horvaths „Italienische Nacht“ steht zweifelsfrei über Ostermeiers.
www.schaubuehne.de


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