Shakespeare: Hamlet, Staatsschauspiel Dresden
Hamlet, König von Dänemark, lebt nicht mehr. Hamlet, Prinz von Dänemark, wird daran irre, dass Gertrud, Königin von Dänemark, seine Mutter, Claudius, seinen Onkel, heiratet, lange bevor ein Trauerjahr oder auch nur eine irgend angemessene Frist vergangen ist. Und nicht nur das, das neue Paar turtelt wie Jungverliebte, es zeigt weder Unrechtsbewusstsein noch moralische Skrupel. Um das dramatische Geschehen in Gang zu bringen, hat William Shakespeare den Geist von Hamlets Vater erfunden, welcher zu mitternächtlicher Stunde in den Festungswällen als Wiedergänger in Erscheinung tritt, um damit die unter erhöhter Alarmbereitschaft stehenden Wachtposten, die nach anrückenden Truppen des Königs von Norwegen Ausschau halten, in höchste Verunsicherung zu stürzen. Für die ist die Erscheinung real, auch wenn sie sich nicht ansprechen lässt und sie als gute Vertreter unterer Dienstgrade erst einmal die unmittelbaren Vorgesetzten von dem Phänomen informieren. Die ihrerseits die Augenscheinprobe nehmen, ehe sie Hamlet in Kenntnis setzen.
Shakespeare-Kenner wissen, zu welchen Resultaten diese Form von Einhaltung des militärischen Dienstweges schließlich führt. Der seinerseits militärisch gerüstete Geist vermittelt seinem Sohn den Eindruck, er sei nicht auf die Weise ums Leben gekommen, wie die offizielle Legende lautet, sondern zielstrebig und mit Doppeleffekt ermordet, näherhin: vergiftet worden. Hamlet, Prinz von Dänemark, am neuen Verhältnis seiner Mutter ohnehin schon in den Grundfesten seines Weltbildes erschüttert, erfährt diesen erneuten und fast noch tieferen Schock vorbereitet und unvorbereitet in einem. Fortan macht er auf seine Umwelt, seine Mitmenschen, den Eindruck, als sei er nicht mehr er selbst. Was allerdings, so die zwischenzeitliche Hilfsannahme des Königspaares und ihrer Zuträger, auch an Hamlets Verliebtsein liegen könnte, denn es gibt da Ophelia.
Ophelia ist die Tochter des Polonius und die Schwester des Laertes und Polonius sieht es wenig gern, wenn seine Tochter scheinbar Gefahr läuft, von dem Prinzen, der aus standesrechtlichen Gründen in Sachen Liebe vermeintlich nicht Herr seiner selbst ist, vernascht zu werden. Shakespeares Hamlet zählt zu den klassischen Tragödien, weswegen am Ende fast alle tot sind. An diesem Ende gibt es Totengräber und zwischendurch gibt es immer mal wieder Rosenkranz und Güldenstern. Das sind Jugendfreunde von Hamlet mit unabweislichen Drang, diese Jugendfreundschaft zu verraten. Shakespeare hat außerdem noch diverse Nebenrollen, von denen jeder moderne Theatergänger weiß, dass sie gestrichen werden oder ein Darsteller muss gleich mehrere von ihnen spielen.
In Dresden, Premiere war am 24. November, hat Roger Vontobel natürlich gestrichen. Es blieben drei und eine viertel Stunde Rest und den Zuschauern ein gutes Gefühl. Sie sahen keinen entkernten, keinen enthäuteten, keinen entschlackten Shakespeare, sondern einen heutigen. Was der immer noch junge Schweizer, so mein Eindruck nach „Don Carlos“ und „Der zerbrochne Krug“, nun mit „Hamlet“ als drittem Klassiker in Dresden macht, stimmt in sich. Es hat Opulenz, die Shakespeare immer gut steht, es zeigt eine Geschichte, die keineswegs wirkt, als wäre sie nicht von dieser Welt und trotzdem ohne aufgesetzten Aktualfirlefanz auskommt. Es hat, sofort muss es gesagt sein, mit Christian Friedel einen Hamlet, der in dieser Sicht durchaus spektakulär ist. www.staatsschauspiel-dresden.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.