Goldoni: Der Diener zweier Herren, Landestheater Eisenach
Mehr davon! Bitte unbedingt mehr davon! Auch hier hat der Regisseur sich selbst nicht nur die Fassung, sondern ebenso die Übersetzung besorgt: Peter Bernhardt. Man muss nicht, wie nach der Premiere geschehen, die am 23. Februar lief, der unsterblichen Komödie irgendeinen Platz im Ringelspiel „Deutschland sucht den Super-Goldoni“ geben, auf Platz 1 oder Platz 7 der internen Goldoni-Rangliste mag dieser enorme Truffaldino-Spaß rangieren, dem Zuschauer ist es ziemlich sicher vollkommen egal. Die Nachmittagsvorstellung ist bestens besucht, der Beifall ist nicht ganz so kreischend angesichts des Durchschnittsalters der sonntäglichen Besuchergruppe, die von Natur aus auch einen deutlich höheren Drang zur Toilette verspürt als die Menschen vor Granufink.
Was mich wirklich fasziniert, ist der Umstand des puren Funktionierens dieser Komödie. Einer wird ermordet, der Mörder flüchtet, die Schwester des Ermordeten liebt den Mörder und folgt ihm auf seiner Fluchtroute und dann tritt der Diener in ihr Leben. Es wird verrückt. Zu Venedig spielt alles, wo man ein schönes Goldoni-Museum, klein, aber fein, für heutige Freunde des Erzkomödianten hat. Seinerzeit war alles noch anders. In Eisenach gibt es keine Doppelrollen wie beim Münchner Sommertheater (vgl. meine Besprechung vom 27. Oktober 2012 in dieser Rubrik), was zu einer schönen langen Spielzeit von zweieinhalb Stunden mit einer Pause führt. Das hat keine Längen, im Gegenteil. Das hat auch keine Hänger. Natürlich glänzt nicht alles gleichzeitig und ununterbrochen. Was am Stück liegt, denn nicht alle Rollen sind gleichermaßen auf Glanz hin geschrieben.
Aber es glänzen Roman Weltzien als Truffaldino und Irina Ries als Smeraldina gewissermaßen planmäßig. Die Aufgabe der Regie ist bei solchen Rollen das Finden derjenigen im so oder so bestückten Ensemble, die Truffaldino und Smeraldina sein können. Peter Bernhardt hatte den guten Griff. Beide zeigen, was man mit Spielfreude, Spieltrieb nur mäßig beschreiben kann. Im Fußball würde man sagen, jeder kennt die Laufwege des anderen und dennoch weiß jeder Zuschauer, dass die Traumpässe trotzdem erst geschossen werden müssen, ehe sie ankommen. Eisenach gibt sich mit der separaten Besetzung aller Rollen die wunderbare Gelegenheit, auch alle Situationen des Komödientextes auszuspielen. Die gleichzeitige Bedienung zweier Tische ist eben doch anders, wenn tatsächlich zwei Tische mit Essern besetzt sind.
Roman Weltzien wuselt und hüpft, stolpert, lässt seine Stimme sich überschlagen, ist unschuldig und verschmitzt, lumpazihaft und erschrocken. Er nimmt die Herausforderung, Kabinettstücke im Kabinettstück zu liefern, an: die Siegelung des erbrochenen Briefes mit dem Notbrot ist molto bene, ebenso die Koffergeschichte, die die Münchner nahezu komplett gestrichen hatten. Nachdem ihm sein Hintern mit dem Teppichklopfer doppelt versohlt wurde, verhaut er die Abendanzüge seiner beiden Herren, deren einer eine Herrin ist. Das Publikum leidet mit, wenn er sich setzen will und der Arsch brennt. Man soll diese Theaterwirkungen nicht kleinreden. Um über venezianische Zeitmodi als Narrationsanstöße informiert zu werden, geht kein normaler Mensch ins Theater. Dagegen sieht der Theatergänger durchaus gern an der Stange nach unten rutschende Smeraldinas, in deren Rockreifen sich ein Truffaldino verfitzt.
Es gibt ein richtiges Bühnenbild in Eisenach (Monika Maria Cleres), es gibt richtige Kostüme in Eisenach (Monika Maria Cleres). Gespielt wird teilweise vor dem roten Vorhang, teilweise in der venezianischen Kulisse vor dem Albergo des Herrn Brighella (Alexander Beisel). Sogar eine Gondola gleitet im Bühnenhintergrund vorbei und der Gondoliere sieht aus, wie Gondoliere so aussehen, sein Darsteller musste nicht den Konfirmationsanzug seines Opas mitbringen, um einen Verfremdungseffekt zu erzielen. Eine Szene zwischen Truffaldino und Smeraldina wird erst auf italienisch gespielt, dann gewissermaßen als Fußnote noch einmal auf deutsch. Was für ein schöner einfacher Einfall, womit nicht zwingend an das Einfache erinnert ist, das schwer zu machen ist.
Das Programmheft, um das auch einmal zu sagen, weil es auffällt angesichts der sich deutschlandweit immer mehr und immer stärker verbreitenden Unart, separate Kunstprodukte aus ihnen zu machen, informiert einfach. Und es informiert in einer Sprache, die verständlich ist. Es wäre dem Dramaturgen Carsten Kochan dafür ein Dank in ebenso verständlicher Sprache auszusprechen, vielleicht hat die Intendanz ja für solche Fälle ein paar Schachteln „Merci“ in der Schublade für hausinterne Würdigungen. Aber das darf eventuell auch entfallen, weil Kochan ja selbst auf der Bühne steht als Florindo Aretusi, der geliebte Mörder.
Es wird, man glaubt es kaum, sogar gefochten in Eisenach. Und es gibt dafür einen speziellen Fecht-Choreographen. Er heißt Johann Hebert. Es fechten Beatrice Rasponi (Jannike Schubert), die sich als ihr Bruder ausgibt, und Silvio (Jens Hoormann), Sohn des Doktor Lombardi (Gregor Nöllen). Beatrice siegt. Sie schafft es auch, Clarice (Clarissa Ross) mit einem Einblick in ihre Bluse davon zu überzeugen, kein ernsthafter Anwärter als Ehemann zu sein. Und wer ist Pantalone, dessen Namen Truffaldino sich einfach nicht merken kann? Clarices Vater wird von Elke Hartmann mit komischem Schneiderlein-Bart gespielt. Alle zusammen füllen ihre Rollen, die mehr Rollenfächer als Rollen sind, anständig aus. Zum rundum guten Schluss versinkt, weil die Szene Venedig ist und nicht der Golf von Neapel, die Sonne zwar nicht bei Capri im Meer, aber es ist alles schön rot, es gibt fette Oper und gesitteten Schlussapplaus. Mehr davon!
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