Marguerite Duras: Blaue Augen schwarzes Haar
Zum zweiten Mal legt der Verlag Volk und Welt in seiner Spektrum-Reihe ein Buch von Marguerite Duras vor. Das Film-Szenarium „Hiroshima mon amour“ erschien noch in der Pionierzeit der Reihe (1970), die jetzt vorliegende Erzählung „Blaue Augen schwarzes Haar“, von Marie Dessauer aus dem Französischen übertragen, zeigt eine ganz andere Duras und darf wohl auch noch als Gabe zu ihrem 75. Geburtstag gesehen werden, der am 4. April dieses Jahres war. Ich gestehe, daß mich das Buch fasziniert hat.
Es ist eine Liebesgeschichte, die, wie die Autorin selbst schrieb, „größte und erschreckendste Liebe, die ich jemals schreiben konnte“. Es ist eine Liebesgeschichte, die nicht linear erzählt wird, sondern dargeboten, als würde sie ein Schauspieler auf einer Bühne vortragen, während andere Schauspieler das Geschehen stumm spielten. Immer wieder wird die Illusion einer fortlaufenden Handlung durchbrochen durch Hinweise darauf, was der Schauspieler jetzt sagen würde, was er tun würde. Was als reales Geschehen auch auf den zweiten Blick nur schwer vorstellbar erscheint, scheint als vorgestelltes Geschehen auf einer statischen Bühne von geradezu erschreckender Realität.
„In bezug auf die Helden der Geschichte, würde ein Schauspieler sagen, wüßte man nicht, wer, noch warum sie sind.“ Und genau diese Unschärfe ist über den Personen, die miteinander weinen und lachen, obwohl grelles Licht in der Mitte eines Zimmers auf beide fällt. Absurd erscheint die Szenerie: der Mann bittet die Frau, nackt im Lichtkegel zu liegen, ihr Gesicht aber mit einem schwarzen Seidentuch zu bedecken. Keine körperliche Berührung gibt es zwischen beiden, alle Aktionen beschränken sich darauf, daß einer den Lichtkegel verläßt und ihn wieder betritt, das Seidentuch auflegt oder entfernt.
Die Gespräche zwischen beiden, und kaum sind es wirkliche Gespräche, eher einander verfehlende Monologe, sind eigentümlich gegenstandslos. Deutlich wird nur und immer deutlicher: beide können nicht ohne einander sein, obwohl beider Liebe sich auf einen Mann richtet, der längst abgereist ist, den Mann mit den blauen Augen und dem schwarzen Haar. Von ihm heißt es: „Als er sich der jungen Frau nähert, gewahrt man, daß er voller Freude ist, sie wiedergefunden zu haben, und voller Verzweiflung, sie wieder verlieren zu müssen.“ Frau und Mann im abgedunkelten Haus des Mannes sind über diesen Mann, lange ehe es ihnen bewußt wird, miteinander verbunden. Der Mann aber hat geradezu Angst, die Frau zu berühren und träumt dennoch davon sie umzubringen.
Die Frau nimmt sich außerhalb des Hauses einen Liebhaber und gibt sogar ihre Stellung in der Universität auf, um immer wieder sich nackt unter den Lichtkegel zu legen. „Es handelt sich um eine Liebe, die in den Romanen nicht benannt wird ... Um ein Gefühl das noch kein Vokabular hat, keine festgelegten Sitten und Riten.“ Sagt Marguerite Duras von ihrem Buch. Der Anreiz für die Autorin wird auch zum Anreiz für den Leser, wenn er in Kauf nimmt, das entworfene Bild als Bild zu nehmen und nicht nur als Chiffre für etwas auch anders zu Sagendes. Anders, glaube ich, war diese Liebe nicht zu erzählen.
Zuerst veröffentlicht in: Tribüne Nr. 187, Seite 13, 22. September 1989, unter dem Titel: Mann mit blauen Augen und mit schwarzem Haar; nach dem Typoskript