Poesiealbum 250: Else Lasker-Schüler

Einer, der das 222. Heft der Reihe Poesiealbum rühmen wollte, es stellte erstmals die junge DDR-Lyrikerin Kerstin Hensel vor, hat Rechenexempel angestellt: Heft an Heft hintereinander gelegt ergäbe fast 50 Meter Dichtung, übereinandergestapelt kämen mehr als 7000 Seiten heraus. Solcher Spaß soll hier nicht fortgesetzt werden. Der Verlag Neues Leben Berlin, dem das Verdienst gebührt, diese Reihe ins Leben gerufen und ausdauernd am Leben erhalten zu haben, hat jetzt die Nummer 250 herausgebracht. Sie versammelt 30 Texte von Else Lasker-Schüler, die, wie Arnold Zweig 1937 schrieb, „in die Gesellschaft der erlauchtesten europäischen Lyriker zu zählen ist.“

Am 11. Februar 1869 in Elberfeld geboren – sie selbst gab ihr Geburtsjahr gern mit 1876 an – starb sie völlig vereinsamt, totgeschwiegen durch die Jahre der faschistischen Barbarei, fast vergessem im palästinensischen Exil am 22. Januar 1945. Sie war mit vielen bedeutenden Dichtern und Künstlern bekannt, von ihnen auch erfuhr sie die Anerkennung, die ihr die breite Öffentlichkeit zeitlebens versagte. Daran änderte auch die späte Verleihung des Kleist-Preises im Jahre 1932 wenig, 1933 mußte sie Deutschland verlassen, wie so viele andere auch. Wir finden in der schmalen Auswahl, Dorothea Oehme hat sie besorgt, natürlich die berühmten Gedichte „Mein blaues Klavier“ und „Georg Trakl“ - zwei Zeilen nur dem unglücklichen Freund – vor allem aber finden wir die Dichterin und neuen Anlaß, in ihre unverwechselbare Welt einzutreten.

Die Entscheidung, welchem Namen welche Nummer gewidmet wird, hat für Reihenherausgeber fast immer programmatischen Charakter. Das trifft auch auf die Reihe Poesiealbum zu. Sie begann 1967 mit Brecht, die einzige Nummer mit einer Nachauflage, soweit ich es sehe. Goethe-Gedichte bot die Nummer 100 im Jahre 1975, die Nummer 200 galt William Shakespeare, das war 1984. Das sind große Namen, denen Else Lasker-Schüler keineswegs zufällig folgt. Ein Überblick über die bisher vorliegenden 250 Hefte, zu denen die verschiedenen Sonderhefte nicht gezählt sind, zeigt eine imponierende verlegerische Leistung: Dichter aller großen und auch zahlreicher kleinerer Nationalliteraturen, deutschsprachige Dichter von Walter von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein bis – um den Jüngsten zu nennen, der erst kürzlich ein eigenes Heft erhielt – Johannes Jansen (Jahrgang 1966), immer wieder Erstpublikationen bekannter und weniger bekannter Dichter für unser Lyrik-Publikum, nicht selten ausgesprochene Entdeckungen darunter.

Vielleicht gesondert zu erwähnen dabei die von Anfang an beibehaltene Linie, jüngsten Lyrikern der DDR ein, wenn auch schmales, Debüt zu ermöglichen. Die allerjüngste bisher verlegte Autorin aber kommt nicht aus der DDR: Nika Turbina, geboren am 17. Dezember 1974, noch immer nicht 14 Jahre alt also und ein großes Talent. Wünschen wir dem Verlag und den Herausgebern Stehvermögen und eine glückliche Hand – wie bisher – für die nächsten 250 Hefte.
 Zuerst veröffentlicht in FREIES WORT, Seite 6, 10. August 1988,
 Überschrift: Viele Entdeckungen für das Lyrik-Publikum, nach dem Typoskript


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