Geheimtipp Ernst Weiß

„Gewiss kennen Sie den Namen Ernst Weiß und auch etwas von seinen neueren, für mich manchmal unbegreiflich starken, wenn auch schwer zugänglichen Büchern (Tiere in Ketten, Nahar, Stern der Dämonen, Atus). Nun hat er aber außer diesen erzählenden Schriften auch eine Sammlung von Aufsätzen bereit, die er unter dem Titel „Credo quia absurdum“ herausgeben würde. Diese Aufsätze haben meinem Gefühl nach alle Vorzüge seiner erzählenden Schriften, ohne sich abzuschließen wie jene.“

Diese Zeilen gingen im Herbst 1923 an den Verlagslektor Carl Seelig in Wien, ihr Absender hieß Franz Kafka. Die Fürsprache damals half nichts, eine Sammlung mit Ernst-Weiß-Aufsätzen kam erst später zustande, 1928, dann bei Ernst Rowohlt. Dass der Aufbau-Verlag jetzt Essays von Ernst Weiß in einer recht umfangreichen Auswahl vorlegt – nach vier Romanen -, verdient hohes Lob. Denn obwohl Willi Bredel schon vor mehr als dreißig Jahren mit Nachdruck auf Weiß hingewiesen hat, obwohl Anna Seghers ihn sehr hoch schätzte – Ernst Weiß ist eher ein Geheimtipp geblieben, auch die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages 1982 hat daran kaum etwas geändert.

Wohl kenne ich einige Leute, die glänzende Augen bekommen, wenn „Der arme Verschwender“ genannt wird, entsinne mich des aufregenden Leseerlebnisses mit den Erzählungen „Hodin“ und „Daniel“, voll zusätzlichen Reizes dadurch, dass es die Erstausgaben waren, die mir in die Hand fielen. Wirklich nahe gekommen ist mir Weiß erst mit diesem „Die Ruhe in der Kunst“. Da ist zuerst eine wahrhaft Ehrfurcht gebietende Belesenheit, verbunden mit der Fähigkeit, prägnante Urteile zu formulieren. Da ist die verloren gegangene Kunst, Goethe und Kleist zugleich zu lieben, weder den einen noch den anderen zu überheben. Und da ist die liebenswürdige Inkonsequenz in der Kritik zu Rahel Sanzaras Roman „Das verlorene Kind“. Mit dieser Rahel war Ernst Weiß sehr eng befreundet und folgerichtig liest sich die Kritik, als schreibe er über eine Gipfelleistung der Weltliteratur.

Natürlich gibt es Lesenswertes zu Franz Kafka, die alte Freundschaft gab Weiß tiefes Verständnis ein. Es gibt, vor allem in den frühen Essays, eine große Affinität zur Kultur des Fernen Ostens, und es gibt Resignation, von kaum noch einem Hoffnungsschimmer aufgehalten in den Notizen „Von der Wollust der Dummheit“ aus dem Jahre 1938. Es muss nun weitergehen mit der Neuentdeckung von Ernst Weiß, vieles steht noch aus. Der Herausgeber Dieter Kliche hat ein informatives Nachwort geschrieben, das man auch zuerst lesen kann.
Zuerst veröffentlicht in JUNGE WELT, Nummer 161, Seite 11, am 11. Juli 1989,
Überschrift „Geheimtip: Weiß“, nach dem Typoskript


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