Heinrich Mann: Der Tyrann

Efraim Frisch war ein wenig vorschnell, als er am 17. März 1931 seinen Beitrag zum 60. Geburtstag von Heinrich Mann in der Frankfurter Zeitung erscheinen ließ. „Es wird immer Kampf um ihn sein“, prophezeite Frisch und schrieb dann: „Er selbst war kaum je einer Klasse gefällig, aber er hat seine aufmerksamen Leser auch unter denen, die ihn hassen. Es gehört heute in gewissen Kreisen zum guten Ton, ihn aufs heftigste zu schmähen. Alle jene, die Muffigkeit mit Tiefe, Enge mit Heimat verwechseln und ihren menschenfeindlichen Ernst für Würde halten, … sehen in ihm ihren Hauptfeind, als den Exponenten des Geistes, als den Mann, der sich unerschütterlich zum europäischen Geist bekennt.“ Frisch zitiert Mann mit diesen Sätzen: „Mir scheint, die Wahrheit zu hören, ist ruhmvoll für ein Volk. Den, der die unnachsichtige Wahrheit sagt, einmütig als einen Wortführer zu feiern, weist einem Volk den geistigen Rang an.“ Heute, am 149. Geburtstag von Heinrich Mann, sieht selbstredend niemand Anlass, über seinen Rang zu reden. Und wer, bitte schön, war denn Efraim Frisch? Man lese, bei Bedarf natürlich nur, „Efraim Frisch bleibt vergessen“ nach: http://www.eckhard-ullrich.de/jahrestage/2995-efraim-frisch-bleibt-vergessen.

Frisch hat, was kein Zufall ist, einen ganzen Werkbereich im Schaffen Heinrich Manns komplett ausgeklammert: seine Arbeiten für die Bühne. Das sind mehr, als mancher glauben mag. „Von Heinrich Mann sind drei Einakter, sechs Schauspiele und ein für kabarettistischen Gebrauch gefertigtes Singspiel aufgeführt worden“, lesen wir bei Alfred Kantorowicz, dem Herausgeber der ersten Werkausgabe des Berliner Aufbau-Verlages in den fünfziger Jahren. Das ist, gemessen, an manch namhafterem Bühnenautor, gar nicht so wenig, zumal Mann das Glück hatte, dass seine Frauenrollen mit solchen Größen wie Tilla Durieux oder Ida Roland besetzt wurden. Dennoch ist die mit Abstand bekannteste aller Frauenrollen, die gar nicht als solche geschrieben wurde, jene geblieben, in der Marlene Dietrich brillierte: neben Emil Jannings in „Der blaue Engel“. Der Einakter „Der Tyrann“, um den es hier gehen soll, war zunächst eine Novelle gleichen Titels. Seinem Schulfreund Ludwig Ewers (29. Oktober 1870 in Lübeck – 24. Januar 1946 in Hamburg) schrieb Mann am 12. Juni 1907 aus Nussdorf in Oberbayern: „Wir wohnten auf dem Lido und fuhren abends zur Stadt, auf der Piazza S. Marco das Konzert und ein Gefrorenes zu genießen. Allein ging ich nachher ins Venetianische Gebirge, schrieb eine Novelle, die eigentlich ein Einakter ist, und bin dann über Padua und Verona langsam wieder hier herauf gekommen.“

Gemeint ist eine Reise, die die Brüder Thomas und Heinrich Mann gemeinsam mit Katia Mann und beider Schwester Carla unternahmen, Carla wiederum die Schwester, die sich am 30. Juli 1910 das Leben nahm, Heinrich Manns Lieblingsschwester. Er schrieb seine Novelle in Possagno (das gehört zur Provinz Treviso in der Region Venetien, hatte zum 31. Dezember 2018 2224 Einwohner) und zwar vom 26. Mai bis zum 3. Juni 1907. Der Erstdruck erfolgte im Februar 1908 in der Neuen Revue, Berlin-Charlottenburg, wenig später fand die Novelle Eingang in die erste Buch-Publikation Manns im Leipziger Insel-Verlag, „Die Bösen“, 1908. Dieser Druckweg verursachte vermutlich den Irrtum bei Jürgen Haupt (Heinrich Mann, Sammlung Metzler Band 189), der Theaterabend am 21. November 1910, der die drei Einakter an einem Abend auf eine Bühne brachte, habe unter dem Gesamttitel „Die Bösen“ gestanden, tatsächlich war es „Varieté“, das diesen Titel lieferte und das wiederum war der dritte der gespielten Einakter. Interessant ist hier zunächst die schlichte Tatsache, dass der Autor selbst in seiner frühesten überlieferten Äußerung zu „Der Tyrann“ in der Novelle eigentlich einen Einakter sah. Zu diesem Zeitpunkt hatte er, soweit bis heute bekannt, überhaupt erst einen Versuch fürs Theater vollendet: „Das Strumpfband“ im Jahr 1902, zu Lebzeiten ungedruckt, gespielt erstmals und sehr erfolgreich 1965 im Schlosstheater Celle, Intendanz Hannes Razum.

„Der Tyrann“ ist, rundheraus gesagt, eine Katastrophe. Liest man den Dialog der beiden handelnden Personen, das sind der Herzog, dessen Name im Verlauf des Spieles erst spät mit Alessandro gegeben wird, und Raminga Guidati, dann stehen einem sämtliche Haare zu Berge: wer, um Gottes willen, redet so miteinander? Wer, um Gottes willen, gibt einer Bühnenfigur einen solchen Namen: Raminga Guidati? Natürlich ist der Kenner Heinrich Manns nicht ganz so überrascht, falls er weiß, welche Rolle Italien, welche Rolle die italienische Renaissance in seinem Leben und für sein Schaffen gespielt hat. Romane, Novellen und eben auch dieser Einakter haben den stofflichen und auch geistigen Hintergrund, hinzu kommen natürlich die literarischen Moden. Um die Jahrhundertwende war etwas im Schwange, was man sogar Renaissancismus nannte, noch 1910 ging der Literatur-Nobelpreis an einem Mann, der mit italienischen Novellen zu Ruhm und Ehre gekommen war: Paul Heyse, den eine lange Freundschaft wiederum mit Fontane verbunden hatte. Im Einakter „Der Tyrann“ ist jede Art von Wirklichkeit: historische, soziale, psychologische, so weit nur irgend möglich, getilgt. Falsch sind deshalb auch alle Behauptungen, die Novelle sei quasi der kaum veränderte Urtext des Einakters, der Vergleich ist leicht möglich, wurde sogar gedruckt.

Die Ausgabe der „Schauspiele“, 1956 als Band X der „Gesammelten Werke in Einzelausgaben“ gedruckt, bringt im Anhang einen immerhin zehn Druckseiten langen Vergleich beider Fassungen. Man muss kein Philologe oder sonst ein Experte sein, um zu erkennen, das eben nicht nur Erzähltext in kursiv gedruckten Regietext verwandelt wurde. Es sind auch nicht nur technische oder verbessernde sprachliche Änderungen zu erkennen. Es ist erstaunlich massiv (von Heinrich Mann selbst, wohl bemerkt) in das gesprochene Wort seiner beiden Personen eingegriffen worden: durch Streichungen. Die betreffen in klar umfangreicherem Maße das, was der Herzog sagen darf, deutlich weniger das, was Raminga sagen soll. Es lässt sich überprüfbar behaupten, dass Heinrich Mann dem Herzog vieles gestrichen hat, was man als Erklärung seines Handelns, als, wenn auch bescheidensten, historischen Hintergrund, als Familiengeschichte, womöglich sogar als Rechtfertigung seines Tuns und Lassens deuten könnte. Aus heutiger Sicht verblüfft mich, und ich finde keine Erklärung dafür, am meisten die Blindheit des Herausgebers Alfred Kantorowicz, der in seinem Nachwort Dinge behauptet, die der Anhang des von ihm herausgegebenen Bandes schlicht widerlegt. Und dann kommt hinzu, es ist nicht zu verschweigen, dass seine Deutung gerade dieses Einakters haarsträubend am Text wie am Werkzusammenhang bei Heinrich Mann vorbeigeht.

Liest man, was kursiv geschrieben Regietext sein will in „Der Tyrann“, dann wird man fast unabweislich auf eine grauenhafte Schmonzette, auf melodramatisches Schmierentheater der allerschlimmsten Sorte vorbereitet. Doch fast zeitgleich klingelt eine zartes Alarmglöckchen: Kann das sein, dass einer wie Heinrich Mann dergleichen als für die zeitgenössische Bühne denkbar und spielbar hielt? Natürlich kann es sein, er hielt es für spielbar, es wurde gespielt. Und, lässt man die erste Irritation sacken, kommt man auf Zeitumstände, die bedacht sein wollen: Der Stummfilm befand sich 1907 wie 1910 auf seinem Triumphmarsch ins öffentliche Leben. Dort aber mussten Gestik und Mimik mangels Ton, mangels Wort, Sprache, Lautstärken, alles an Bedeutung tragen, was an Bedeutung zum Zuschauer gelangen sollte, wenn man nicht eben alles in die Untertexte drücken wollte. Schmierentheater hat den Stummfilm, der Stummfilm aber auch das Schmierentheater kräftig beliefert. Also: wenn da steht: „Atmet keuchend“ oder „stürzt wankend herein“ oder „nimmt die Haltung der Schamhaftigkeit ein“ (wie tut man das??), dann hat das genau diesen Hintergrund. Von Raminga heißt es: „Taumelt gegen einen Sessel. Beißt sich in die Knöchel der geballten Hand“.und „steht keuchend, mit einer ratlosen Gebärde“. Sähe ich das vor mir auf einer Bühne, ich würde mit Fremdschäm-Anfällen zu ringen haben. Und auf die Uhr schauen.

Worum geht es eigentlich in „Der Tyrann“? Man könnte sagen: Irgendwie unfrei nach „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller: Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Möros, den Dolch im Gewande. Möros heißt bei Heinrich Mann Raminga Guidati, der Tyrann ist Herzog im Lande Irgendwo und es steht zu befürchten, dass Raminga scheitern wird, wenn sie nicht sehr kräftig und noch mehr zielsicher den Tyrannen an der richtigen Stelle trifft, zu welchem Zwecke sie ihm sehr nahe kommen muss, denn auch die längsten Dolche sind kurz im Vergleich zu den Schwertern, mit denen man in der Original-Antike Tyrannen zu Boden stach. Raminga scheitert bei Heinrich Mann, sie wird den Henkern übergeben, liest man, richtiger wäre: überlassen. Der Tyrann hat alles vorausgesehen, folglich hat er mit ihr, die nichts ahnte, gespielt. Sie hat sich ihm, die genaueren Umstände werden nicht benannt in Novelle und Einakter, nackt beim Verlassen des Bades gezeigt, eine Art Renaissance-Bathseba, und dabei darauf spekuliert, dass er, der Tyrann, nichts Eiligeres zu tun haben würde, als sie, die nunmehr wieder Bekleidete, zu sich zu einzuladen. Das funktioniert tatsächlich bis zur Ankunft der Dame beim Herzog sehr gut, was dann passiert, nun ja, ist ein mehr als seltsamer Dialog eines potentiellen Mordopfers mit seiner potentiellen Mörderin.

Dass dergleichen in keiner wirklichen Welt vorstellbar ist, muss nicht eigens betont werden, warum Heinrich Mann es trotzdem schrieb, ist des Nachdenkens wert. Warum er es auf keinen Fall schrieb, kann man dem deutenden Teil des Nachwortes von Alfred Kantorowicz in geradezu mustergültiger Form entnehmen. Kantorowicz (12. August 1899 – 27. März 1979, heute ist sein Todestag also, für immer mit dem Geburtstag seines Gegenstandes verbunden) war 1956 allen Ernstes der Meinung, Heinrich Mann habe in der Gestalt des tyrannischen Herzogs das Problem des Künstlers in der spätbürgerlichen Gesellschaft behandeln und auf die Bühne bringen wollen. Welch ein Aberwitz: Wenn das so wäre, müsste man ernsthaft am Verstand Heinrich Manns zweifeln: warum sollte er das Problem des Künstlers ausgerechnet an einem Alleinherrscher exemplifizieren, der nüchtern betrachtet eine Art Psychopath ist, der willkürlich morden lässt, den misslungene Attentate an seine Unverwundbarkeit glauben lassen, der sich, ein wenig wie Nero im überlieferten Klischee, selbst als Künstler sieht. Es gäbe ein ganzes Arsenal von Figuren, die den Künstler besser repräsentieren würden, ihn und seine Problematik in der bürgerlichen Gesellschaft: Maler, Dichter, Musiker, Komponisten, selbst Schauspieler und Artisten, Sänger, Regisseure, Theaterdirektoren, Verleger, jeder einzelne von ihnen wäre besser geeignet als ausgerechnet ein Pseudo-Renaissance-Herzog.

Raminga hat einmal zu sagen: „Der Schrecken, den Sie verbreiten, zog mich an. Das Ungeheure, das über Sie umgeht, machte mir heiß.“ Wir lasen dieser Tage von einer Frau, die einen brutalen Mörder heiratete, selbst seriöse Medien hatte das Bedürfnis, ihre Neugier nicht zu unterdrücken, was das wohl für eine Frau sein könnte. Der Herzog fragt seine potentielle Mörderin, von der er von Beginn an weiß, welchen Befehl er erteilen wird: „Bin ich wirklich dazu verurteilt, in keines Menschen Seele vorzudringen?“ Und noch auf derselben Druckseite: „Dann härtete mich der Stolz des Einsamen, und ich erfuhr das schwindelnde Lebensgefühl dessen, der tötet.“ Aberwitzig diese Logik: „Muss nicht ein Leben sehr kostbar sein, dem so viele andere Leben dargebracht wurden?“ Dann aber sofort eine klare Ansage: „Ich zweifelte nie an der Macht! Es ist nicht wahr, dass sie entwürdige, auch den entwürdige, der sie ausübt.“ Das hörte, wenn er es gehört hätte, freilich auch jeder Diktator und Tyrann gern, der meinte, gar keiner zu sein, weil er ja nur die Diktatur des Proletariats repräsentierte. Satz für Satz wäre zu kommentieren, den dieser Tyrann spricht, den dieser Tyrann sich von seiner Dialogpartnerin anhören muss. Einer sei noch herausgegriffen: „Wer die Einzigkeit des Tyrannen kennt, sein Spiel mit Menschen, seine Verachtung der Menschen, seine Angst vor Menschen, - glauben Sie nur nicht, dass der je freiwillig auf sie verzichten wird!“

Das allgemeine menschliche Mitgefühl mit Tyrannen aller Art hat sich vermutlich in den zurückliegenden 5000 Jahren leidlich überlieferter Geschichte stets in sehr überschaubaren Grenzen gehalten. Man muss ein Schiller sein, um es bis zum Satz „Der König hat geweint!“ zu bringen, wozu es führt und wozu nicht, wissen wir. „Ich erträumte mir Menschengüte auf andern Sternen. Diesen kenne ich zu gut.“ lässt Heinrich Mann seinen Herzog sagen. Herbert Ihering, viele Jahre später selbst Verfasser eines Buches über Heinrich Mann, schrieb über die drei Einakter: „Sie wenden auf eine Stückart, die es am wenigstens verträgt, Psychologie an. Heinrich Mann, der ein phänomenaler Dramatiker in seinen Romanen sein kann … ist im Drama selbst Novellist. Und als Novellist Ästhet. Denn immer war es das Zeichen des Ästheten, dass er bei der Berührung mit dem Theater statt Kraft Krassheit, statt Wirkung Effekt gibt – dass er sich übernimmt aus Schwäche.“ Noch am 19. Februar 1910 schrieb Heinrich Mann an Ludwig Ewers: „PS Man möchte meinen „Tyrannen“ in Prag und auch in Berlin aufführen; ich halte aber trotzdem nichts vom Theater.“ Sehr lange blieb er nicht bei seiner Meinung: „In München hätte ich für alle drei Stücke das Hoftheater haben können; der Verleger hat aber vorschnell mit einem Gastspiel-Direktor abgeschlossen, über einen einzigen Akt. Ich hatte einen peinlichen und erfolglosen Streit mit diesem Direktor, der ihn nicht herausgab, weil er sehr wirksam ist. In Berlin, am Kleinen Theater, ist es bis jetzt ca. 30 Mal gegeben.“ (Aus einem Brief an Ewers vom 13. Januar 1911).

Zu allem nun der Interpret Alfred Kantorowicz: „Die Doppeldeutigkeit der Worte und Begriffe erzeugt eine hintergründige Spannung. Die Helden dieser Vorgänge spielen Katz und Maus mit ihren Opfern: der Tyrann mit Raminga, die gekommen war, ihn zu erdolchen, und ihm ihr Innerstes preisgibt, bevor er sie dem Henker ausliefert. … Der zum Ausgleich drängende Zwiespalt zwischen Kunst und Leben, der Heinrich Mann in jenen Jahren so leidenschaftlich bewegte, ist der dramatische Konflikt der Novelle und des Einakters „Der Tyrann“. Die Einsamkeit, die menschliche Beziehungslosigkeit des Künstlers in der spätbürgerlichen Gesellschaft wird übertragen in die Figur eines Fürsten, der durch seine Stellung außerhalb der Gesellschaft (gemeint ist die bürgerliche Gesellschaft) steht.“ Und weiter: „Der Einakter (die Novelle) „Der Tyrann“ ist ein Schritt auf dem Weg zur Bejahung der Gemeinschaft. Der Individualismus wird in Frage gestellt; sein Triumph ist scheinhaft, sein Sieg ist selbstzerstörerisch. Das Gleichnis zwischen dem Fürsten und dem Dichter wird deutlich. In dem überreizten Dialog zwischen dem tyrannischen Herzog und der von ihm überlisteten Rächerin Raminga, die sein besseres Selbst aufruft und ihn der Gemeinschaft, zum Volk zuzuführen strebt ...“. Geht es tatsächlich um die Jahrzehnte später von Albert Camus beschworene Antinomie Einsamkeit – Gemeinsamkeit? Was wäre Bejahung der Gemeinschaft - als Phrase pur?

„Er hat nicht nur Komödie gespielt: … Indem er sie dennoch den Henkern ausliefert, wendet er sich endgültig vom Leben ab. Er wird einsam bleiben, ein „Gefangener der Macht“. Er wird sein formales, artistisches Dasein außerhalb der Gesellschaft zu Ende führen – in der Tat ein ergreifendes Gleichnis der in Elfenbeintürmen eingesperrten Künstler der spätbürgerlichen Zeit, die den Zugang zum Volk, zur Gemeinschaft, zur Menschennähe nicht mehr fanden.“ Soweit abermals Alfred Kantorowicz. Wollte er das wirklich glauben: Der Tyrann führt ein formales, artistisches Dasein außerhalb der Gesellschaft? Der Tyrann Rumäniens hat die halbe Altstadt von Bukarest niederreißen lassen, um mitten in der Gesellschaft ein stinknormales Leben zwischen goldenen Armaturen zu führen und mit einer Gattin sich als sozialistischer Sonnenkönig zu fühlen, die mehr Ehrendoktortitel hielt als sie Haare auf den Schienbeinen hatte. Kein Künstler ist, herkömmlicher Sinnbildlichkeit zufolge, je in einen Elfenbeinturm gesperrt worden, wohl aber haben sich einige namhafte selbst in einen solchen, symbolischen natürlich, zurückgezogen. Das ist ein sehr gravierender Unterschied. Es ist einfach nur falsch, dass „gerade in ihm der Konflikt, der Heinrich Mann damals so tief bewegte, das Spannungsverhältnis zwischen Künstler und Gesellschaft, wenn auch im übertragenen Sinne, am geschlossensten und wuchtigsten zum Ausdruck kommt.“

„Der Tyrann“ ist vielleicht geschlossen, niemals aber wuchtig. Und gut war es, dass in der Fassung für die Bühne solche Sätze schon gestrichen wurden: „Mögen sich jene die Freiheit selbst erobern; ich bin eine Frau, ich kann keinen Unglücklichen von der Hoffnung abschneiden, kann nicht töten, wo so viel, so viel zu trösten wäre.“ Das ist verballhornter Iphigenie-Humanismus, das ist Antigone light aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Leider lässt es sich freundlicher nicht sagen. „Nichts hat ein Tyrann so sehr zu fürchten wie die Menschlichkeit, für die er vielleicht geboren wäre.“ Sagt der Herzog in der Novelle. Nachdem er eben erzählte, wie er Kinder Kot fressen ließ für eine Kupfermünze, wie er sich immer neue Foltern erdachte, von diesen „werdet ihr länger reden als von den Wohltaten eines Messias“. Interessant bleibt bis heute, dass diejenigen, die Heinrich Mann am liebsten vollständig von den Listen der nennenswerten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts gestrichen sehen würden: wegen Kolportage-Vorlieben, wegen Freundlichkeit der Sowjetunion gegenüber, wegen des Planes, in die DDR überzusiedeln, um dort Akademie-Präsident zu werden wie er es schon in der Weimarer Republik bis Februar 1933 war, ihn an jenen Stellen nicht kennen, wo er wirklich schwach war. „Der Tyrann“ ist, von welcher Seite immer betrachtet, sehr schwach.


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