Mit Links auf Schweiz-Kurs
Lange bevor ich die Schweiz zum ersten Male selbst sah und erlebte, begegnete sie mir. Sie kam gewissermaßen systematisch in der Person von Roland Links auf mich zu. Der vormalige Tucholsky-Herausgeber, spätere Döblin-Biograph und Chef der Verlagsgruppe Kiepenheuer in Leipzig, der erst kürzlich, am 1. März, seinen 80. Geburtstag feierte, sprach vor Berliner Germanistik-Studenten über Schweizer Literatur. Im Verlag Volk und Welt Berlin war das damals sein Ressort. Es war ein Seminar und zu der Gruppe, die mit Links debattierte und ihm vor allem lauschte, gehörte auch Thomas Fritz, dessen formidabler Krimi „Blick und Beute“ (Merlin-Verlag) mit Vorschuss-Lob von Günter Kunert noch gar nicht lange zu haben ist.
Vor allem Frisch und Dürrenmatt waren es, denen sich Roland Links widmete, ich hielt mich still als Philosophie-Student ohne Lizenz für Germanistik, ich staunte über vorgetragene Sätze über das Land, das fern war wie Neuseeland oder die Saturn-Monde. Es fiel irgendwann der Satz von der Freiluft-Puppenstube, der haften blieb und mein inneres Schweizbild bestimmte, bis ich sie selbst sah. Links sprach von Walter Matthias Diggelmann, der damals der dritte und damit neben Dürrenmatt und Frisch einzige Schweizer Schriftsteller gewesen sein soll, der von seinem Schreiben leben konnte. Alle anderen, so Links, mussten einen Beruf ausüben, Lehrer sein oder Verwaltungsbeamter, was einem wie Gottfried Keller ja gar nicht so schlecht bekommen ist.
Die Auflagen in der kleinen Schweiz, erzählte Links, seien so klein, dass jede Lizenz in der DDR mit ihren normalerweise 10.000er Startauflagen paradiesisch wirkte für Schweizer Autoren. Mit Diggelmann war Links, glaube ich mich zu erinnern, auch persönlich gut bekannt und befreundet, seine Bücher landeten, kaum überraschend, alle in meiner privaten Bibliothek. Diggelmann starb sehr früh, sein Buch über sein eigenes Sterben erschien in der Reihe Volk und Welt Spektrum. Was war es, in Zeiten ohne Internet, in Zeiten mit Papier-Kontingentierung, ohne Marktorientierung, für ein Ereignis, ein Buch zu bekommen, das deutlich mehr Leute haben wollten, als es wegen der zu geringen Auflagenhöhe auch tatsächlich bekamen.
So gerieten sie beinahe andächtig aufgestellt ins Regal, die ERKUNDUNGEN I und II (35 und 42 Schweizer Erzähler), SCHWEIZ HEUTE. EIN LESEBUCH, antiquarisch mit zerflatschten Schutzumschlägen „Stiller“ und „Mein Name sei Gantenbein“, die Dramenbände, Gedichte von Beat Brechbühl, Prosa von Adolf Muschg, Silvio Blatter, Walter Vogt, Christoph Geiser. Als Adolf Muschg 1999 zum Höhepunkt des Goethe-Jahres nach Ilmenau kam, um seine wunderbare Rede über Goethes Rede-Blackout bei der Bergbau-Eröffnung* zu halten, habe ich ihn sechsspaltig mit Porträt in Farbe angekündigt, mehr ging im Lokalteil kaum.** Christoph Links, Sohn von Roland Links, hat für Bedürftige in seinem Berliner Links-Verlag „Grüezi und Willkommen. Die Schweiz für Deutsche“ herausgebracht, Autorin Susann Sitzler. Kann man lesen, denke ich.
* nachzulesen in: Adolf Muschg, Der Schein trügt nicht, Insel-Verlag 2004, S. 139ff