Nix Polizei

Tatsächlich, fast auf den Tag ist es fünfzehn Jahre her, da ein weinroter Peugeot 306, Kennzeichen IK EU 53, die Schweizer Grenze auf der Autobahn aus Richtung Karlsruhe kommend, passierte. Das Fahrzeug hatte vorn andere Reifen als hinten, der Scheinwerfer rechts war sichtbar beschädigt. Die Fahrzeuginsassen hatten fast wieder Ruhepuls, der Auffahrunfall blieb im Interesse des Fahrers vorerst vertagtes Debattenthema. Der Fahrer natürlich ich, die Unfallschuld natürlich bei mir, denn dass nach einem Stau, auch wenn es schon wieder mit 100 Stundenkilometern und mehr rollt, der Verkehr plötzlich erneut stocken kann, gehörte noch nicht zu den Erfahrungswerten meines jungen Kraftfahrerlebens. Wohl hatte ich, auf der Überholspur rollend, gesehen, dass weit vorn auf der rechten Spur Warnblinker Signale sendeten, auf meiner Spur aber blinkte nichts und ehe ich sah, dass es dennoch auch vor mir nicht mehr rollte, war es zu spät. Ich trat auf die Bremse mit aller Kraft, ein halber Meter hätte vielleicht gereicht oder ein ganzer.

So rumste es vorn rechts gegen hinten links. Aus dem Fahrzeug vor mir stieg ein Mann, der an Saddam Hussein erinnerte, ihm folgte ein zweiter Mann, wie der junge Saddam Hussein wirkend. Ich spannte die Bauchmuskeln, um Hieb oder Stich wenigstens zu mildern, als aus dem Munde des Älteren zwei einfache Worte kamen: Nix Polizei. Im Fahrzeug, dass ein wenig krumm aussah in seiner älteren Bauart, saßen vier stark vermummte weibliche Gestalten, die mich hassarm durch die Scheiben musterten aus kohlschwarzen Augen. Und blitzschnell erkannte ich, dass hier kein stundenlanges Warten auf Polizei, Versicherungsvertreter, Schadensschätzer oder gar Rechtsanwälte anstand, sondern die italienisch-südländische Variante der Schnellregulierung.

Das Schnauzbartduo zeigte mir anklagend vor allem die wirklich bedauernswert ausschauende rückwärtige Stoßstange, ich warf einen Blick in meinen Bargeldbestand und wir einigten uns auf einen dreistelligen Betrag im untersten Bereich. Mein Problem aber begann erst. Denn der Versuch, mit meinem Franzosen wieder in Fahrt zu kommen, war mit extrem ruckartigen Bewegungen verbunden. Waagerecht weggefahrene Reifen erlauben eben kein sanftes Rollen. Wir hoppelten also zu einer glücklicherweise und vollkommen zufällig nur wenige hundert Meter entfernten Raststätte, erhielt dort fast ungefragt den fachlichen Rat, mit diesem Auto keinen Meter weiter zu fahren, was vierfache Panikattacken auslöste auf Vorder- und Rücksitzen, denn wir waren angemeldet in Stockenmatt oberhalb des Sarner Sees. Mit ungefährer Ankunftszeit.

Ein freundlicher Mensch badischer Mundart erwähnte, man könne hinter der Raststätte einen eigentlich gesperrten Feldweg nutzen und käme zu einem Autohaus, das vielleicht helfen würde. Wir ruckelten in die verbotene Zone, fanden das Autohaus, indem die Mitarbeiter, es war eben kurz vor zwölf, was an Samstagen in Deutschland Wochenende bedeutet, bereits an ihren Blaumännern nestelten respektive die Krawatten lockerten. Zudem war es ein Opel-Autohaus, ich fuhr die falsche Marke. Dennoch, ich bekam zwei neue Vorderräder, ich zahlte normal und erhöhte das Trinkgeld in Bereiche, die in der Sahelzone ein Vierteljahr Leben bedeuten. Und wir schafften den Grenzübergang mit unserer allerersten Schweiz-Vignette auf der Scheibe noch fast im Zeitlimit, es war warm von außen, innen ohnehin, wir rollten beinahe fröhlich bis ins Ziel. Am Ende waren Serpentinen zu fahren, Kuhfallen zu passieren nebst Schranken und wir sahen von ganz weit oben auf den blaugrünen See ganz weit unten. Der Peugeot erhielt ein schattiges Plätzchen neben einem Wagen aus Zürich, wir bezogen unsere allererste Schweizer Ferienwohnung für komplette drei Wochen. Und ahnten nicht entfernt, welche Reaktionen unser Kennzeichen auslösen sollte. Noch weniger, dass es als offenbar nicht nur mein Wunsch-Kennzeichen bald nach der Reise gestohlen und nie wieder auftauchen würde. Bald klebte ein Zettel auf der Heckscheibe: Ossi go home. Der Wunsch kam direkt aus der Gegend von Schleusingerneundorf.

Das aber ist die nächste Geschichte.


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