Neil Simon: Sonny Boys; Landestheater Coburg

Wer mit Neil Simons inzwischen mehr als vierzig Jahre alten „Sonny Boys“ die Schauspielsaison eröffnet, will aller Wahrscheinlichkeit nach nicht signalisieren, dass von hier und heute eine neue Theater-Epoche in Coburg starten werde. Die zweiaktige Komödie steht im Ruf, mindestens zwei überaus dankbare Rollen bereit zu stellen. Ihr Verfasser Neil Simon, am 4. Juli 1927 geboren, steht nicht im Ruf, ein Schwergewicht der Weltdramatik zu sein, was seinem Erfolg freilich eher dienlich war. Die „Sonny Boys“ hatten am 20. Dezember 1972 ihre Premiere, bereits 1975 kam der Film nach dem Stück in die Kinos. Den Willie spielte, fast möchte man fragen, wer sonst wäre besser geeignet gewesen, Walter Matthau, den Al jedoch nicht Jack Lemmon, sondern George Burns, der dafür den Nebenrollen-Oscar einheimste und vor lauter Begeisterung sogar noch seinen 100. Geburtstag am 20. Januar 1996 erlebte. Just 1996 folgte eine Fernsehverfilmung, in der „Columbo“ Peter Falk den Willie spielte und Woody Allen den Al Lewis. Die „Sonny Boys“ sind somit unvermeidlich weit über die Klientel der eifrigen Theatergänger hinaus ein Begriff.

Es mag also durchaus sein, dass ein Regisseur in Versuchung gerät, sich von der Last der Inszenierungstradition doppelt unter Druck gesetzt zu fühlen. Da reagiert der eine im wohl gesetzmäßig schief gehenden Bestreben, seinem Publikum eine Kopie zu liefern, der andere will unbedingt alles anders machen und scheitert auch. Johannes Zametzer, der zuletzt in der Reithalle „Warten auf Godot“ in Szene setzte, hat sich an den Plot gehalten und an den Text natürlich auch, mir fiel nur eine Hereinnahme von Jetztzeit auf, als Irak und Afghanistan als Worte mit und ohne k herhalten mussten, was freilich nur bescheidenste Lacher auslöste. Das Grundproblem des Coburger Spiels: die Darsteller vor allem des Komiker-Duos sind und wirken zu jung für ihre Rolle. Hinzu kommt, ich mag mich täuschen, dass Stephan Mertl, dessen schauspielerische Fähigkeiten außer allem Zweifel stehen, wer einen „Kontrabass“ so bringt wie er, muss sich und anderen nichts mehr beweisen, wohl kein auffallend starkes Komikerblut in sich trägt. Oder aber er setzte so sehr auf den momentanen Status der Rolle, dass er deren Vorleben zu wenig durchscheinen ließ.

Mertl sitzt, während die Zuschauer zu ihren wie immer frei wählbaren Plätzen streben, in gestreiftem Bademantel, Pyjama und Pantoffeln vor einem dicken alten Röhrenfernseher, bei dem sogar noch das Bild laufen kann und der Geräusche absondert, die wie ein Dauer-Bla-Bla-Bla klingen. Wer den Text kennt, weiß, dass Willie Clark sich mit dem Anschauen von Serien die Zeit totschlägt. Das Bühnenbild (auch Johannes Zametzer, ebenso die Kostüme) vermittelt den Eindruck eines ziemlich verwahrlosten Wohnraumes, im Hintergrund sieht man ganze Batterien von leeren Flaschen, es gibt zwei Polsterstühle an einem Tisch, dessen Stabilität gesichert wird mit diversen Konservenbüchsen, vor allem mit Tomatensuppe. Bevor der Neffe Ben Silvermann (Benjamin Hübner) in Aktion tritt, muss Willie über die Fernsehschnur stolpern und dabei den Stecker ziehen. Später wechselt die Tücke des Objekts zur mehrfach verschlossenen Appartement-Tür, die als Running Gag jedesmal dem Neffen an den Kopf knallt, wenn sie sich endlich öffnen lässt. Wohl jedem, der da noch reinen Herzen lachen kann, mir fiel es schwer.

Der Neffe kommt jeden Mittwoch zu seinem Onkel, versorgt ihn, sorgt sich um seine Gesundheit, seine Ernährung, vor allem aber bringt er die aktuelle „Variety“ mit, auf die Willie begierig wartet. Ihr entnimmt er, wer gestorben ist, wo was gespielt wird, ohne dass je jemand bei ihm anfragt, ob nicht er eine Rolle übernehmen möchte. Selbst in den wenigen Werbespots, die ihm noch angeboten werden, versagt er immer wieder, weil er Text vergisst. Sein Neffe, der auch sein Agent ist, hat es schwer, dem Onkel schonend beizubringen, dass seine Zeit wohl vorbei ist. Jetzt aber gibt es ein einmaliges Sonderangebot: das Fernsehen will auf die große Zeit des Varietés zurückblicken und dabei auch dem berühmten Komiker-Duo Gelegenheit geben, einen seiner erfolgreichsten Sketche vorzuführen. Und genau hier liegt der Hase im sprichwörtlichen Pfeffer: das Duo hat seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt, Willie Clark kultiviert nur noch seine schlechten Erinnerungen an seinen einstigen Partner Al Lewis (Thomas Straus), der ihm mit dem Finger zwischen die Rippen stach und ihn beim Reden anspuckte. Erst später verrät er fast kleinlaut, dass Al der Größte war, keiner je besser als er und dass er deshalb mehr als vierzig Jahre mit ihm auftrat, dabei zwölftausendmal mit dem Sketch, den das Fernsehen jetzt neu aufnehmen möchte.

Willie Clark ist fast vollkommen auf sich fixiert, alles andere blendet er aus oder vergisst es, nicht einmal die Namen der Kinder seines Neffen kann er sich merken. Er erzählt wie alte Leute es eben tun, immer wieder die alten Geschichten, was der brave Neffe gut erzogen sich nicht anmerken lässt. Komik geht zunächst fast ausschließlich von ihm aus, wobei die dicht gesetzten Dialog-Pointen alle nicht richtig zünden wollen. Die Lacher bleiben verhalten, auch wenn Willie erklärt: „Ich bin glücklich, sage ich dir! Ich seh nur unglücklich aus!“ Es dauert eine Weile, bis die Zuschauer erfahren, was der Hauptgrund für Willies gepäppelte Abneigung gegen seinen alten Partner ist: der hat ohne Vorwarnung aufgehört und damit nicht nur sich selbst, sondern eben auch Willie Clark aus dem Geschäft genommen, offenbar aber mit dem feineren Gefühl dafür, dass beider Zeit abgelaufen war. Das Showgeschäft scheint besonders anfällig für solche falschen Selbsteinschätzungen. Ben sagt einen Satz, der in der DDR wohl in manchen falschen Hals geraten wäre: „Jeder Mensch hat das Recht, abzuhauen, wenn er Lust hat.“ Willie ist auf alle Fälle anderer Meinung.

Neffe Ben führt Al und Willie zusammen, Willie versteckt sich hinter einem beweglichen Vorhang, um zwei Tee zu kochen. Hier blitzt etwas Situationskomik auf, alles scheint sich zum besten zu entwickeln, weil Ben mit Eifer die Requisiten notiert, die benötigt werden, so absurd sie auch klingen und so fremdartige Bezeichnungen sie für ihn tragen. Fortan wird zwischen Al und Willie nur gestichelt, widersprochen, so kommunizieren alte zänkische Paare, wenn sie es nicht schon vorziehen, vollkommen zu schweigen. Es fällt auf, dass die Spiele mit den Namen, die Spötteleien um die jeweilige Gesundheit des anderen alle nicht mehr die ganz großen Knaller sind, hier hätten die Darsteller dicker auftragen müssen, um Wirkungen zu erzielen. Immerhin lacht das Premierenpublikum, wenn auch eher verhalten und vereinzelt, als die beiden Mimen mit den Möbeln das Bühnenbild für den Sketch stellen, hier werden abermals Möglichkeiten verschenkt. Es ist leider nicht mehr von sich aus komisch, wenn Willie statt „herein“ nun „herreinspaziert“ ruft und dann sogar genau damit provoziert.

Wirklich ärgerlich wird es im zweiten Akt, wenn die Regieassistentin (Leila Müller/Mascha Pitz) ihren Text derart amateurhaft hersagt, dass es einem die Sprache verschlägt, wenn später die Anmoderation für den Sketch und die Konserve so fernsehfern gesprochen werden, so wenig anreißerisch, dass es für eine Sendung wie die angekündigte schlicht unvorstellbar ist. Wer soll nach einer solchen dazu überlangen Ansage am Bildschirm bleiben? Der schöne Gag mit dem Make-up Nummer 7, das es  zuletzt vor 34 Jahren gab, geht unter und dennoch bleibt der Sketch mit dem Arzt und dem Finanzprüfer, jetzt tragen Stephan Mertl und Thomas Straus Perücken und strahlen tatsächlich auch Komik aus, der Höhepunkt des Abends. Jetzt kommt Eva-Marianne Berger zu ihrem Auftritt, der gerade in seiner überdrehten Klischeehaftigkeit passt und funktioniert. Sie hat im letzten Bild noch die Pflegerin als zweite Rolle und erschöpft sich keineswegs im Pralinennaschen. Der kranke Willie im Bett stellt ihr die schönste Frage der Komödie: „Sagen Sie mal ... wie alt ist man denn so in Ihrem Alter?“ Und dann wird alles ein wenig traurig und melancholisch, das können sie wirklich, diese Amerikaner.

Der Zuschauer verlässt die Reithalle im sicheren Wissen, dass die beiden alten Komiker bis ans Ende ihrer Tage weiter darüber streiten werden, wer früher wer war und was auf keinen Fall. Beide werden sie im Heim für alte Schauspieler leben, der letzten Heimat für viele, von denen man annahm, sie seien längst tot. Al sagt zu Willie: „Du hast die Witze immer zu ernst genommen. Die Witze waren doch nur Witze.“ Vielleicht nahm auch diese Coburger Inszenierung diesen Neil Simon zu ernst, verführt vom Schluss. Wenn ich nun sehr lange nicht wieder komme, liegt das dennoch nicht an diesem Abend. Es liegt an den weiteren Angeboten der Spielzeit 2014/2015, die ich zur Kenntnis nehme. Ich bin zu lange in meiner Haut, um aus ihr zu können. Ich mag keine Romane auf der Bühne, keine Filme, die einen lese ich, die anderen sehe ich im Zweifelsfall im Kino oder Fernsehen. Ins Theater gehe ich, um Stücke zu sehen, die meine Neugier wecken. Die Coburger „Sonny Boys“ haben mich neugierig gemacht, wie sie anderswo daherkommen. Obwohl meine Neugier auf Neil Simon insgesamt mäßig bleibt.
 www.landestheater-coburg.de


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