Shakespeare: Macbeth!; Shakespeare Company Berlin

Wäre Theater eine Angelegenheit des Lokalpatriotismus, was zweifellos für verschiedene Menschen und Menschengruppen nicht ausgeschlossen werden kann, dann müsste ich all meine Sympathien auf Erik Studte konzentrieren, denn der ist laut Shakespeare Company Berlin nicht nur eine Thüringer Pflanze, sondern in Arnstadt geboren, was von mir ebenfalls gilt. Und in Arnstadt schnupperte ich sogar erste Theaterluft, ich sah das dreiaktige Kinderstück „Ambrosio tötet die Zeit“ von Arthur Fauquez, das seine DDR-Erstaufführung am 10. September 1962 am Theater der Jungen Welt in Leipzig hatte, also war ich da vermutlich etwa zehn Jahre alt. Zum Schöneberger Südgelände fahre ich freilich nicht, um geborene Arnstädter zu sehen, sondern wegen Shakespeare. Dennoch bin ich schon einmal dem Programmheft dankbar, weil es zwar den Termin der Premiere listig verschweigt und es gelang mir nicht, ihn genauer als auf Juni 2013 zu datieren, dafür aber alle Beteiligten, also Team und Schauspieler, hinreichend informativ vorstellt. So viel Farbe und so viel Hochglanz wie am Prellerweg gibt es bei kleineren Theatern nie bis selten. Und es gibt die längst nicht mehr neue, aber lustig gebliebene Werbe-Verkaufsschau für diese Hefte, die, so lange ich sie erlebe, nicht teurer geworden sind, was von anderen Druckerzeugnissen dieser Zeit nicht behauptet werden kann. Und es gibt noch nicht ganz so lange den Workshop Deckenfalten zu Beginn.

Die Shakespeare Company Berlin setzt hinter alle Titel des Meisters aus Stratford Ausrufezeichen, man sieht also nicht etwa „Macbeth“, sondern „Macbeth!“. Programm, Postkarte und Flyer nennen jeweils die sechs Mitwirkenden (Bühnenvertriebe kürzen das mit 2D, 4H ab), ordnen den Namen aber keine Rollen zu. Vermutlich war es dem Team wichtiger, schwer vermeidbare Verwirrungen während des Spiel zu produzieren als vorab. Eine Kritikerin mit einem Namen, den ich mit einem Geschichtsprofessor meiner Studienzeit verbinde, der auch ein Buch verantwortete, das als Pflichtlektüre galt, teilte ihren alternativen Lesern am 18. Juni 2013 mit: „Beim „Macbeth“ am Priesterweg verwirren die vielen Rollenwechsel ein wenig. Benjamin Plath spielt den Macbeth nahe am Hamlet, Elisabeth Milarch vollendet als seine Lady, was der Mann nicht fertig bringt.“ Ich hätte dies nicht zitiert, erinnerte es mich nicht an eine Replik von Günter Kunert auf eine Kritik, die von einer verwirrenden Vielfalt an Texten bezüglich seiner Kurzprosa schrieb. Kunert machte sich über den verwirrten Kritiker lustig, ich über die Kritikerin, die offenbar das Programmheft auch gelesen hat und deshalb das Idiom von Erik Studte „thüringisch“ nannte. Nein, es klang, jedenfalls jetzt, zweifelsfrei sächsisch, was in Berlin seit Ulbricht für Lacher sorgt, während Thüringer bis heute indigniert abzuwehren haben, für Sachsen gehalten zu werden. Einige sind immerhin Fast-Sachsen.

Dramaturg Stephan Weiland verrät auf Hochglanz, bestimmte Sichtweisen auf den „Macbeth“ ignoriert zu haben: „Zum Beispiel eine Lesart, die nahezu frauenhassend zu nennen wäre“. Ich bin im Zweifelsfall immer dafür, Lesarten Lesarten sein zu lassen, weil es ja, glücklicherweise, den Text gibt, an den man sich, in welcher Übertragung auch immer, halten, gar klammern kann. Hier stammt die Übertragung von Christian Leonhard, der auch die Produktionsleitung in den Händen hielt. Sein Text ist, das lässt sich mit Sicherheit sagen, Text in Progress, denn zur Premiere vor reichlich vier Jahren gab es todsicher keinerlei finale Anspielungen auf einen orangefarbigen Mann, der die Rolle des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vom Start weg als Knallchargen-Rolle sah und spielte. Die Shakespeare Company Berlin setzt auf chorisches Synchronsprechen etlicher Passagen des Textes, was kaum zufällig in Richtung Lehrstück des Brecht-Theaters zeigefingert. Die Kostüme (Gabriele Kortmann) mixen Militaria neuzeitlichen Zuschnitts mit Arztkittel-Verweisen, alle sechs müssen singen und musizieren, was alles andere als unvorteilhaft nach Moritaten klingt. Am Ende, falls ich nicht blind und taub war, vollendet Lady Macbeth nicht etwas, was der Gatte nicht fertig bringt, sondern sie ist nicht mehr sie, sondern er, derweil er am Boden liegt, kaum noch zuckend. Was wäre an einer bösen Frau mit Hintergrund-Aktivität eigentlich frauenhassend?

Bei Shakespeare jedenfalls ist die Lady stark, der Than schwach, man kann ihn, wo er Skrupel hat, nahe an Hamlet spielen, weil der Typus es hergibt, nicht, weil es eine pfiffige Lesart sein möchte. Es gibt bei Shakespeare wiederkehrende Typen, die im Nebeneffekt am Ende gar die Wirkung zeitigen, einander weiter und tiefer zu erklären, als es ihre pure Einmaligkeit zuließe. Über der Bühne mit ihren vorn hängenden Requisitenkästen steht „Theater“, nach der Pause wird eine Art Guckkasten aufgestellt, auf dem „Macbeth-Visionen“ steht. Natürlich weiß die Truppe, dass man im Theater, sei es unter freiem Himmel oder unter Dach, niemanden mehr der Illusion berauben muss, es handele sich um etwas anderes als Theater. Das war zu Brechts Zeiten kaum anders, nur ließ sich der vordergründige Anti-Illusionismus damals noch als neuartig verkaufen. Aber heute überraschen niemanden mehr Darsteller, die aus dem Zuschauerraum auftreten oder in ihn abgehen, niemand wird sich begeistert einbezogen fühlen, wenn er direkt angesprochen wird. Auch ein auf der Bühne gezücktes Reclam-Heft mit der Komplett-Besetzung gab es schon, es ist aber noch ganz lustig. Gut ist, wenigstens für die Programmhefte fast aller Theater, dass sich die Dramaturgen hinsichtlich der jeweiligen Modephilosophien auf dem laufenden halten. Shakespeare aber ist immer Shakespeare, ob mit Adorno oder Sartre angerührt, oder mit Giorgio Agamben und Terry Eagleton verquirlt.

Zwischendurch saßen einige der sechs Akteure (in alphabetischer Folge: Katharine Kwaschik, Elisabeth Milarch, Benjamin Plath, Stefan Plepp, Oliver Rickenbacher und Erik Studte) unter den Zuschauern und erzählten ihren Sitznachbarn Witze, was unter weiblichem Jungvolk hinter mir ungebremste Begeisterung auslöste, sie replizierten die Späße noch, als das Geschehen sich wieder auf die Bühne verlagert hatte, immerhin nur leise flüsternd. Am Ende wird gemetzelt, es wird eine historische Metzel-Kontinuität inszeniert mit fiktiven Kehlenschnitten und Begleitsätzen, die von Parteitags-Heroen bis eben zu „America first“ reichten. Erik Studte, der Than of Rosse, ist immer wieder einer, der nicht erkannt wird und dann doch, er ist überall und nirgends, der Running Gag in Breeches, Katharina Kwaschik erprobt russischen Akzent, die Kronen auf den Köpfen sehen aus wie die Sünder-Kronen, die von der Inquisition Verurteile zu tragen hatten, ehe sie den Scheiterhaufen besteigen mussten. Vielleicht wäre weniger Intention mehr gewesen. Vielleicht aber bin ich nur genervt, wenn mir „Das Böse“ als etwas verkauft werden soll, was etwas im Sinn hat oder nicht, was einer Logik folgt oder nicht. Das Böse gibt es schlicht und ergreifend nicht, weshalb natürlich auch die gern missverstandene Formel von der „Banalität des Bösen“ nur wenig mehr als eine intellektuelle Leerformel ist. Im vorliegenden Fall war mir „Macbeth!“ zu viel Ausrufezeichen.
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