O'Casey: Purpurstaub, Theater Rudolstadt

Vermutlich war das die Inszenierung der Spielzeit. Es gab ein richtiges Bühnenbild, es gab richtige Kostüme. Alle also, die sonst an Theatern sich von Entlassung bedroht fühlen müssen, weil sie nicht wirklich mehr was zu tun haben, die hatten zu tun. Das Bühnenbild musste so entworfen werden, dass es an jedem Spielabend kaputt gehen und dann wieder zusammengesetzt werden kann. Für Doppelrollen wechselbare Kledage, Musik, Gesang, eine echte Theaterkuh als Leihgabe aus Weimar, eine deutsche Fassung, die der Osten nicht kennt, weil in der Wie-sag-ich's-meinem-Kinde-DDR wohl die erste deutschsprachige Gesamtausgabe aller O-Casey-Stücke erschien, aber halt mit eigenen Übertragungen. Der PURPURSTAUB war seinerzeit eigens von Helmut Baierl und Georg Simmgen verdedeerrelt worden. Damals, dies ist ein historischer Exkurs und darf überlesen werden, stressten die allerhöchsten Spielplanauguren des Berliner Theaterwesens das Berliner Ensemble, es möge doch endlich mal mehr aus den Puschen kommen. Dann schnappten sich die brechtelnden Epigonen den eben verstorbenen O'Casey, rickeracke, die genannte eigene Fassung, und man probte und probte und probte. Zwischenzeitlich wurde Wolf Kaiser krank, was 50 weitere Proben nach sich zog und nachdem Ernst Schumacher bereits zweimal drohend den Zeigefinger geschwungen hatte, kam PURPURSTAUB endlich nahe der Weidendammer Brücke zur Aufführung. Nicht freilich ohne den provinziellen Vorabprobelauf, für den das Theater der Stadt Gera auserwählt wurde, wo dann auch die DDR-Uraufführung gespielt wurde.

Zurück nach Rudolstadt. Dort spielt man nicht nur nicht die DDR-Übertragung des irischen Urtextes, man hat auch Manfred Wekwerths ausführliche Ergießungen zur BE-Inszenierung absichtlich oder zufällig konterkariert. Dem bis in den Sprachduktus hinein an Brecht klebenden Wekwerth war es wichtig, keine inszenatorische Perlenkette auf die Bühne zu stellen, an der sich das Publikum entlang hangeln könnte. Regisseur Herbert Olschok ließ hangeln. Denn, und dies sei ausdrücklich vermerkt, Perlenketten sind halt Perlenketten, die sich deutlich von einfachen Fäden, und seien es rote, unterscheiden. Es vermittelte sich der Eindruck, als habe die Regie besonders großen Wert darauf gelegt, jedem einzelnen Mimen gewissermaßen sein konzertantes Schlagzeugsolo zu ermöglichen. Viel Szenenapplaus von zum Teil fast heftigem Ausmaß honorierte dies. Den größten Verzicht auf jegliches Brillieren bot Verena Blankenburg in der Rolle als dritter Arbeiter, auf Platz II folgt Miriam Gronau und noch auf dem Podest landete Laura Göttner. Alle anderen hatten, hols der Geier, ihre jeweils eigenen feinen Soli, was mich bei einigen überraschte mangels Vorerlebnis meinerseits. Und über mehr kann ich leider nicht schreiben.

Die Story ist eine einfache: Zwei beknatterte Engländer, die reich sind nach dem Willen des Verfassers, der sich bis zu seinem Lebensende nicht nur als Kommunist, sondern auch als Proletarier sah, haben eine Abrissimmobilie in Irland erworben, die sie von irischen Bauschaffenden, wie es zu DDR-Zeiten geheißen hätte, aufmöbeln lassen wollen. Die Bruchbude ist nicht zu retten, was die beiden Bauherren nicht merken und auch nicht wissen wollen. Für sie ist das Tudor, früh, spät oder mittel, das sei dahin gestellt. Sie haben in das Rattenloch zwei Mätressen mitgebracht und zwei Diener. Die Mätressen mit irischem Migrationshintergrund sind auf das Geld der beiden Herren aus, beide haben sie schon Leibrenten bis an ihr Lebensende ergattert, sind also für alle Eventualfälle abgesichert. Was am Ende wichtig wird, wenn die Flut kommt. Zu DDR-Zeiten hat Manfred Wekwerth solange im Stücktext herumgelesen, destilliert, filtriert, hinein-, um- und weggedeutet, bis ihm alles wie Klassenkampf erschien. Schon damals freilich muss sich dem normal Denkenden der Eindruck vermittelt haben: komischer Klassenkampf.

Denn weder sind O'Caseys Proletarier auch nur halbwegs typische im Sinne der marxistisch-leninistischen Klassentheorie, sie passen eher zum Bild, das Friedrich Engels aus eigener Kenntnis in seinem sehr eigenständigen, von Marx noch nicht durchwucherten „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ vorstellte, also von „Paupers“, denen der Bauwagen und das Bier näher liegen als der starre Blick auf den Klassenfeind. Und die Ausbeuter, diese beiden Trottel aus London, die sich jeden Käse erzählen, jedes Imitat aufschwatzen lassen, die gequirlten Quark reden, verhüte Gott, dass je die herrschende Ausbeuterklasse aus solchen Witzfiguren bestand, der Kapitalismus wäre nie aus den Kinderschuhen gekommen. Krasser Fall im Stück vor allem auch der Maurerpolier Jack O'Killigain, der dem oxfordisierenden Dummschwätzer Basil Stoke ein Statement über William Wordsworth um die Ohren knallt (er bildete mit Samuel Taylor Coleridge das Dioskurenpaar der englischen Romantik, das für alle, die sich den Wikipedia-Klick sparen wollen), dass selbige auch im Theaterparkett summen. Auch sonst ist dieser Vorarbeiter, wie ihn das Programmheft nennt, intellektueller als der Rest der Typen, aus denen sich O'Casey seine Bühnenstory bastelte.

Ernst Schumacher, letztmals erfolgt der Schwenk in die Zeiten, da es wichtig war, einem Bühnenautor zunächst einmal ein Etikett aufzupappen, das ihn zu forthinniger Benutzung freigab, diesenfalls bei Sean O'Casey das Etikett sozialistischer Realist, Ernst Schumacher sah dann trotzdem immer noch zu viel Klamauk im Berliner Ensemble. In Rudolstadt hätte er sich vermutlich entleibt vor lauter Klamauk oder er hätte die Versetzung der Verantwortlichen zur Bewährung in der Produktion beantragt, wer weiß, wer weiß. Es soll damals Philosophen gegeben haben, die das wenig wunschgemäße Schreiben über klassische deutsche Philosophie als Parteisekretär in Buna Merseburg (oder war es Leuna) büßen mussten, ehe sie wieder auf die Antike losgelassen wurden. An die Gräber der Verordner pilgern heute nicht einmal mehr Verwandte, die Gemaßregelten haben einen Platz in der Geschichte gefunden.

Ja, Rudolstadt. Das war ein PURPURSTAUB, der sicher nicht in die Weltgeschichte des Theaters im 21. Jahrhundert eingehen wird, aber, mit Marcel Reich-Ranicki zu reden, ich habe mich nicht gelangweilt. Es gab da allerhand nette Einfälle, es gab da allerhand deftige Komik, und ich bilde mir auch nach einer ordentlichen Mütze Nachtschlaf immer noch ein, ich hätte bei Charlotte Ronas, die das Dienstmädchen Cloyne war, mehr als nur eine Prise Agnes Kraus gehört. (Die war damals dieses Dienstmädchen.) Die beiden Engländer, denen bereits ihre komische Kostümierung Lacher sicherte, waren Matthias Winde und Markus Seidensticker. Die drei Arbeiter Hans Burkia, Benjamin Griebel und Verena Blankenburg. Burkia habe ich in Rudolstadt so gut noch nicht gesehen, was wenig besagt angesichts meiner allgemeinen Besuchsdichte, soll aber auch nicht verschwiegen werden. Ähnliches behaupte ich für Horst Damm, der von oben her der Mann mit dem gelben Bart war und unten als Kanonikus Chreehewel herumnieste und Schecks erbettelte. Für Johannes Arpe, der aus kleiner Rolle (Diener Barney) viel machte, noch mehr für Ute Schmidt als Postmeisterin mit Wasser im Hut.

Jörg Schlüter, der neu ist in Rudolstadt, war Vorarbeiter O'Killigain, Kernfigur des Stückes. Ihm öffneten die Damen ihre Haare, er sang, verführte, kommandierte, solche Köchinnen wünschte sich Lenin auf der Regierungsbank. Behauptete er jedenfalls. Nach oben ist noch Luft, sagen die Fußballweisen, wenn sie einem Nachwuchs nicht gleich zu viel Honig an die Backe reiben wollen. Schlüter möge also die Augen nach oben richten. Ein winziges bisschen drängt sich mir die Vermutung auf, dass für Rudolstadt die Ausdehnung des Projekts Sommertheater auf den Winter vielleicht nicht die allerschlechteste Spielplanidee ist und/oder wäre. Es sei denn, man wolle dekretieren, dass ordentliches Theater nur darauf aus sein müsse, soviel ernste Betroffenheit in Mark und Bein zu erzeugen, dass hinfort vorsorglich Rettungswagen in der Nähe des Hauses geparkt werden müssen, wenn Menschings Truppen wieder zugeschlagen haben. Dazu würde aber nicht passen, dass man sich in Rudolstadt, nirgends sonst, die Farbe seines Programmheftes aussuchen kann. Es war wohl doch kein Zufall, dass ich zu Rosa griff.
   www.theater-rudolstadt.de


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