Horvath: Zur schönen Aussicht, Nationaltheater Weimar

Zehn schwarze Stufen, sieben Türen auf der oberen Ebene, dahinter sind die Hotelzimmer kaum angedeutet mit Stühlen, Matratzen (Bühne, Kostüme: Christin Treunert). Michael Wächter beginnt schon zu spielen, noch ehe das Licht den überwiegend jungen Zuschauern im Maschinensaal des e-Werks Weimar endgültig signalisiert hat, dass es losgegangen ist. Wächter gibt den Max, und er schafft es spielend im doppelten Sinne, sich dieses junge Publikum zu erobern. Das Stück heißt „Zur schönen Aussicht“, es entstand 1926 und wurde erst mehr als vierzig Jahre später, 1969 in Graz, uraufgeführt. Da war sein Autor Ödon von Horvath schon reichlich dreißig Jahre tot, fast vergessen zwischenzeitlich und plötzlich, mit den siebziger Jahren beginnend, auf dem Weg zum modernen Bühnenklassiker im deutschsprachigen Theaterraum.

Noch in Georg Hensels Tausend-Seiten-Opus „Spielpan“ werden nicht weniger als zehn Horvath-Stücke vorgestellt und „Zur schönen Ausssicht“ ist nicht dabei. Der 1980 am steirischen Uraufführungsort geborene Regisseur Dominique Schnizer aber hat nach genau diesem Dreiakter gegriffen, nicht nach „Kasimir und Karoline“, nicht nach den „Geschichten aus dem Wienerwald“ oder nach „Glaube Liebe Hoffnung“, den wohl meistgespielten Stücken des Österreichers Horvath. Es ist ein guter Griff geworden. Mit einer Nebenbotschaft einfachster Art: Man kann dem Text eines Autors vertrauen, muss nicht biegen, brechen, streichen, hinzuerfinden. Man darf auch der Dramaturgie (Elisa Liepsch) dafür danken. Gezeigt haben das Stück in jüngerer Zeit das Schauspielhaus Hamburg, Regie Martin Kusej, die Münchner Kammerspiele, Regie Christine Pohle, und das Theater Oberhausen, Regie Beat Fäh, Wuppertal bringt es noch in dieser Spielzeit.

Worum geht es: Zwischen den Weltkriegen ein Hotel, in dem eine Baronin als einziger Gast wohnt, sie vernascht nach- und nebeneinander alle Männer des Hauses, vom Direktor über den Kellner bis zum Chauffeur. Sie trinkt gern viel und verträgt immer wenig. Gespielt wird diese Freifrau von Stetten von Petra Hartung. Die Regie treibt sie hart an und momentweise über die Grenze zum Klamauk hinweg, sie darf laut sein, sie darf taumeln, lallen, stürzen und ganz am Ende im dritten Akt hat sie den Satz des Stückes zu sprechen: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Das ist Horvath pur, so ist, was bei ihm Komödie ist. Petra Hartung macht ihre Sache gut. Sie scheut nicht davor zurück, hässlich zu sein.

Alle im Hotel „Zur schönen Aussicht“ haben ihre besseren Aussichten hinter sich, sie sind gescheitert, zynisch, haben Abstieg erlebt. Christoph Heckel als Bruder der Freifrau, als Emanuel Freiherr von Stetten, legt seine Rolle an wie ein Wiedergänger von Hans-Joachim Preil ohne Herricht. Er weigert sich, mit Personal an einem Tisch zu trinken. Ihm wird Aufklärung zuteil. Der Kellner Max, der Chauffeur Karl (Hagen Ritschel), der Chef des Hauses, Strasser (Bernd Lange), waren einst und würden lieber heute als morgen wieder gern sein. Jeder weiß zu viel vom anderen, Markus Fennert tritt hinzu als Weinvertreter Müller, der wohl auch schon den Generaldirektor gegeben hat und sei es als Hochstapler. Ihm sind die kleinen Momente.

Alle vereinen sich zu einem männlichen Gesamtkörper, als die krude Welt des Hotels mit ihrer Speisekarte ohne Inhalt, ihren fleckigen Tischdecken, die nur durch zerrissene Bettlaken ersetzt werden könnten, ihren zerbrechlichen Stühlen, ihrem schlechten Sekt, aufgestört wird durch die Ankunft eines blonden Mädchens Christine (Rahel Weiss). Sie hat der Autor als einzige Figur der sieben insgesamt nicht komisch gezeichnet. Sie ist das weiße Schaf unter den schwarzen. Sie ist schwanger geworden von diesem Direktor Strasser im Vorjahr und kommt, um eine unerwartete Erbschaft, die sie mit Vollendung ihres 21. Lebensjahres antreten darf, zu investieren in die eigene Zukunft, in die Zukunft des Kindes und die des Kindsvaters.

Nur weiß das außer ihr niemand und so erlebt sie ein schnödes, ein dummes, ein böses Spiel, an dem alle fünf Männer teilnehmen. Der Bruch kommt, als sie das Geheimnis lüftet. Was sich dann abspielt, ist in bestimmter Hinsicht die Kurzfassung des späteren Dürrenmatt-Klassikers „Der Besuch der alten Dame“. Christines Ankunft ist für das Hotel „Zur schönen Aussicht“ quasi „Der Besuch der jungen Dame“. Und als alle Männer ihre Hosen herunter gelassen haben, Markus Fennert tut es als Müller buchstäblich, nimmt Christine den Zug, um den Schauplatz zu verlassen. Sie wird ihre zehntausend Mark, mit denen man Millionär ist, wie es bei Horvath heißt, weder dem Spieler, noch dem verkrachten Plakatkünstler noch dem einstigen Plantagenbesitzer und schon gar nicht diesem Strasser in den gierigen Rachen werfen, der immerhin die zynische Ehrlichkeit besitzt, ihr die Abhängigkeit seiner Liebe vom Geld ausdrücklich zu erklären.

Bernd Lange hat es am schwersten. Ich nehme ihm die Verführungskraft nicht ab, die er auf diese Christine ausübte, wie ich ihm auch die Lendenkraft nicht abnehme, mit der er der Freifrau Lustschreie entlockt. Doch ist die Rolle so und nicht anders angelegt. Was sich mir gar nicht erschließen wollte, war das Einspiel über Kofferradio gleich zu Beginn. Der Schritt aus der kräftigen Zeitlosigkeit der Komödie in eine auch schon wieder 50 Jahre und mehr alte Aktualität hat Verunsicherungspotential. Es gibt Kritiker, die das als modern ansehen möchten. Es sei ihnen unbenommen.
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