Curt Goetz: Die Tote von Beverly Hills
Man kann sich auf den Autor selbst berufen, um zu sagen: ein Kriminalroman ist das nicht. Obwohl diese „Satire auf einen Bestseller“, so der Untertitel, sich kräftig beim Kriminalroman bedient, näher bei klassischen amerikanischen Detektivromanen mit ihren obercoolen, mit sämtlichen Wassern gewaschenen, von allen Hunden gehetzten, von allen Pferden gefallenen Supertypen, die immer total gelangweilt in ihren Büros sitzen, vom Bourbon abbeißen oder eine mächtig lange Zigarre anrauchen und dann kommt jener Vamp herein, der kein Geld hat, aber einen Auftrag und so weiter und so fort, man kennt das bis zum Erbrechen und nimmt es dennoch immer wieder gern. Satire ist nicht identisch mit Parodie, wovon sich Curt Goetz letztlich nicht beirren lässt und über lange Strecken ist in diesem Buch die Hauptgeschichte auch fast vergessen zugunsten eines ziemlich mittelmäßigen Tagebuches, dessen Verfasserin allerdings das Mordopfer ist.
Einen Mord also hat es tatsächlich gegeben, Curt Götz erfindet nicht lange den uns heute sehr vertrauten Spaziergänger, der seinen Hund ausführt, der wiederum die Leiche am Wegesrand erschnüffelt und verbellt, er nimmt sich selbst. Er nimmt tatsächlich Curt Goetz als Curt Goetz, der mit einem Gewehr unterwegs ist, um, man höre, zu verhindern, dass die Japaner die Wälder um Los Angeles anzünden. Das ist nicht etwa eine saukomische Idee, sondern das Amerika von 1942. Denn wenn Curt Goetz auch nie auffiel als realistischer Zeitschilderer in seinen zahlreichen Bühnenwerken, ganz ohne Zeit ging es dann doch auch bei ihm nicht. Und weil ein Effekt ein Effekt ist, lässt er die Frauenleiche nackt in der Gegend herumliegen, direkt bedroht, von Geiern angeknabbert zu werden. Den Geiern gibt er es mittels seines Patrouillen-Gewehres, und als dann später die Polizei zum Tatort gelangt ist, führt er seine bezweifelten Schießkünste an einem unschuldigen Häher vor, womit er alle für sich erobert.
Er wird gefragt, wo er so gut schießen lernte, nennt die Schweiz: „Dort schießen wir alle wie Wilhelm Tell. Jeder wollte wissen, wer Wilhelm Tell sei und bei welcher Firma er arbeite.“ So ist das eben mit diesen Amerikanern. Und als dann der Detektiv Ben Blunt auf der Szene erscheint, wird ihm der Kunstschütze so vorgestellt: „Das ist Mr. Goetz – Curt, der die Leiche gefunden hat und der schießt wie Bill Tell.“ Ben Blunt soll schon Mordfälle aufgeklärt haben, ohne aus seinem Lehnstuhl aufgestanden zu sein, das läuft jetzt im Fall dieser Frauenleiche nicht ganz so gut. Wegen des Effekts hat die nackte Frauenleiche noch zwei Merkmale, die alle Betrachter verwirren, ihre Oberweite ist im Prinzip nicht vorhanden und ihre Unterweite zeichnet sich durch die Abwesenheit von Intimbehaarung aus. Das wiederum wäre heute kein Grund aufzumerken, das Gegenteil würde eher ermittlerischen Scharfsinn herausfordern. Auf alle Fälle ist die junge Frau nicht ganz so jung gewesen, wie sie zunächst wirkte, sie war sogar verheiratet mit einem Altertumsforscher, der sie auf dem Schiff von Europa nach Amerika ansprach und sofort die Ehe anbot, worauf sie sich ebenso sofort einließ.
Das Buch hat in meiner Ausgabe des Stuttgarter Engelhorn Verlages 160 Seiten, es liest sich flott, sogar die im hinteren Teil sich häufenden, zum Teil groben Druckfehler, kann man hinnehmen, man weiß, dass Korrektoren irgendwann unter Sparpotential fielen und Rechtschreibprogramme, falls sie denn eingesetzt werden, natürlich nur finden, was ihnen erlaubt ist laut Wortschatz und Wortformen. Einer Satire auf einen Bestseller nimmt man ab, dass die Kolportage kräftige Blüten in ihr treiben darf, wer Curt Goetz kennt, weiß, dass er diesen seinen einzigen Roman nicht aus anderem Stoff geknetet hat als seine Einakter und seine Abendfüller. Das ist vor allem im Tagebuchteil, der als Unterbrecher für die schließlich doch eher unrasante eigentliche Handlung fungiert, bisweilen schmachtfetzig bis zur Knirschgrenze. Aber immerhin: die Liebe zum Star-Tenor, später zu Maler und Schriftsteller, die beide aus Europa ihr nachreisten und unter falschem Namen allerlei Rätsel aufgeben, ehe alles klar ist, die hat etwas von dem, was bisweilen in südlichen Gegenden des deutschen Sprachraums Pfefferl genannt wird.
Curt Götz, einmal drin in der Handlung, gerät selbst unter Verdacht und liest aus einem Kürzel C. G. sogar heraus, dass er vielleicht der nächste hätte sein sollen, der ihr verfallen wäre und dem sie hätte verfallen wollen. Hübscher Irrtum für ihn, wie sich erweist, denn es gibt noch einen Cesare Giovani im Umfeld der tatsächlichen Mörderinnen. Die lässt der Autor nicht wie sonst üblich lange und unverdächtig durch die Handlung geistern, er zieht sie ziemlich plötzlich wie ein Zauberer aus dem Hut. Und als hätte Goetz späteren Kritikern zeigen wollen, er könne auch schwarzen Humor und nicht nur Biederspäße mit Verfallsdatum, wie ihm nachgeredet wurde, um seine schwindende Beliebtheit zu begründen, hat er dies formuliert: „Drei Monate später bestiegen sie den elektrischen Stuhl. Ist zu sagen, die elektrischen Stühle. Es war ihr letzter Wunsch gewesen, gleichzeitig sterben zu dürfen. Und da man dortzulande den Damen gern gefällig ist, hatte man sich aus dem Nachbarstaate einen befreundeten Stuhl gepumpt.“
Solcher Sätze wegen liebe ich Bücher fast unabhängig davon, was sie erzählen. Und weil Curt Goetz morgen seinen 125. Geburtstag hat, meine ich, auf dem Umweg über dieses letztlich doch untypische Buch von ihm auf ihn hinweisen zu dürfen. Vor 25 Jahren, als der hundertste Geburtstag anstand, schrieben unter anderem Peter Claus in JUNGE WELT, Beate Zenker in BERLINER ZEITUNG, Ursula Meves in NEUES DEUTSCHLAND, Inge Kiessig gleich fünfteilig für TRIBÜNE und halt auch ich für den SONNTAG. Was, ist morgen hier in der Rubrik ALTE SACHEN nachzulesen. Sämtliche 21 Bühnentexte, die ich anno 1988 las, waren von Curt Goetz. Was ich damals mangels Internet nicht in Sekundenschnelle recherchieren konnte: nicht weniger als sieben Filme, sechs davon für das Fernsehen der DDR, sind zwischen 1954 und 1976 nach Curt Goetz gedreht worden. Auch nach „Die Tote von Beverly Hills“ gibt es einen Film, der in der Regie von Michael Pfleghar 1964 auf der von uns aus anderen Seite gedreht wurde. Curt Goetz hatte nicht nur sein erstes Engagement als Schauspieler in Rostock, dort war auch sein erster Verlag. Als Kind lebte er in Halle, später lange in der Schweiz und in Liechtenstein. Seine erste Rolle in Rostock soll der Geist von Hamlets Vater gewesen sein.
Ziemlich weit hinten im Buch, Goetz ist mit dem Sheriff unterwegs, um den verloren gegangenen Detektiv Blunt zu finden, der vermeintlich den Mörder verfolgte, muss Goetz laut reden, während der Sheriff sich an die entwischten Pferde heranpirscht. „Gezwungen, die Konversation mit dem Felsen der Pferde wegen aufrechtzuerhalten, rezitierte ich den neunten Gesang des Homer...“. Das ist nicht weit von den befreundeten elektrischen Stühlen entfernt. Scheint es. In Wahrheit aber baut der Erzähler hier etwas ein, was eine tatsächliche Fähigkeit von ihm schon in Schülerzeiten war. Er konnte griechisch fließend und mit schauspielerischer Betonung rezitieren und gönnt sich deshalb in diesem Roman den Spaß, auch anderthalb Zeilen Homer-Original abdrucken zu lassen. Und auch der folgende Dialog hat etwas für mich: „Haben Sie die heutigen Zeitungen gelesen? - Ich lese schon lange keine Zeitungen mehr. - Ich beglückwünsche Sie dazu.“ Es muss also auch vor siebzig Jahren schon Zeitungen gegeben haben, die man vergessen konnte. Ich nehme das als versöhnlichen Schluss und verweise auf morgen: CURT GOETZ 100. Mit Valerie von Martens war er 37 Jahre verheiratet, als er am 12. September 1960 starb. Sie hat seine Memoiren fortgesetzt und vervollständigt.
Als Zugabe dieser Satz: „Denn in Amerika ist alles zu verkaufen, wenn der Preis hoch genug ist. Deine nächsten Angehörigen kannst du verkaufen, vorausgesetzt, daß jemand sie haben will.“ Als zweite Zugabe dieser: „Der Amerikaner hat ein kindliches Vergnügen an Sensationen und unterscheidet sich also in dieser Hinsicht nicht vom Europäer. Nur geniert er sich nicht, es zu zeigen.“ Die dritte und letzte speziell für echte Krimi-Freunde: „Ein Unschuldiger, gegen den irgendwelche Indizien sprechen, benimmt sich meist schuldiger als ein Schuldiger.“ Wäre es anders, gäbe es nur Kurzkrimis zwischen Buchdeckeln und auf Bildschirmen oder Leinwänden. Was niemand wollen würde.