Erskine Caldwell: Ein heißer Tag

In der DDR brachte der Berliner Verlag der Nation das Buch in seiner Reihe „Roman für alle“ heraus, eine Lizenzausgabe natürlich, es trägt auf dem Rücken die Nummer 68, ist sonst aber nirgendwo als solche gekennzeichnet. Die deutsche Übersetzung stammte von Anita Hüttenmoser, die Titel-Illustration des roten Taschenbuchs von Werner Klemke (12. März 1917 – 26. August 1994). Der ist heute wahrscheinlich noch immer bekannter als der Autor des Buches, der am 11. April 1987 im Alter von 83 Jahren verstarb. In manchem liest „Ein heißer Tag“ (Original-Titel „Trouble in July“) sich jetzt wie ein literarisches Vorwort zum Wahlsieg von Donald Trump. So mag es wenigstens all denen scheinen, die plötzlich den armen Weißen entdeckten und zwar den armen weißen Mann, der sich fast im Handumdrehen zum Erklärungsgrund für alles mauserte, was die intellektuelle Schickeria diesseits und jenseits des Nordatlantik sich nicht hatte denken können, vorstellen auch nicht. Ein orangefarbener Mann mit maisgelbem Haar gewinnt für die Republikaner die Wahl und beginnt zu regieren wie einst Lenin: mit Dekreten, nur halt nicht über den Frieden.

Wer ein wenig hinabsteigt in die Niederungen (oder Höhen) der neueren amerikanischen Literaturgeschichte, stößt bald und natürlich dezidiert im Zusammenhang mit Erskine Caldwell auf den Begriff des „Poor White Trash“, das ist ein praktischer Begriff zum Ersetzen dessen, was alte Kameraden gern Arbeiterklasse nennen würden, näherhin wäre auch das Wort „Lumpenproletariat“ kein Fehlgriff in dem Sinne, wie ihn Marx und Engels benutzten, deren Auferstehung nicht erst seit dem Herannahen ihrer zweihundertsten Geburtstage 2018 und 2020 nicht mehr aufzuhalten scheint. Erst kürzlich hörte ich einen Goethe-Experten mit solcher Begeisterung ellenlang aus dem guten alten „Kommunistischen Manifest“ zitieren, dass mir, der ich die Sätze phasenweise fast auswendig kannte, lauwarm ums Herz wurde. Dieser Marx und dieser Engels waren doch tatsächlich in einer Weise der Sprache mächtig, dass man ganze spätere Politologen-Regimenter daneben getrost in die Sprachwüste schicken könnte, wo sie auf die Fluten der schmelzenden Polkappen zu warten hätten. Caldwell: „Ein Politiker muss sich doch manchmal bei seltsamen Kreaturen seine Stimmen holen.“

Nehme ich mein eigenes Archiv zum Maßstab, was weder Beweiskraft vor Gericht hätte, noch eine gewissen Eitelkeit verleugnete, dann ist der am 17. Dezember 1903 geborene Erskine Caldwell so vergessen wie nur irgendeiner. Wohl gibt es inzwischen einen geradezu erstaunlich ausführlichen WIKIPEDIA-Eintrag, doch darüber hinaus ist der deutschsprachige Fundus nicht mehr von Belang. Mein Archiv enthält neben 40 Seiten Maschinenschrift eigener Hand Ausdrucke in amerikanischem Englisch, dazu meinen Print-Artikel zum hundertsten Geburtstag am 17. Dezember 2003, mehr nicht. Wenn ich bedenke, welch fünftklassige Autoren mir Klarsichthüllen füllen, beschämend, aber nicht für mich. Immerhin, in Jena, nirgends sonst in all diesen zahlreichen Bundesländern, entstand mit Abschluss 1961 eine Arbeit mit dem Titel „Sprache und Stil bei Erskine Caldwell“, Verfasser Günter Golle, der sich anders offenbar durch nichts auffällig gemacht hat. Zitat Erskine Caldwell: „Die Friedhöfe sind voll von Politikern, die nicht auf die Stimme des einfachen Volkes gehört haben, und ich habe keine Lust, vor meiner Zeit dort hinausgetragen zu werden.“ Sagt der Sheriff.

Nun langsam zum Buch. Es erzählt eine schreckliche Geschichte und es erzählt sie unter häufiger Verwendung eines Wortes, das man aktuell bei der Sprachpolizei für eine eventuelle Verwendung in Anführungszeichen und unter gleichzeitiger Abgabe einiger Leumundszeugnisse beantragen muss. Das Wort ist Neger. Das amerikanische Original kenne ich nicht, auch weiß ich nicht, welcher parteipolitischen Überzeugung die Übersetzerin Anita Hüttenmoser anhing, auf alle Fälle kommt dieses Wort oft vor, womit es in Zitaten oder Referaten des Inhalts der verschiedenen Buchkapitel kaum zu vermeiden ist, wenn keine wirklich albernen Sätze entstehen sollen. Der 18 Jahre junge Sonny Clarke wird von einer weißen Fanatikerin namens Narcissa Calhoun in den Ruf gebracht, ein 15 Jahre altes Mädchen namens Katy Barlow geschändet zu haben, was einen in jeder Hinsicht sprachlos machenden Lynchmob in Bewegung setzt und eine Reihe von handelnden Personen, insbesondere den schon zitierten Sheriff Jeff McCurtain dazu zwingt, sich zu verhalten, zu handeln oder Handeln zu vermeiden, auf alle Fälle sich und ihren Charakter gnadenlos zu offenbaren.

Die Geschichten, die Erskine Caldwell hier und in vielen seiner Bücher, insbesondere in den frühen, erzählt, zeigen ein so furchtbares Amerika, dass dem Lesepublikum in Europa, das nach dem Weltkrieg ja im Schnellkurs zum Glauben gebracht wurde, Gott selbst habe dieses herrliche Gebilde geschaffen, um Träume aus aller Welt anzusaugen, erklärt werden musste, es handle sich keineswegs um Gräuelpropaganda, sondern nackte Realität. Realität ist übrigens in diesen von gleicher Herrlichkeit bis heute lebenden Staaten noch immer das einzige, dessen Nacktheit toleriert wird, jede andere Nacktheit lässt evangelikale Frauenvereine und ihre notgeilen Vorbeter aus den Holzkirchen springen und Verdammungsflüche mit juristischen Verbotsanträgen kombinieren. Auch aus diesem Hintergrund erklärt sich, so jedenfalls die Überzeugung eines bei WIKIPEDIA genannten Amerikaners namens Wayne Mixon in der „New Georgia Encyclopedia“, warum eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Caldwell in seinem Heimatland und darüber hinaus ausblieb. Die Vermarktung sexueller Freizügigkeit seiner Bücher trage die Hauptschuld.

Wer sich den Spaß macht, nach antiquarischen Caldwell-Büchern in deutscher Übersetzung zu stöbern, Neuausgaben bietet der Handel kurioserweise fast ausschließlich in diversen anderen Sprachen und natürlich in Englisch, findet die Vermutung Mixons wenn nicht direkt bestätigt, so doch sehr wahrscheinlich gemacht. Nicht wenige Ausgaben in Verlagen, in denen man, wie sage ich es meinem Kinde, seriöse Literatur nicht direkt vermutet, zeigen spekulative Cover und eines der berühmtesten Bücher Caldwells hatte sich sogar eines juristischen Pornographie-Vorwurfes zu erwehren. Es war „Gottes kleiner Acker“ (Original-Titel „God's little Acre“). Die Perversionen in Erskine Caldwells Büchern sind anderer Art, selbst wo sie für die Verklemmten Staaten von Amerika tatsächlich Freizügigkeiten offerieren. Pervers ist die stupide Brutalität, mit der dieser „White Trash“ sein Leben führt, wenn sich die Gelegenheit ergibt. In diesem Roman wird erst der unschuldige Sonny gelyncht und als sein vermeintliches Opfer den Mördern dessen Unschuld ins Gesicht schreit, wird das Mädchen buchstäblich und tatsächlich gesteinigt: USA, 20. Jahrhundert.

Wer seine Gedanken bis dahin zu lenken bereit ist, ohne vor seinem eigenen Antiamerikanismus pflichtgemäß zu erschrecken: amerikanische Fundamentalismus-Fühligkeit hat hier ihre Wurzeln, religiöser Terror wird nirgends besser aus tiefsten Tiefen verstanden als in einem Land, in dem Frauenärzte erschossen werden, weil sie keine Abtreibungsgegner sind. Der Schriftsteller Erskine Caldwell führt seinen Sheriff, einen schwachen weißen Mann, der sich sogar von seiner Frau öffentlich ohrfeigen lässt, schließlich zu so etwas Ähnlichem wie Mut. Zu so etwas Ähnlichem wie einem Bekenntnis zu den Grundwerten der amerikanischen Verfassung, was natürlich ein grotesker Witz in sich ist, denn auf diese Verfassung legt jeder kleine Beamte seinen Eid ab. Der Sheriff sagt zu Narcissa Calhoun: „Mir scheint, die Nigger haben genausoviel Rechte zu denken, Christus sei ein Schwarzer gewesen, wie unsere weißen Brüder denken, Christus sei ein Weißer gewesen.“ Und: „Kann sein, dass Farbige manchmal einen gemeinen Charakter haben, aber da gibt es Weiße in unserm Land, die sind noch 'ne ganze Masse gemeiner als jeder Neger.“ Dagegen sage einer was.

Als Julius Bab (11. Dezember 1880 – 12. Februar 1955) im Christian-Verlag Berlin-Wilmersdorf „Amerikas Dichter der Gegenwart“ vorstellte, es war so etwas wie eine Fortsetzung seines Buches „Amerikas Dichter“ im gleichen Verlag, fielen auch reichlich drei Seiten für Caldwell ab, Bab begann mit dem falschen Geburtsjahr, wurde dann aber besser. Und dennoch: Man merkt seinen Ausführungen über „Tobacco Road“ und „Gottes kleiner Acker“ die Unbehaglichkeit an. Dass die USA dem Juden Bab Asyl gewährten nach dessen Emigration 1939, machte diesen natürlich dankbar und so findet auch er es wichtig, vor allem dies festzuhalten: „Die Sexualität dominiert in der ganzen Familie, und da sind Szenen, die an sexueller Ungebundenheit so ziemlich alles übertreffen, was ich irgend in der Literatur kenne.“ „Ein heißer Tag“ hat auch „Stellen“, die freilich nur sehr Verklemmten anstößig oder gar anregend erscheinen könnten. Für die frühe Caldwell-Rezeption im Westen Deutschlands mag die Anthologie „Neu Amerika“ interessant sein, 1947 herausgegeben von einem Kurt Ullrich, mit dem ich weder verschwistert noch verschwägert bin.

Er griff aus dem Fundus der Erzählungen, am Ende sollen es 150 geworden sein, ich habe nicht nachgezählt, eine heraus, die sich von den anderen in einer wichtigen Hinsicht unterscheidet. Der Vortext dazu sagt: „Mit der brutalen Offenheit seines krass naturalistischen Stils gestaltet Caldwell eine Welt des Grauens, in der so ziemlich jedes Verbrechen und jede Gemeinheit unter diesen in Dumpfheit Hintreibenden möglich ist. Daneben schrieb er aber auch ein paar Geschichten von ungewöhnlicher Zartheit des Empfindens und Keuschheit des Ausdrucks.“ Die zum Beweis abgedruckte Geschichte hat den Titel „Warmer Strom“. Darin sieht ein Richard ein Gretchen am Bett knien und weinen, und das bringt ihn dazu, sie nicht zu verlassen. Auch solche Fälle kommen im Leben natürlich vor, nur machen sie das andere weder besser noch wett. Es ist hilfreich, in „Ein heißer Tag“ nach den Motiven zu schauen, warum einer so und einer so Position bezieht. Einer ist beispielsweise gegen den Lynchmob, weil der ihm die Felder zertrampelt. Die anderen aber wollen selbst dann töten, wenn sie von der Unschuld ihres Opfers überzeugt sind, sie sind wie im Rausch.

„Das hat mich doch nicht schlecht wild gemacht, zu sehen, dass so'n Nigger besser dasteht als ich. Das ist der Jammer bei dieser Bande heutzutage, sie kommen auf eben soviel Lohn wie ein Weißer, und manchmal auf mehr.“ Da hat der Mob, der Sonny noch nicht finden konnte, im Negerquartier von Bob Watson eben eine nackte Frau mit Terpentin übergossen und angezündet, eine andere, krass naturalistisch, weil nur angedeutet, klingt das nicht, wohl sogar vergewaltigt. Erst als Watson sie mit seiner Flinte bedroht, flüchten sie wie erwischte Kleinganoven. Vom Vater der angeblich vergewaltigten Katy erfährt der Leser, er habe einem Weißen nur deshalb die Kehle durchschnitten, weil der aus seinem Brunnen trank, ohne vorher gefragt zu haben. Tochter Katy streckt er mit einem Faustschlag zu Boden. Der Sheriff, erfährt man, verschwindet in brenzligen Situationen immer zum Angeln, obwohl er die Angelei gar nicht mag. Und er überlegt allen Ernstes, sich in seiner eigenen Zelle einzusperren, um nicht eingreifen zu können, wenn es schlimm wird. Sonny aber bittet einen vorher keine Rolle spielenden Mann namens Harvey Glenn um einen Dienst: den Gnadenschuss.

Wie haben wir uns also diesen „Poor White Trash“ vorzustellen, wenn ein unschuldiger Junge sich lieber von einem ihm unbekannten Mann erschießen lassen möchte, als denen in die Hände zu fallen? Das Buch endet bei und mit Sheriff Jeff McCurtain. „Das ist eigentlich ein mächtig schöner Eid, den man für ein öffentliches Amt ablegen muss“, sagte er laut. „Mir scheint, irgendwie hatte ich ihn ganz vergessen.“ Und er schritt weiter. Allein.“ So enden Westernfilme, wenn der Gute die Gerechtigkeit wiederhergestellt hat. Später. Die Verfilmungen von Caldwell-Romanen, die es gab, verfälschten seine Aussagen, Caldwell konnte sich nicht dagegen wehren. Hollywood war immer mächtiger als selbst Nobelpreisträger wie Hemingway, auch der erlebte Verkitschung und Verharmlosung. Für Trump-Deuter zum Schluss noch ein Zitat aus diesem schmalen Roman: „Wenn es ans Wählen geht, dann ist auf die Menschen so wenig Verlass wie auf Südwind im November.“ Im Andrewjones des Romans spielen übrigens Republikaner keinerlei Rolle. Es sind  zwei rivalisierende Gruppen von Demokraten, die einander um den Sieg bringen wollen.


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