Kartoffeltorte, Schafskäse und Felsenkeller

Dass Goethe seinen 64. Geburtstag in Ilmenau verbrachte, war ihm beim Abfassen der Notizen für die Tag- und Jahreshefte zum Jahr 1813 bereits keine Erwähnung mehr wert. Und es mag angesichts des auch im Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig wieder sehr langen Aufenthalts in Böhmen (stolze 107 Tage vom 26. April bis zum 10. August) sogar in Grenzen verständlich sein, dass der Ort seiner größten amtlichen Niederlage, den er viele Jahre lang gemieden hatte, ihn nicht auch nach der Abreise noch großartig weiter beschäftigte. Am 2. September 1813 war er wieder in Weimar. Für die Goethestadt Ilmenau ist es freilich mehr als nur eine Marginalie, denn es war nicht nur der dritte Geburtstag bereits, den Goethe hier feierte, es war auch sein vorletzter Besuch zu Füßen des Kickelhahns, dem der endgültig letzte sich erst weitere volle 18 Jahre später anschloss.
 
Folgt man Goethes Tagebuch mit der Eintragung vom 25. August 1813, dann kam die Anregung, Weimar, wo er am 19. August abends erst nach gut vier Monaten Abwesenheit eingetroffen war, schon nach einer Woche abermals zu verlassen, von Sohn August. Es gab bedrohlich wirkende Nachrichten über nahende Österreicher, Goethes Klage über das ungebührliche Benehmen preußischer Freiwilliger in Weimar ist immer gern in Erinnerung gerufen worden. Er mochte solche Formen des Trubels nicht, auch hatte er sicher noch lebhaft in Erinnerung, wie der Einmarsch napoleonischer Truppen seinen Hausstand am Frauenplan in helle Aufregung versetzte. Mit dem Nebeneffekt freilich, dass er seine tapfere Christiane danach endlich förmlich ehelichte. Weil ihm selbst der amtliche Trauschein wenig wichtig war, feierte er, so ist überliefert, „in aller Stille“ in dieser weimarischen Zwischenwoche die silberne Hochzeit.
 
Am 26. August gegen 10 Uhr machte sich Goethe auf den Weg, wie meist über Stadtilm, wo er nicht nur pausierte, sondern auch das titellose Gedicht niederschrieb, welches beginnt: „Ich ging im Walde // So für mich hin, // Und nichts zu suchen // Das war mein Sinn.“ Es erhielt später den Titel „Gefunden“. Entstanden war es unterwegs und ist bis heute eines der schönsten Zeugnisse der Liebe Goethes zu seiner Christiane. Er widmete es nachträglich dem 12. Juli 1813, den beide als ihren Silbertag nahmen. An seinem Geburtstag gab Goethe handschriftlich Christiane auch die erste Nachricht aus Ilmenau, wo er bei der Rätin Blumröder Unterkunft gefunden hatte und er legte ihr Verse bei, die ihm der Herzog sowie der Amtmann Ackermann gewidmet hatten. Er verrät der Gattin, dass er noch nicht angezogen war, als Durchlaucht nebst Gefolge nahten. Dennoch schaffte er es, die kleine Delegation noch auf der Straße zu begrüßen. Genüsslich vermerkt er auch die Küsschen, die er den hübschen Mädchen der Reihe nach gab, die ihm die Ackermann-Verse vortrugen.
 
Eine heiße Kartoffeltorte mundete vor allem dem Prinzen Bernhard, erfährt Christiane. „Das war also auch wieder ein guter Rath, der mich nach Ilmenau hinwies. Daß ich unterwegs heiter war, saht ihr aus den Verslein.“ Gemeint ist „Gefunden“. Uneingeschränkte Bewunderung verdient noch zweihundert Jahre später der Umstand, dass Goethe am 27. August 1813 volle sechs Stunden zu Pferde unterwegs war. Weil er die große Runde über Martinroda und Elgersburg ritt, kann jetzt dort das kleine Jubiläum ebenso begangen werden wie in Gehren, wo er am Geburtstag selbst nach dem Mittagsessen bei Oberforstmeister von Fritsch das Günthersfeld besuchte. An Gattin Christiane ging am 30. August ein zweiter Brief aus Ilmenau. Aus dem wissen wir, dass Goethe nach erneutem Ausritt am 29. August (zu Kickelhahn, Hermannstein und Gabelbach) am Abend im Felsenkeller-Saal beim Ball war. Er nennt den Saal „wohlgebaut“, „wo ich euch auch wohl hätte mögen herumspringen sehen.“ Christianes Tanzlust ist bekannt, auch wenn sie 1813 sicher schon um Puste hätte ringen müssen angesichts fortgeschrittener Wohlgerundetheit.
 
Noch einmal lobt Goethe die Idee, nach Ilmenau zu kommen: „Der Gedanke war höchst glücklich, mich hierher zu dirigiren. Es gefällt mir so wohl, und ich denke hier zu bleiben, denn in dieser Ruhe und Abgeschiedenheit gelingt mir gewiß manche Arbeit.“ Was Goethe der Gattin beilegte („Ihr könnt eure Namen in schönster Glorie lesen“) ist leider unbekannt. Sehr bekannt ist dagegen, dass er entgegen seiner offenbar immerhin kurzzeitig gehegten Absicht nicht länger blieb, sondern nach Weimar zurückkehrte. Denn dort hatte er nun seinerseits seinem Fürsten persönlich zum Geburtstag zu gratulieren. „Für August habe ich wieder sechs hübsche Versteinerungen ausgesucht.“ Über Christiane fordert er den Sohn auf, seine Bestände in eine Schachtel zu packen. Ob der Geheimrat, wie ebenfalls angekündigt, tatsächlich Angelröder Schafkäse mit nach Weimar brachte, ist nicht überliefert, die Heimatstube dort mag sich allein an der Vorstellung 200 Jahre später erfreuen.
 
„In Ilmenau habe ich sieben sehr vergnügte Tage zugebracht und die Erinnerungen alter Zeiten waren mir gar wohltäthig; sie ist lange genug vorbey, so daß nur das, was eigentlich fruchtbar in ihr lebte, für die Einbildungskraft übrig geblieben ist. Das Gute, was man beabsichtigte und leistete, ist in allen Hauptpuncten wohl erhalten und fortgesetzt worden.“ So resümiert Goethe seinen Ilmenau-Aufenthalt dem Urfreund Knebel gegenüber, der Brief ist auf den fünften September datiert, als Goethe längst wieder in Weimar weilte. Knebel liest, dass seiner in Ilmenau immer noch vielfach gedacht wird, was ihn sicher freut. Und er liest auch, was Goethe sonst noch in Ilmenau wichtig war wie vor allem der Umgang mit Bergrath Voigt. Knebel hat Goethe offenbar einen angenehmen Zuwachs für die Handschriftensammlung vermittelt. Und auch der Amtmann Ackermann erhielt noch 1813 ein kurzes Brieflein von Goethe: „Mögen die zu sehr unruhiger Zeit geflochtenen Kränze in guter Stunde bey Ew. Wohlgeboren ankommen und an den schönen Tag erinnern der mir in Ilmenau bereitet ward.“ So steht es im erhaltenen Briefkonzept vom 4. November 1813.
  Zuerst veröffentlicht in:  der NEUE Geheimrat, Ausgabe 54, 2013, S. 30/31

Ilmenau. Vor seiner Geburtstagsfeier geflohen ist er eigentlich nicht, sie ist ihm nachgekommen. Goethe war, als der Morgen seines 64. Wiegenfestes anbrach, bereits in Ilmenau. Er wohnte bei der Rätin Blumröder, das Hinweisschild kann in der heutigen Friedrich-Hoffmann-Straße in Augenschein genommen werden. Er hatte sich am Vortag bewiesen, wie gut seine Konstitution noch war, sechs volle Stunden Ritt absolviert. Wie viele Erinerungen an frühere Tage in Ilmenau und Umgebung ihn auf dem Pferderücken heimsuchten oder gesucht wurden, wir wissen es nicht. Volle achtzehn Jahre waren vergangen seit seinem ebenfalls in Ilmenau gefeierten 46. Geburtstag, weitere achtzehn mussten vergehen, ehe er mit dem 82. auch seinen letzten Geburtstag zu Füßen des Kickelhahnes beging.
 
Was er vor nunmehr 200 Jahren tat, wen er traf, ist ziemlich genau überliefert, es gibt die Nachrichten an die natürlich zurückgelassene Christiane, andere Dokumente. Nichts von allem schien ihm auf alle Fälle schon bald danach wichtig genug, im Jahresrückblick auf 1813 erwähnt zu werden. Umso mehr liefert es Fakten für die Lokalgeschichte, die eben in diesem Jahr sowohl in Elgersburg als auch in Martinroda, in Gehren und natürlich in erster Linie in Ilmenau auf diesen Besuch rund um den Geburtstag verweisen kann. Gern wüsste man, wo und wie ihn der Ruhm des Schafskäses aus Angelroda erreichte, den er Christiane eventuell mitbringen wollte. Das Güntersfeld bei Gehren dagegen kannte er schon aus den Tagen seines dienstlichen Umgangs mit dem Bergbau in Ilmenau sehr gut.
 
Ob er seinem Herzog am Geburtstagsmorgen in Unterhosen entgegen lief oder ob nur die Mütze fehlte, dürfen wir mutmaßen, auf jeden Fall war er nicht standesgemäß vollständig bekleidet, als ihm die Ankunft der herrschaftlichen Gratulationsdelegation gemeldet wurde und wollte das wiederum seiner Christiane nicht verschweigen. Die ihn ja auch in weniger kompletter Kleidung ziemlich gut kannte. Als er alles hinter sich hatte, gab er seinem Freund Knebel, der immer gern der Ur-Freund genannt wird, dieses briefliche Bulletin: „In Ilmenau habe ich sieben sehr vergnügte Tage zugebracht und die Erinnerungen alter Zeiten waren mir gar wohltäthig; sie ist lange genug vorbey, so daß nur das, was eigentlich fruchtbar in ihr lebte, für die Einbildungskraft übrig geblieben ist. Das Gute, was man beabsichtigte und leistete, ist in allen Hauptpuncten wohl erhalten und fortgesetzt worden.“
 
Am 29. August 1813 war Goethe, nun in seinem 65. Lebensjahr, Ballgast im Felsenkeller-Saal. Der nicht unumstrittene Maler Alfred Wegwerth nahm den Geheimrat deshalb, historisch ein wenig großzüg, in sein Gemälde vom Aufzug der Schützenkompagnie 1814 am Felsenkeller auf, im Rathaus zu besichtigen. Erneut war Goethe vorher zu Pferde unterwegs gewesen, diesmal in Richtung Kickelhahn, Hermannstein und Gabelbach. Ganz kurz erwog er im Überschwang seines Wohlgefühls, länger zu bleiben, doch dann wurden ihm seine Pflichten erneut bewusst und schon am 2. September fand er sich wieder in Weimar. Er wollte vor allem seinem Herzog Carl August zum 56. Geburtstag am 3. September gratulieren.
 
Ein Zufall ist es nicht ganz, dass genau hundert Jahre nach Goethes 64. Geburtstag, also am 28. August 1913, der Ilmenauer Stadtrat einen neuen Straßennamen vergab. Seither trägt die Theodor-Körner-Straße ihren Namen. Der patriotische Rat wollte den hundertsten Todestag Körners am 26. August 1913 mit einem symbolischen Beschluss würdigen.
      Zuerst veröffentlicht in: Thüringer Allgemeine, 28. August 2013, unter der Überschrift: Der Herzog kam  und Goethe rannte los


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